Rebekka Habermas / Tanja Hommen (Hg.): Das Frankfurter Gretchen. Der Prozeß gegen die Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt, München: C.H. Beck 1999, 304 S., ISBN 3-406-45464-x, DM 48,00
Aus: Nassauische Annalen (Bd. 111 (2000), S. 541)
Rezensiert von:
Rolf Faber
In den Jahren 1771/1772 fand in Frankfurt am Main der Prozeß gegen die Magd Susanna Margaretha Brandt statt. Wegen Kindsmord wurde sie zum Tode verurteilt und auf der Hauptwache mit dem Schwert hingerichtet. Die Prozeßakten sind heute noch im Institut für Stadtgeschichte der Stadt Frankfurt am Main (Stadtarchiv) vorhanden. Johann Wolfgang Goethe war damals gerade nach Abschluß seines Studiums in Straßburg nach Frankfurt zurückgekehrt und hatte seine Zulassung als Anwalt beantragt. So kam es, daß dieses doch außergewöhnliche Verfahren sicher auch sein fachliches Interesse gefunden haben dürfte, zumal Freunde und Bekannte der Familie Goethe an dem Prozeßgeschehen unmittelbar beteiligt waren.
Zum 250. Geburtstag Goethes ist nun die vollständige Akte des Prozesses erneut herausgegeben worden. Damit stehen die Gerichtsprotokolle, die Gutachten der Ärzte, die Stellungnahmen der Juristen und der Bericht über die Hinrichtung nunmehr auch einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung. R. Habermas und T. Hommen haben die sorgfältige Edition vorgenommen und uns mit zahlreichen Textanmerkungen und -verweisen die doch fremde Welt des 18. Jh.s verständlich gemacht. Begreifen können wir etwa den damaligen Prozeßablauf sicher nicht, bei dem beispielsweise die Richter allein anhand der vorgelegten Akten über ein Menschenschicksal entschieden haben. Ist uns doch heute völlig selbstverständlich, daß ein Angeklagter bei dem Verfahren anwesend sein muß und ein Prozeß nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden darf. Es ist das Verdienst von R. Habermas, in ihrem einleitenden "Vorwort" diese Einführung in das historische Umfeld dieses Prozesses gegeben zu haben. Sie geht dabei insbesondere auf die rechtlichen und die gesellschaftlichen Verhältnisse ein, die damals in der Freien Reichsstadt geherrscht haben. In einzelnen Schritten gibt sie einen Überblick in den Ablauf des Prozesses. Sie schildert auch das gesellschaftliche Umfeld der schwangeren Magd und die großen Unterschiede innerhalb der damaligen Gesellschaftsschichten.
Für die Juristen des 18. Jh.s war es ein relativ einfacher Fall, über den sie zu entscheiden hatten. Die Constitutio Criminalis Carolina sah in der Tötung eines lebendig geborenen ausgetragenen Kindes ein todeswürdiges Kapitalverbrechen. Im Falle der Susanna Brandt waren die objektiven Tatsachen eindeutig, zumal sie voll geständig war. Die Frage nach der persönlichen Schuld wurde noch nicht gestellt. Ihr Verteidiger machte wenigstens den Versuch, in seiner schriftlichen Stellungnahme auch auf die persönlichen Umstände, die zu der Ermordung des Kindes geführt hatten, einzugehen. Im übrigen war sie nicht die erste und einzige, die damals wegen Kindsmord bestraft wurde. Das lag sicher daran, daß voreheliche Schwangerschaft als Schande galt und als Unzucht mit öffentlichen Strafen geahndet wurde.
Goethe hatte sich in seiner juristischen Laufbahn mehrfach mit der Frage nach der Bestrafung von Kindsmord auseinanderzusetzen. Bereits in seinen "Positiones juris", mit denen er sein Studium in Straßburg abschloß, hatte er sich damit befaßt. Als Mitglied des Geheimen Consiliums des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach hatte er ganz offiziell als Berater von Herzog Carl August im Herbst 1783 in einem konkreten Fall dazu Stellung zu nehmen, ob eine Kindsmörderin mit dem Tode bestraft werden sollte. Goethe hat dies bejaht, obwohl der Herzog selbst keinesfalls für die Todesstrafe war. Doch hat er sich damals die Entscheidung nicht leicht gemacht. Seine Argumente zu der Problematik hat er in einem umfangreichen Aufsatz dargelegt. Bedauerlicherweise ist dieser Aufsatz nicht mehr vorhanden, so daß wir nur auf Spekulationen angewiesen sind. Doch wissen wir, daß er die Beibehaltung der Todesstrafe für Kindsmörderinnen aus praktisch-politischen Erwägungen befürwortet hat. Jedenfalls hat ihn die Problematik nicht losgelassen, und er hat sie in der Gretchen-Tragödie des "Faust" literarisch verarbeitet.
Mit diesem Buch haben die Herausgeberinnen ein Werk vorgelegt, das nicht nur die Juristen interessieren dürfte, sondern das auch für Nichtjuristen lesenswert ist.
Empfohlene Zitierweise:
Rolf Faber: Rezension von: Rebekka Habermas / Tanja Hommen (Hg.): Das Frankfurter Gretchen. Der Prozeß gegen die Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt, München: C.H. Beck 1999, in: INFORM 1 (2000), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=382>
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