header

Wilhelm A. Eckhardt / Helmut Klingelhöfer (Hg.): Bauernleben im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Die Stausebacher Chronik des Caspar Preis 1636 - 1667. Mit einer Einführung von Gerhard Menk (= Beiträge zur Hessischen Geschichte; 13), Marburg/Lahn: Trautvetter & Fischer 1998, 104 S., ISBN 3-87822-110-x, € 15,00

Aus: Geschichtsblätter für Waldeck

Rezensiert von:
Gerrit Walther

Eine wissenschaftliche Edition dieses faszinierenden Dokuments war seit langem ein Desiderat. Denn die Bedeutung des schmalen, nur 98 groß beschriebene Blätter fassenden Büchleins, das unter der Signatur H 317 im Hessischen Staatsarchiv Marburg aufbewahrt wird, geht weit über Waldeck hinaus. Vielmehr sind diese Aufzeichnungen eines klugen Realisten eine Fundgube für jeden, der sich für frühneuzeitliche Sozial-, Alltags-, Wirtschafts-, Militär- oder Mentalitätsgeschichte interessiert. So kann man nur begrüßen, daß im Zuge des 1648er-Jubiläums nun eine kompetente, lesbare, erfreulich wohlfeile Ausgabe des originellen "Ego-Dokuments" zustande kam.

Der kurz vor 1600 in Leidenhofen geborene Bauer Caspar Preis hatte zunächst einen Hof im oberhessischen Schröck bewirtschaftet. 1636 kaufte er von einem Verwandten den ansehnlichen St.-Michaels-Hof in Stausebach im kurmainzischen Amt Amöneburg und zog gemeinsam mit seiner Frau Gerdraut und einer stetig wachsenden Kinderschar dorthin. Mit diesem Ereignis beginnt seine Chronik, die er im Jahre 1659, ihrem vorläufigen Enddatum, wohl anhand älterer Aufzeichnungen in einem Zuge niederschrieb. Er wolle darin, erklärt er in einer Art Vorrede, "ein wenig Bericht thun wegen des blütigen Krigs nach meinem bäuerischem Verstand und was ich selbst mit meinen Augen habe gesehen und an der That mit Schmerzen erfahren habe" (35).

Diese Erfahrungen bestanden vorab aus nahezu unaufhörlichen Heimsuchungen durch eine beutehungrige, brutale Soldateska. Denn im Grenzgebiet zwischen Hessen-Kassel, Hessen-Darmstadt und Mainz, in der Nähe umkämpfter Festungen wie Kirchhain und Amöneburg, lebte die Familie buchstäblich zwischen den Fronten hessischer, schwedischer und kaiserlicher Armeen. Mitunter fast monatlich fielen neue Heere ein: Kontributionen und Verpflegung fordernd, plündernd, zerstörend, stets bereit zu Gewalttaten aller Art. Welcher "Partey" sie angehörten, war gleichgültig. Hemmungslos raubten die Söldner, was sie fanden - von Brennholz und Lebensmitteln über Hausrat und Vieh bis hin zu Menschen. Sie mähten die Wiesen ab, zertraten das Korn auf den Feldern, entwässerten die Fischteiche und hieben - offenbar aus reiner Zerstörungswut - sogar die Obstbäume um (46). Oft genug zwangen sie die Dorfbewohner, ihnen aus den Trümmern der eigenen Häuser Befestigungen zu bauen (55f.). Nur von einem einzigen Mann, einem hessischen Kommandanten, der 1640 kurz für Amöneburg verantwortlich war, weiß Preis Gutes zu berichten. Alle übrigen Soldaten, die er in seiner Chronik schildert, hausten, "als wan es lauter Durken wehren" (42). Man kann daher verstehen, daß er für die politischen Hintergründe des Kriegsgeschehens nicht allzuviel Interesse aufbringt. Und man bemerkt wieder einmal, wie sehr die aktuellen Versuche, die Greuel des Dreißigjährigen Krieges als rhetorische Stilisierungen abzutun, im Chaos eine rationale Strategie zu entdecken, in den Studierstuben akademischer Theoretiker entstanden sind.

Immer wieder unterbricht oder resümiert Preis seine Erzählungen durch Appelle an die Nachgeborenen: "Nuhn bitte ich alle diejenige, so diese Geschicht lesen oder hören lesen, lautter und fleentlich umb Gottes Willen, daß ihr doch wöllet ein wenig stielhalten und euch bedenken und besinnen, was doch wir arme Leuth erlitten haben. Es war Jamer, Angst Noth und Hertzenleyd mit den armen Leuthen in der Zeit. Wir waren so geängstiget und verzaget, das uns auch ein rauschendes Blat verjaget. Und wie ich auch selbst etlich mal, wan der Wint stark hatt geweht und die Schifferstein an der Kirchen geklabert haben, erschrocken sein und auch des Nachts etlich Mal aus dem Bett gesprungen und gemeinet, es ränten Reutter in dem Dorf. Wie haben wir manchmal ein lange Zeit des Nachts nicht dörfen in unsern Heusern schlafen wegen der Räuber, entweder uff der Kirchen oder in den alten verfallene Bäuen"(46).

Das Zitat läßt ahnen, welch ein begabter Erzähler der Mann mit dem "bäuerischen Verstand" ist. Hoch dramatisch schildert er etwa die Episode von der angeschossenen Wölfin, die am frühen Morgen des 16. Mai 1643 auf dem Hof auftaucht, aber keine Vieh, sondern erst den Knecht, dann die Bäuerin anzufallen versucht - aus Rache an den Menschen, wie Preis vermutet ("Also in dem Schmertzen da wolt [sie] an die Leuth") - und erst in einem lebensgefährlichen Kampf bezwungen und erschlagen wird (51-53). Nicht minder packend berichtet er von dem mißlingenden Sturm der Hessen auf Kirchhain, den er 1644 nicht nur aus nächster Nähe erlebt, sondern über den er auch Zeugen aus den Reihen der Angreifer befragt ("Ich habe selber von einem Soltaden gehöret, das er sagt, der Teuffel söll in hollen, er hätte gemeinet, es regnet Stein vom Berg herunter, so wären die Stein umb sie her gesprungen" [55]).

Immer wieder hat Preis Glück im Unglück. Es gelingt ihm, einen Teil seines Besitzes rechtzeitig an sichere Orte wie Kirchhain oder Haina zu bringen. Mehrfach kann er seine karge Ernte, etwa die Wagenladungen voller "Krauthäbter", die er auf den Marburger Markt bringt, zu einem guten Preis verkaufen (50). Er verfügt über Ressourcen - was sich darin zeigt, daß er seine Verluste stets irgendwie ersetzen kann - und offenbar auch über Beziehungen, die ihm erlauben, mit seiner Familie zeitweise in das ruhigere Fritzlar auszuweichen. Trotzdem sieht der Lutheraner, der 1636, beim Wechsel ins Kurmainzische, nur pro forma katholisch geworden ist, in all seinen Erlebnissen nur stets neue Beweise für die Eitelkeit alles Irdischen. "Ich sage es unverhollen , es ist am Weltende", notiert er 1650, am Ende des ersten Teils seiner Aufzeichnungen. "Es ist doch wetter Ehr, Lieb, Trauw noch Glauben mehr in dieser bösen betruglichen Welt. O lieber Herr Gott, kome nur balt und verhelfe uns alle zu deiner Glory und ewiger Seeligkeit. Amen" (72).

Seit 1651 schreibt Preis seine Chronik Jahr für Jahr fort. Es ist eine Erfolgsgeschichte. Gewiß: Immer wieder muß er von harten Wintern, dürren Sommern, Mißernten, Mäuseplagen, Epidemien an Menschen und Vieh berichten - man ist noch mitten in der "kleinen Eiszeit" - , von drückenden Steuern (die auch dazu dienen, die allenthalben einquartierten, abgedankten Söldner ruhig zu halten), von der Unmöglichkeit, fähiges Personal zu bekommen. Auch an Geistlichen herrscht Mangel ("In Stausenbach da kam kein Prister hin" [70]). So beginnt Preis, in der Dorfkirche selbst als Vorbeter, ja als Prediger aufzutreten - anfangs belacht, bald mit wachsendem Zulauf (70). Die aufflammenden Hexenbrände registriert er, findet aber, daß die "erschröcklichen Sachen", die die Delinquentinnen unter der Tortur bekannt haben, "unglaublich wahr" sein könnten (80). Auch darin bewährt sich sein "bäuerischer Verstand".

Der Wiederaufbau schreitet voran. Nicht zuletzt dank eines großzügigen Schuldenerlasses seitens der Obrigkeit können Preis und seine Nachbarn ihre Häuser und die Mühle bald wieder aufbauen (77), den Gemeindewald neu anlegen (83), erste gute Ernten einfahren. Schon 1653 feiert Caspar Preis junior eine üppige Hochzeit mit "dreyzehen Disch Leuth". Von Jahr zu Jahr wächst der Viehbestand, der Hof expandiert - so sehr, daß neidische Nachbarn gegen den Chronisten zu intrigieren beginnen (88-90). Eine neue Normalität stellt sich her. Familienereignisse gewinnen Bedeutung. Die Chronik wird zur lokalen Preis- und Wirtschaftsstatistik. Aber auch ein neues Interesse für hohe Politik erwacht. 1663 macht Preis sich die Mühe, einen Brief des Sultans an den Kaiser, den er in einer Flugschrift oder einem Kalender gelesen haben mag, wörtlich in sein Buch abzuschreiben. Im Spätsommer 1667 schließlich trägt der inzwischen gut siebzigjährige Chronist "mit bereits sehr zittriger Schrift" (so der Editionsbericht) letzte Reflexionen ein: "Die Warheyt ist mir gesagt worten, im 1667. Jahr da wert ich in sterben. Das weys Gott, ich weys aber nit. Gott dem Almechtigen sey ales heimgestelt. Er machts mit mir, wies im gefelt" (103).

Eine Reihe wohlgewählter Abbildungen (Faksimiles, Fotografien der Familiengrabmäler, Stiche aus zeitgenössischen Karten) und zwei kundige Einführungen runden das Bild. Wilhelm A. Eckhardt rekonstruiert anhand Marburger Akten die Genealogie der Familie Preis. Gerhard Menk gibt eine Darstellung der Forschungsgeschichte zum Dreißigjährigen Krieg, wie man sie in dieser konzisen Informationsdichte anderswo kaum lesen kann. So ist aus der Edition einer regionalen Quelle eine Publikation von internationalem Niveau geworden.

Empfohlene Zitierweise:

Gerrit Walther: Rezension von: Wilhelm A. Eckhardt / Helmut Klingelhöfer (Hg.): Bauernleben im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Die Stausebacher Chronik des Caspar Preis 1636 - 1667. Mit einer Einführung von Gerhard Menk, Marburg/Lahn: Trautvetter & Fischer 1998, in: INFORM 1 (2000), Nr. 5, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=393>

Bitte setzen Sie beim Zitieren dieser Rezension hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse ein.

footer