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Peter Englund: Die Verwüstung Deutschlands. Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart: Klett-Cotta 1998, 712 S., ISBN 3-608-91734, DM 68,50

Aus: Württembergisch Franken (Bd. 83 (1999), S. 411-413)

Rezensiert von:
Daniel Stihler

Genau 350 Jahre nach dem Abschluß des Westfälischen Friedens erscheint diese großangelegte Darstellung jener Kette kriegerischer Auseinandersetzungen, die sich als die Katastrophe des "Dreißigjährigen Kriegs" in das Bewußtsein der Deutschen eingebrannt hat. Peter Englund, Historiker aus Uppsala, legt mit diesem Band den ersten Teil einer Trilogie vor, die das gesamte 17. Jahrhundert aus der Perspektive der damaligen Großmacht Schweden betrachten soll. Deshalb bildet - etwas überraschend - eine dramatische Schilderung der Schlacht bei Warschau 1656 den Auftakt des Buchs. Als "roter Faden" dient das Leben des schwedischen Festungsbaumeisters und Militäradministrators Erik Jönsson, geadelt Dahlberg (1625-1703), der ein ausführliches Tagebuch hinterlassen hat. Von der Person Jönssons ausgehend, zeichnet der Autor mit kräftigen Farben ein weitgespanntes kultur- und alltagsgeschichtliches Panorama des "eisernen Zeitalters", das vom Weltbild der Menschen über das Familienleben, über Medizin und Aberglauben oder den Mühsalen des Reisens bis hin zum Zeitgefühl reicht und verdeutlicht, wie weit der große Krieg alle Bereiche des menschlichen Lebens beeinflußte und veränderte. Besonders klar tritt die erzählerische Meisterschaft Englunds bei den Schilderungen des Soldatenlebens, bei den großen Schlachten und Belagerungen wie Lützen, Nördlingen, Wittstock, Jankau oder Prag zu Tage. Virtuos wechselt er zwischen der taktische und strategische Zusammenhänge verdeutlichenden Vogelperspektive zur Nahaufnahme des Kampfgetümmels mit allen seinen Schrecken, und dies mit einer stilistischen Brillanz, die man bei einem Historiker nur selten antrifft. Unverkennbar gilt die Sympathie den Namenlosen, den einfachen Menschen, die von der Kriegsmaschinerie verschlungen wurden. Vom "barocken Glanz" bleibt in diesem realistischen Bild des Krieges und seiner Schrecken wenig übrig; banal, trist und primitiv erscheint er, voller Strapazen und Krankheiten, fernab von Ehre, Abenteuer und Schönheit. "Meistens bestand dieser Krieg - wie alle Kriege - vor allem aus Warten und Schlafen und Warten und Gähnen und Warten auf ein Etwas, das nie zu geschehen oder zu kommen scheint und das, wenn es geschieht oder kommt, dies nur allzu schnell tut; ein Leben von großer und fast grandioser Monotonie, in dem die Tristesse dann und wann plötzlich für ein paar kurze Stunden eine Kakophonie von Entsetzen und schrillen Greueln erlebt, ja zuweilen sogar sublime Augenblicke von Schönheit und sogar Glück, wonach alles still wird und der Überdruß und die Kälte und die Nässe und der Dreck und der knurrende Hunger und der Fieberwahn und das Husten und die Läuse und die Fliegen und die Mücken und die Blasen und die Schulterschmerzen und die Müdigkeit in den Beinen sich von neuem einstellen" (S. 303-304). Diese Nahaufnahmen einer aus der Bahn geratenen Welt, die viele glauben ließ, es "sei nun gewiß, daß kein Gott ist" (S. 469), machen Englunds Buch zu einer stellenweise fesselnden Lektüre, die man nur ungern aus der Hand legt.

Der Schwerpunkt liegt auf den späten Jahren des Krieges, die in ihrem blutigen Durcheinander ohne dominierende Persönlichkeiten wie Wallenstein oder Gustav Adolf offenbar häufig die Geduld der Historiker überforderten und andernorts oft eher kursorisch abgehandelt werden.

Doch ist auch Kritik festzuhalten. Die Fülle der angesprochenen Bereiche bringt wohl zwangsläufig mit sich, daß das eine oder andere Thema etwas zu kurz kommt und man sich bei manchem auch eine etwas differenziertere Darstellung gewünscht hätte. Die Verknüpfung des Geschehens mit der Vita Jönssons/Dahlbergs wirkt gelegentlich etwas künstlich - angesichts seines Geburtsjahres 1625 hatte dieser direkt nur wenig mit dem Krieg zu tun. Schwerwiegender aber ist der Mangel an umfassenderen Analysen vor allem der politischen Zusammenhänge. Hier bleibt vieles vage, v. a. wenn Schweden nicht direkt betroffen ist. Sieht man von einigen schwedischen Hauptdarstellern wie Gustav Adolf, Oxenstierna, Banér oder dem späteren König Karl Gustav ab, so bleiben auch die das Geschehen der Zeit bestimmenden Personen blaß und teilweise fast unsichtbar. Wallenstein, Johann Georg von Sachsen oder Kaiser Ferdinand II. werden eher karikiert als portraitiert, andere zentrale Gestalten wie der "Winterkönig" Friedrich von der Pfalz, Maximilian von Bayern, Richelieu, Mazarin, Olivarez oder Papst Urban VIII. kaum erwähnt. Auch wenn dies andernorts - etwa in C. Wedgwoods klassischer Darstellung von 1938 - oft genug abgehandelt wurde: etwas mehr hätte es schon sein dürfen.

Trotzdem hat Englund ein sehr lesenswertes Buch geschrieben. Wer sich weniger für Diplomatie und "hohe Herrschaften", sondern das Leben der einfachen Bürger, Bauern und Soldaten in dieser chaotischen Zeit interessiert, findet hier eine für ein Sachbuch ungewöhnlich fesselnde und dabei sehr fundierte Darstellung. Man kann gespannt auf die beiden Folgebände sein.

Empfohlene Zitierweise:

Daniel Stihler: Rezension von: Peter Englund: Die Verwüstung Deutschlands. Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart: Klett-Cotta 1998, in: INFORM 2 (2001), Nr. 1, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=401>

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