Hans Erich Bödeker / Gerald Chaix / Patrice Veit (Hg.): Le livre religieux et ses pratiques. Etudes sur l'histoire du livre religieux en Allemagne et en France à l'epoque moderne; Der Umgang mit dem religiösen Buch. Studien zur Geschichte des religiösen Buches in Deutschland und Frankreich in der frühen Neuzeit (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; Bd. 101), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1991, 415 S., ISBN 3-525-35638-2, DM 86,00
Aus: Württembergisch Franken (Bd. 83 (1999), S. 430 f.)
Rezensiert von:
Esther Schinke
Das religiöse Buch ist eine besonders wichtige Quelle für die Geschichte der religiösen Mentalitäten und Glaubensvorstellungen. Die in deutsch, französisch oder englisch geschriebenen Beiträge dieses Sammelbandes sind aus einer im März 1988 veranstalteten deutsch-französischen Tagung in Göttingen hervorgegangen, deren Thema der Umgang mit dem religiösen Buch zwischen dem 15. und dem 19. Jahrhundert war. Die allgemeine Fragestellung des Umgangs mit religiösen Büchern unterteilt sich in drei Problemkomplexe, deren Untersuchung sich als roter Faden durch die Beiträge des Bandes zieht: (a) die Eingrenzung auf einen geographischen und zeitlichen Raum, d. h. auf Deutschland und Frankreich in der Neuzeit; (b) die Bedeutung des Begriffs "religiöses Buch" (Was war ein religiöses Buch in der frühen Neuzeit?) und (c) die Definition der Gebrauchsweisen des religiösen Buches. Dabei werden die Formen des Umgangs mit sowie die Rolle und Funktion des religiösen Buches untersucht.
Das Bestreben des Sammelbandes ist es, den Umgang mit dem religiösen Buch in exemplarischen Fallstudien zu rekonstruieren, um u. a. den Zusammenhang zwischen Religiosität und religiösem Buch zu beleuchten. Mikroanalysen werden bevorzugt, um die Komplexität des Forschungsfeldes wiederzugeben und um Ansätze für neue Interpretation anzubieten. Ziel des Bandes ist damit nicht, "abschließende Ergebnisse" darzulegen, sondern eine "erste theoriegeleitete Problemskizze, einen Themenumriß auszuarbeiten" (S. 21). Dies ist den Autoren auch gelungen. 14 Beiträge aus sechs Themenbereichen beleuchten jeweils einen besonderen Aspekt des Umgangs mit dem religiösen Buch. Der erste Themenbereich beschäftigt sich mit der Produktion, Distribution und Rezeption religiöser Bücher. Nach einem Aufsatz über die religiöse Buchproduktion in Deutschland und Frankreich im 19. Jahrhundert (F. Barbier) folgt eine Abhandlung über die Rolle und den Einfluß der Lesevereine auf dem Lande am Beispiel eines Dorfes in Niedersachsen (K-H. Ziessow). Die dritte Fallstudie behandelt das Leben und Werk des Autodidakten und religiösen Autors des 18. Jahrhunderts Elias Artista, geboren als Johann Daniel Müller (R. Breymayer). Der zweite Themenkomplex, das religiöse Buch als Symbol einer kulturellen und konfessionellen Identität, wird am Beispiel der Provence (G. Audisio), der Hugenotten (P. Benedict), Böhmens (M.- E. Ducreux) und Altwürttembergs (H. Medick) untersucht. Das dritte Thema - das religiöse Buch und die Katechese - beleuchten drei Fallstudien: die Mission der Jesuiten in den deutschen Gebieten (L. Chatellier), Bauernpredigten (I. Tomkowiak) und Barockpredigten (F. M. Eybl). Der vierte Bereich über die Aneignungen von Gebets- und Gesangbüchern ist anhand der Gebetbücher in Deutschland (B. Vogler) sowie der Gesangbücher in Frankreich (J. Queniart) und Deutschland (C. Maurer) dargestellt. Drei Beiträge widmen sich dem fünften Thema, Frauen und religiöse Bücher. Nach einer Fallstudie, die die Lesegewohnheiten der Frauen im 17. Jahrhundert am Beispiel der Leichenpredigten untersucht (C. Niekus Moore) folgt ein Beitrag über den Zusammenhang von Buch und religiöser Erfahrung von Frauen im 18. Jahrhundert (U. A. J. Becher). Der dritte Aufsatz behandelt das Thema Gebetbücher für Frauen im 19. Jahrhundert (E. Saurer). Der letzte Themenbereich - das religiöse Buch in Bezug auf Verinnerlichungsprozesse - ist mit zwei Fallstudien vertreten. Die erste stellt Gerhard Teerstegen und die Tradition erbaulicher Briefausgaben dar (U. Mennecke-Haustein), die zweite die Leidensbewältigung durch die christliche Andacht anhand der Devotionsliteratur des 17. und 18. Jahrhunderts (R. Schenda).
Alle Aufsätze geben nicht nur einen guten Einblick in den bisherigen Forschungsstand, sondern erweitern diesen auch. Der Sammelband weist in der Tat auf neue Fragestellungen und neue Forschungsperspektiven hin. So ist etwa die seither vorherrschende These von einem konfessionell unterschiedlichen Buchklima in dreierlei Hinsicht zu modifizieren. Zum ersten haben die Beiträge des Bandes herausgestellt, daß sich, entgegen der allgemeinen Auffassung, die katholische und protestantische Erbauungsliteratur sehr ähnlich waren. Zweitens haben sich die protestantische und katholische religiöse Literatur wechselseitig beeinflußt. Drittens schließlich muß auch die Vorstellung eines bilderreichen Katholizismus gegenüber einem bilderarmen Protestantismus revidiert werden. Die Vielfältigkeit der Themen und die breit gefächerten Fallstudien sind besonders hervorzuheben, da viele Leserinteressen dadurch geweckt oder abgedeckt werden.
Empfohlene Zitierweise:
Esther Schinke: Rezension von: Hans Erich Bödeker / Gerald Chaix / Patrice Veit (Hg.): Le livre religieux et ses pratiques. Etudes sur l'histoire du livre religieux en Allemagne et en France à l'epoque moderne; Der Umgang mit dem religiösen Buch. Studien zur Geschichte des religiösen Buches in Deutschland und Frankreich in der frühen Neuzeit, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1991, in: INFORM 2 (2001), Nr. 1, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=408>
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