header

Michael Maurer: Kirche, Staat und Gesellschaft im 17. und 18. Jahrhundert (= Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 51), München: Oldenbourg 1999, IX + 146 S., ISBN 3-486-55794-7, DM 68,00

Aus: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde, 2000, S. 154-155

Rezensiert von:
Eva Heller-Karneth

Mit Band 51 der Enzyklopädie deutscher Geschichte liegt nun der dritte von insgesamt vier projektierten Bänden zum Themenblock Religion und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit vor. Der seinem Lehrer, dem Nestor der Erforschung des "konfessionellen Zeitalters" Ernst Walter Zeeden, gewidmete Band von Michael Maurer folgt dem vorgegebenen Gliederungsschema der Enzyklopädie und beinhaltet die drei für diese Reihe typischen Blöcke: einen einleitenden enzyklopädischen Themenüberblick (I), die Darstellung von Grundproblemen und Tendenzen der Forschung (II) sowie Hinweise zu den Quellen und zur Literatur (III).

Der enzyklopädische Überblick zum Thema Kirche, Staat und Gesellschaft im 17. und 18. Jahrhunden umspannt einen Zeitraum von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis in die Zeit um 1800. Als Eckmarken fungieren einerseits der Augsburger Religionsfriede mit dem die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Ordnung der konfessionellen Verhältnisse geschaffen und der Bikonfessionalismus im Deutschen Reich anerkannt worden waren; andererseits die Jahrzehnte vor und nach der Wende zum 19. Jahrhundert, die auf Grund der durchgreifenden Veränderungen im gesellschaftlichen ökonomischen wie auch im kulturellen Bereich und den damit verbundenen Auswirkungen nicht zuletzt auf die Entwicklung der Konfessionen sowie das Verhältnis zwischen Kirche, Staat und Gesellschaft gemeinhin als Zäsur gelten.

Entgegen dem in den Geschichtswissenschaften gängigen Einschnitt, der mit dem Westfälischen Frieden in der Mitte des 17.&nsbp;Jahrhunderts gesetzt wird, knüpft Maurer an Überlegungen einer Schwellenzeit um 1600 an und gliedert die umrissene Zeitspanne nach Jahrhunderten. Diese Gliederung gibt ihm die Möglichkeit, bei der Bestimmung des Verhältnisses und Zusammenspiels zwischen Kirche, Staat und Gesellschaft den Blick mehr als bisher auf Gemeinsamkeiten (Tendenz zur Säkularisierung und Pluralisierung) des 17. und 18. Jahrhunderts zu richten, mithin diese beiden Jahrhunderte als eine Einheit zusammenzufassen, die von den Jahrhunderten davor und danach abzugrenzen ist.

Das erste, "Voraussetzungen" überschriebene Kapitel ist dementsprechend den Folgen der Reformation, der Konfessionalisierung und der Anerkennung des Mehrkonfessionalismus im 16. Jahrhundert gewidmet. Es beinhaltet eine Charakterisierung der vorreformatorischen Kirche, ihrer Stellung und Bedeutung im Reich sowie eine Darstellung der wesentlichen Veränderungen der katholischen Kirche seit dem Tridentinum, der Entwicklung und Etablierung der lutherischen Landeskirchen, der Verfolgung bzw. Marginalisierung von außerkirchlichen religiösen Gruppierungen. Die Ausführungen zur Bedeutung und Rolle konfessioneller Auseinandersetzungen in der und für die Landes-, Reichs- und Ständepolitik bis zum Westfälischen Frieden nehmen breiten Raum des zweiten Kapitels - "Das 17. Jahrhundert" - ein und kulminieren im zweiten Abschnitt mit der Bewertung des Westfälischen Friedens. Dieser brachte - im Gegensatz zum Augsburger Religionsfrieden - nunmehr eine konsequente Verrechtlichung der Konfessionsdifferenz mit der Folge einer Entkonfessionalisierung der Politik und schuf damit die Voraussetzungen für die Ausbildung des neuzeitlichen säkularen Staates. Zudem bedeutete der Westfälische Friede durch die reichsrechtliche Anerkennung des Calvinismus auch die des Trikonfessionalismus.

Thematische Schwerpunkte für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts bilden - vor dem Hintergrund der Einheit des Christentums - die verschiedenen Ansätze, Versuche, Projekte und Ideen zur Reunion und Konversion der Konfessionen, die Entwicklung der katholischen Kirche zur Volkskirche mit ausgeprägten sinnenfrohen Frömmigkeitsformen ("katholische Barockfrömmigkeit"), die Sonderstellung der geistlichen Staaten sowie die Anfänge des Pietismus als eine von Frankfurt seit den 1670er Jahren ausgehende Sonderform des Protestantismus, die durch eine stärkere Diesseitsorientierung und durch einen ausgeprägten Willen zur Reform der bestehenden Verhältnisse gekennzeichnet war.

Der Pietismus dient dem Autor in mehrfacher Hinsicht als Bindeglied. Denn er schafft nicht nur den "nahtlosen" Übergang zum dritten Kapitel und zum "18. Jahrhundert", sondern gleichermaßen auch zur Aufklärung und zum "Prinzip der Vernunft". Dazu stellt Maurer zunächst die sehr verschiedenen Ausprägungen des Pietismus - von der staatstragenden, in der Landeskirche verankerten Religion bis zu den Formen völliger Ablehnung des landeskirchlichen Regiments und der Loslösung von diesem - vor, um resümierend festzuhalten, daß nicht nur die Vertreter des systemtragenden, sondern insbesondere auch die des radikalen Pietismus ihren Anteil an der historischen Entwicklung hatten. Durch ihre publizistische Tätigkeit läßt sich gerade für letztere ein Zusammenhang mit der auf die Freiheit des Wortes und der Entfaltung des literarischen Marktes setzenden Aufklärung herstellen. Zur Klärung der Frage, welchen Einfluß die Aufklärung auf die Entwicklung des Protestantismus und Katholizismus im 18. Jahrhundert ausübte, rekurriert Maurer auf deren "Vernunftprinzip", das in zwei zwar gegensätzlichen, aber komplementären Erscheinungsweisen auftrat: Kritik und Systemdenken. Beide Komponenten fanden sich - wenngleich in unterschiedlicher Gewichtung - sowohl im Protestantismus als auch im Katholizismus. Aufklärerisches Gedankengut und Säkularisierungsbestrebungen setzten sich nicht nur in dem sich im 18. Jahrhunden tiefgreifend verändernden Protestantismus, sondern - wie Maurer ausführlich am Beispiel der Reformen in Österreich darlegt -, zwar nicht so radikal wie im Protestantismus, auch in katholischen Territorien des Reiches durch.

Mit der Säkularisierung war ein Endpunkt erreicht, an dem der Zusammenbruch des alten Reiches und der Reichskirche, aber auch der Neuanfang der katholischen Kirche sowie die Anerkennung konfessioneller Parität stand. Gerade letztere war - so der zusammenfassende Rückblick des vierten Kapitels "Um 1800" - jedoch keineswegs erst das Ergebnis der jüngsten Ereignisse (Französische Revolution und Niederlage gegen Napoleon), sondern, wie die in den vorhergehenden Kapiteln genannten Stationen (Augsburger Religions-, Westfälischer Friede, Aufklärung) deutlich gemacht haben dürften, vielmehr das Ergebnis eines sich über Jahrhunderte hinziehenden Prozesses und in der deutschen Verfassungsentwicklung selbst angelegt.

Mit einem Ausblick auf die Unionsbestrebungen und -realisierungen im Protestantismus und der Wiedererrichtung des katholischen Kirchenstaates in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts endet der historische Abriß.

Der zweite Teil "Probleme und Tendenzen der Forschung" enthält eine komprimierte Zusammenfassung der Forschungsgeschichte und ist in drei Abschnitte untergliedert. Im ersten Abschnitt liefert Maurer eine allgemeine Einführung zu den sich mit der Thematik der Konfessionalisierung und ihren Folgen beschäftigenden Disziplinen (die verschiedenen Zweige der Geschichtswissenschaften: allgemeine, Religions-, Kirchen-, Sozial-, Landes-, Kulturgeschichte und Theologie), zur Epochenproblematik und zur Historiographie. Letztere versteht sich als kritischer Literaturbericht anhand und mit Hilfe dessen Forschungsrichtungen und Fragestellungen der Disziplinen beleuchtet und einzelne Epochenabschnitte (die Zeit der Orthodoxie, des Pietismus, der Aufklärung) ausführlicher behandelt werden.

Das Nämliche gilt für die beiden folgenden thematischen Blöcke "Kirche und Staat" bzw. "Kirche und Gesellschaft". Von diesen möchte ich - wenn auch ohne Ignoranz - für eine Besprechung in einer volkskundliche Zeitschrift, besonders das Kapitel "Kirche und Gesellschaft" hervorheben und auf die hier erörterten, zum Teil erst in jüngerer Zeit entwickelten Forschungsansätze hinweisen. Anzuführen wären das Konzept der Sozialdisziplinierung, Fragen zur Bedeutung der Kirchenzucht, zur Rolle der Kirche auf dem Feld der Bildung, zur Sozialgeschichte des katholischen und protestantischen Klerus bis hin zur Stellung der protestantischen Pfarrfrau, zur Wirkung des Pietismus oder die Frage nach dem Umgang und dem Zusammenleben der Konfessionen miteinander resp. der Toleranz.

Der dritte Teil hält eine für die Reihe charakteristische reichhaltige Auswahl an Hinweisen zu Quellen, Hilfsmitteln sowie ein- und weiterführender Literatur bereit. Komplettiert durch ein Personen-, Orts- und Sachregister wird Band 51 somit zu einem verläßlichen Nachschlagewerk und seiner Aufgabe als Arbeitsinstrument sowohl für den interessierten Laien als auch den Fachhistoriker gerecht. Unverständlich und zu bemängeln bleibt m. E. allerdings, warum der Verfasser im Gegensatz zu einer Vielzahl anderer Autoren in der Reihe der "Enzyklopädie deutscher Geschichte" auf eine einführende Einleitung verzichtet, in der er die Grundzüge und die wesentlichen Aussagen knapp und auf den Punkt gebracht vorstellt.

Empfohlene Zitierweise:

Eva Heller-Karneth: Rezension von: Michael Maurer: Kirche, Staat und Gesellschaft im 17. und 18. Jahrhundert, München: Oldenbourg 1999, in: INFORM 2 (2001), Nr. 2, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=425>

Bitte setzen Sie beim Zitieren dieser Rezension hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse ein.

footer