Hellmut G. Haasis: Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß. Finanzier, Freidenker, Justizopfer, Reinbek: Rowohlt 1998, 478 S., ISBN 3-498-02917-7, DM 48,00
Aus: Württembergisch Franken (Bd. 84 (2000), S. 382 f.)
Rezensiert von:
Ingeborg Kottmann
Ein schon im Titel genanntes Wort ist das Leitthema des Buches: Es geht um den Nachweis eines Justizopfers. Folgerichtig nehmen die Haft, die Verteidigungstrategie und der Prozeß über ein Drittel des Buches ein. Haasis ist angetreten, das bisherige klischeehafte Bild von Jud Süß durch die Lebensgeschichte des Joseph Süß Oppenheimer zu ersetzen. Dabei soll Joseph Süß "in voller Lebenskraft" erscheinen, "sein Privatleben nicht länger einer neidverzerrten Phantasie überlassen oder einfach gestrichen werden" (S.8).
Haasis gibt in seinem Werk einen Einblick in die jüdische Lebenswelt zur Zeit von Joseph Süß, zugleich schildert er ein Stück Geschichte der Kurpfalz und Württembergs und verdeutlicht, wie wirtschaftliche Interessen durch religiöse Argumente verschleiert werden. Auch den Konkurrenzkampf der Juden untereinander läßt er nicht unerwähnt. Für das Verhalten von Joseph Süß waren laut Haasis die damalige Machtverteilung und die Streitigkeiten prägend. Er legt überzeugend dar, daß Joseph Süß 1698 als eheliches Kind zur Welt kam, ein bis heute oft anders dargestelltes Faktum. Sehr gut werden die einzelnen Stationen seines Lebens aufgezeigt, die gleichzeitig einen Einblick in die Zeit des Absolutismus mit ihren strengen Vorschriften bzgl. Moral gewähren. Alles wird aus dem Blickwinkel des im Gefängnis Sitzenden aus gesehen: seine Geschäfte, seine Ansichten vom Judentum, sein Verhältnis zur Mutter, seine Frauengeschichten, seine Beziehung mit der Lebensgefährtin Luciana Fischer, die wegen Konkubinat verhört wurde, seine Haft, sein Prozeß und seine Hinrichtung.
Die Sprache ist allgemeinverständlich, nur scheint an einigen Stellen die Polemik unangebracht. Manche Formulieren lesen sich etwas sehr salopp, so z.B.: "Die Hofkammer bestätigte jeden Monat mehrmals, Süß' Forderung sei gerechtfertigt, der Magistrat zahlte nicht, und der Kurfürst wußte nicht, wo ihm der Kopf stand" (S. 69), oder: "Süß hatte dem Hof eine heiße Kastanie aus dem Feuer geholt" (S. 106). Auch der Autor macht in Ansätzen, was er den bisherigen Biographen und Historikern vorhält: er pauschaliert. Bei ihm gibt es etwas zu viel "den guten Süß" und die "schlechte Regierung und Bevölkerung" (S.52f). So erscheint jeder, der sich in der Zeit schlecht über ihn geäußert hat, als Antisemit, der nur die Vernichtung der Person Süß im Auge hat. Joseph Süß genießt die Sympathie des Autors eindeutig. Süß ist für Haasis der Erneuerer des modernen Staates mit sicheren Ein- und Ausgaben und einer Reform von Beamtenschaft und Wirtschaft. Haasis ist von der Formulierkunst in den Briefen und von der Verhandlungstaktik von Süß begeistert. Er versucht, nicht ganz legale Geschäfte von Süß möglichst positiv darzustellen. Immerhin werden Widersprüche, die von heute aus nicht mehr nachvollzogen werden können, stehen gelassen und nicht wie bei früheren Autoren zu einem Spekulationsobjekt gemacht. Offen bleibt die Frage, inwieweit Süß politische Intrigen durchschauen konnte. Ein gutes Beispiel dafür ist die Geschichte von Süß und Salomon Mayer, der sich im Prozeß "als Zeuge bemüht, den Konkurrenten um Kopf und Kragen zu reden" (S. 162). Süß hatte Mayer wieder ins Armeegeschäft gebracht.
Sehr gut sind die Quellenzitate und die Erklärung von heute nicht mehr gebräuchlichen Begriffen. Leider werden die Quellen nur pauschal genannt, so daß eine Nachkontrolle erschwert wird. Anmerkungen wären für den Fachkundigen geeigneter. Ein Sach- und Personenregister erleichtert es dem Leser, Bezüge herzustellen. Alles in allem ein amüsantes, spannend zu lesendes Buch, das einige Klischees zurecht rückt, leider aber Joseph Süß Oppenheimer ein klein wenig zu hoch in den Himmel hebt.
Empfohlene Zitierweise:
Ingeborg Kottmann: Rezension von: Hellmut G. Haasis: Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß. Finanzier, Freidenker, Justizopfer, Reinbek: Rowohlt 1998, in: INFORM 2 (2001), Nr. 3, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=433>
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