header

Ulrich Andermann / Kurt Andermann (Hg.): Regionale Aspekte des frühen Schulwesens (= Kraichtaler Kolloquien; Bd. 2), Epfendorf: bibliotheca academica 2000, 260 S., ISBN 3-928471-27-9, DM 59,00

Aus: Nassauische Annalen (Bd. 112 (2001), S. 644 f.)

Rezensiert von:
Otto Schlander

Der Rückblick in die Vergangenheit ist wieder zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Wie die Menschen in anderen Landschaften auch pflegen die Kraichtaler im Südwesten der Republik ihre Traditionen. Um diese einem breiteren Publikum vorzustellen, veranstalten sie ihre Kraichtaler Kolloquien. Die im Mai 1998 durchgeführte Tagung untersuchte Aspekte des frühen Schulwesens, einmal im Kraichgau selbst und schließlich auch im gesamten Südwesten und teilweise auch im Westen des Alten Reiches. Die einer interessierten Öffentlichkeit vorgetragenen Referate liegen nunmehr im 2. Band der Kraichtaler Kolloquien vor.

Wenn wir heute über die Uneinheitlichkeit unseres Schulwesens und die damit verbundenen negativen Auswirkungen klagen, so belehrt uns die in dem Band vorgenommene Darstellung mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Schulverhältnisse auf eindrucksvolle Weise, daß sich das Bildungswesen in der Vergangenheit ebenfalls außerordentlich vielfältig entfaltete. In einem weit stärkeren Maße, als es das heutige föderalistische System mit der Kulturhoheit der Bundesländer bedingt, war das frühere Schulwesen in all seinen Zweigen zersplittert. Jede Herrschaft, ob groß oder klein, ob geistlich oder weltlich, strebte nach ihrer eigenen Schule. Bei der Vielzahl der in die Untersuchungen einbezogenen Territorien fällt allerdings auf, daß die der ritterschaftlichen Herrschaft weitgehend ausgespart bleiben. Gerade in diesem Bereich harren noch weiße Flächen der Beschriftung. Die Beiträge in dem Sammelband spiegeln die extreme Unterschiedlichkeit, welche das auffallendste Charakteristikum des alten Bildungswesens darstellt, wider.

Es ist ein Vorzug des Bandes, daß sämtliche in ihm enthaltenen Beiträge auf gründlichen Studien der einschlägigen Quellen beruhen. Da diese aber weithin nur punktuelle Aufschlüsse zu einer Schule zu einer bestimmten Zeit liefern, müssen in fast notwendiger Weise die einzelnen Referate als ein Nebeneinander von aufgeführten Fundstellen erscheinen. Dem Leser bleibt es überlassen, das Verbindende zwischen den vorgestellten zahlreichen Details selbst herzustellen. So stößt er immer wieder auf das stark ausgeprägte konfessionelle Element der Schulen, das in der Aufklärungszeit Einschränkungen hinnehmen mußte. Die Lektüre eröffnet und bestätigt Erkenntnisse über die weithin miserable Lage des Lehrerstandes, wenn ein solcher Ausdruck überhaupt angemessen ist. Die Lehrer erscheinen generell als schlecht vorgebildet, miserabel besoldet und als Außenseiter der agrarischen Gesellschaft auf dem Land und der Welt der Händler und Kaufleute in der Stadt. Ein Einblick wird vermittelt in das bunte Treiben und auch in die Not der Scholaren, jener jungen Leute, die in ihrem Bildungsstreben ihre Heimat verließen und sich oft mehr schlecht als recht in der Fremde bei bekannten Schulmeistern oder in Zwergschulen, wie wir heute diese Anstalten nennen würden, ihr Maß an Bildung vermitteln ließen.

Etwas aus dem Rahmen des Gesamtbandes fällt der letzte Beitrag (Verf. Bernd Wunder) über die Verstaatlichung der Volksschule im 19. Jh. Dem Autor gelingt es, weite Bogen zu schlagen, die über den im Titel genannten Berichtszeitraum weit hinausreichen, teilweise von der Aufklärungszeit bis hin zu Entwicklungen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland nach 1950 vollzogen. Er kennzeichnet die Modernisierung der Schule als Bürokratisierung, Säkularisierung und Professionalisierung des Lehrerstandes. Wünschenswert wären bei der Darstellung der schulischen Trends in der nachnapoleonischen Zeit einige Hinweise auf die Bedeutung gewesen, welche die Kommunen bei den genannten Prozessen spielten. Bei allen staatlichen Aktivitäten wurde eben doch die (Volks) Schule vor allem als Aufgabe der Städte und Gemeinden gesehen. Dies bestätigen die Einladungen an die Bürger zur Teilnahme an den Prüfungen, denen auch entsprochen wurde. Die genannten Merkmale sollten um das der Kommunalisierung ergänzt werden. Voll setzte sich der Einfluß des Staates erst nach dem Ersten Weltkrieg durch mit der frühen Schulgesetzgebung in den deutschen Staaten in der Weimarer Zeit.

Die Publikation der Kraichtaler enthält unzählige für den Schulhistoriker interessante und aufschlußreiche Einzelheiten. Einbezogen werden je nach Notwendigkeit die Einflüsse der zeitgenössischen Strömungen, wie die der Reformation, des Pietismus, der Aufklärung und des Absolutismus. Trotz aller positiven Elemente bleibt ein Rest an Erwartung erhalten. Es bleibt die Suche nach dem berühmten "roten Faden" im Leser erhalten. Es könnte sein, daß bei einer derart aufgespaltenen Materie und auch bei Grundsätzen, die für einen Sammelband gelten, der sich zudem noch den Aspekten verschrieben hat, eine durchgehende Konstante sich nicht herausbilden kann. Es bleibt der Einblick in eine bunte und vielfältige Welt, die zwar untergegangen ist, aber dennoch die Grundlage für das moderne Bildungswesen bildet. Nicht am unwichtigsten sollte es sein, aus dem Band heraus die Aufforderung zu vernehmen, auch für die zahlreichen nicht in die Untersuchungen einbezogenen Territorien nach den Traditionen des Schulwesens zu forschen.

Empfohlene Zitierweise:

Otto Schlander: Rezension von: Ulrich Andermann / Kurt Andermann (Hg.): Regionale Aspekte des frühen Schulwesens, Epfendorf: bibliotheca academica 2000, in: INFORM 2 (2001), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=455>

Bitte setzen Sie beim Zitieren dieser Rezension hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse ein.

footer