Gerhard Menk (Hg.): Landgraf Moritz der Gelehrte. Ein Kalvinist zwischen Politik und Wissenschaft (= Beiträge zur Hessischen Geschichte; Bd. 15), Marburg/Lahn: Trautvetter & Fischer 2000, 264 S., ISBN 3-87822-112-6, DM 49,80
Aus: Nassauische Annalen (Bd. 112 (2001), S. 668)
Rezensiert von:
Klaus-Peter Decker
Die Persönlichkeit des Landgrafen Moritz von Hessen (1572-1632) und das Umfeld seines Kasseler "Musenhofes" sind seit der großen Ausstellung von 1997/98 in Schloß Brake und in Kassel auch einem breiteren Publikum nahe gerückt. Der vorliegende Band vereinigt eine Auswahl von Referaten aus einem wissenschaftlichen Kolloquium im Vorfeld dieses Unternehmens, ergänzt um einige Marburger Vorträge und zwei eigens hierfür verfaßte Beiträge. Sie alle kreisen um einen Renaissancefürsten an der Schwelle der Moderne, dessen Bild immer schon als extravagant und höchst widersprüchlich empfunden wurde: ausgestattet mit einer Vielzahl intellektueller Fähigkeiten und breiter musischer Begabung, offen für Reformen, ehrgeizig und von rastlosem persönlichem Einsatz, fehlte ihm doch in entscheidenden Phasen Maß und Geduld, um diese Fähigkeiten umzumünzen, vor allem im konfessionspolitischen Spannungsfeld. Dieses Bild wird nicht umgestürzt, aber um wesentliche Facetten bereichert und vor allem stärker in den Fluß der geistigen und politischen Entwicklungen in Westeuropa eingebunden.
Dies ist auch ein Ergebnis der angeschwollenen Literatur über die lange nur unter Krisensymptomen beurteilte Epoche. Dem Hrsg. bietet die umfangreiche Einleitung denn auch Gelegenheit, seine stupende Kenntnis der internationalen Forschung zu dieser Zeit auszubreiten und die Stellung von Moritz zwischen dem Streben nach politischer Größe und wissenschaftlicher Beherrschung des Politischen auszuloten, was um so wichtiger ist, als den Bündnisbestrebungen des Landgrafen wie auch seiner Militärpolitik sonst kein eigener Beitrag gewidmet ist.
Gerhard Menk behandelt auch ausführlich die Konfessionspolitik des Landgrafen anhand der berühmten "Verbesserungspunkte", dem Versuch der Einführung des Kalvinismus in dem ihm zugefallenen Oberhessen, aber mit unüberlegten Mitteln und auf schwankendem Wege, was letztlich zum Scheitern führte. Dies gewinnt Farbigkeit durch das Aufrollen von Details, etwa beim Konflikt um einzelne Dörfer bei Amöneburg, wo noch Kurmainzer Patronatsrechte wirksam waren, oder zur abschreckenden Wirkung von Dilichs "Chronica" auf potentielle Verbündete.
Auch bei Werner Troßbach bildet die "Zweite Reformation" das Thema, aber stärker unter forschungsleitenden Fragen, wie z.B. der nach der "Modernität" des Geschehens, oder Seitenblicken auf Ökonomie, Produktion und soziales Verhalten. Anhand der theoretischen Dreigliedrigkeit von Disziplinierung, Partizipation und Modernisierung problematisiert er als Kernfrage, was eigentlich ein neuerlicher Konfessionswechsel für das "Volk" bedeutete. Erfrischend klar und mit griffigem Zahlenmaterial unterlegt behandelt Uta Löwenstein den "Nervus Pecuniae", das gleichfalls höchst ambivalente Verhältnis des Landgrafen zum Geld, mit dem Fazit, daß er trotz aller Bemühungen nicht in der Lage war, Lebensführung und Hofhaltung in Übereinstimmung mit seinen finanziellen Möglichkeiten zu bringen.
Arnd Friedrich, ausgewiesen durch seine Forschungen zu den hessischen Gelehrtenschulen in der 2. Hälfte des 16. Jh.s, betrachtet den Fürsten, dem sein Zeitalter den Beinamen "der Gelehrte" zulegte, als Exponent für die Erneuerung des Bildungs- und Schulwesens, wobei er in der mauritianischen Ordnung eine Weiterentwicklung ramistischer Traditionen sieht. Margret Lemberg, die eine vielbeachtete Biographie von Moritz' zweiter Frau Juliane von Nassau-Dillenburg vorgelegt hat, stellt neben sie, die in vieler Hinsicht das Gegenbild ihres Gatten war, andere Frauen, wie z.B. seine Schwestern, die besonderen Einfluß auf den Landgrafen hatten. Raingard Eßer vergleicht anhand der Politischen Testamente die unterschiedlichen Orientierungsrahmen der Darmstädter und Kasseler Linien und hebt auf die Legitimierungsproblematik der durch das politische Scheitern erzwungenen Abdankung gegenüber den Untertanen und der Reichsöffentlichkeit ab.
Die positiveren Seiten des mauritianischen Hofes werden eindringlich in drei abschließenden Beiträgen ins Bild gerückt: Kassel als besonderer Typ europäischer Wissenschaftsförderung durch Bruce T. Moran, das alchemistische Laboratorium des Landgrafen mit Inventar und baulicher Gestaltung durch Heiner Borggrefe und schließlich anhand des Nachlaßinventars seiner alchemistischen Bibliothek das Verhältnis des Fürsten zu den Büchern, auch als Feld der Freiheit, das eine neue Zeit bot, durch Hartmut Broszinski. An einigen Stellen des Sammelbandes wird auf das Fehlen einer anspruchsvollen modernen Biographie hingewiesen. Solange noch Einblicke dieser Art in Psyche und Handeln des "gelehrten" und umstrittenen Landgrafen möglich sind - und die Forschung ist anscheinend hier noch nicht am Ende - lohnt sich das Warten darauf allemal.
Siehe auch die Rezension von Stefan Ehrenpreis in PERFORM 2 (2001), Nr. 4.
Empfohlene Zitierweise:
Klaus-Peter Decker: Rezension von: Gerhard Menk (Hg.): Landgraf Moritz der Gelehrte. Ein Kalvinist zwischen Politik und Wissenschaft, Marburg/Lahn: Trautvetter & Fischer 2000, in: INFORM 2 (2001), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=458>
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