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Stefan Breit: Verbrechen und Strafe. Strafgerichtsbarkeit in der Herrschaft Hohenaschau (= Chronik Aschau i. Ch.; Quellenband X), Aschau i. Ch.: Gemeinde Aschau i. Ch. 2000, 360 S., 52 Abb., ISBN 3-00-005406-5, DM 48,00

Aus: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde (Jahrgang 2001, S. 167 f.)

Rezensiert von:
Ingolf Bauer

Vor einigen Jahren hat die Gemeinde Aschau im Chiemgau ein ehrgeiziges Projekt gestartet, motiviert durch den Heimat- und Geschichtsverein: eine auf zwanzig Bände angelegte Quellenedition, die in ihrer Zusammenfassung eine fundierte Orts-Chronik ergeben soll. 1997 erschien Bd. l, im Jahr 2000 folgten bereits die Bde. 8-10. Hier geht es um Bd. 10, der Rechtsgeschichte gewidmet (zu Bd. 9 vgl. S. 175 f.).

Hohenaschau im Priental (samt Wildenwart) war eine Herrschaft, d.h. herausgehoben aus der Vielzahl grundbesitzender Adeliger und zeitweise im Besitz so bekannter Familien wie den Freyberg oder den Preysing. Das Recht der Hoch- und Blutgerichtsbarkeit konstituierte diesen Rang, der gegen wiederholte Versuche der Landesherren, ihn zu bestreiten, verteidigt wurde, denn nur so war der Abstieg auf die Ebene der Hofmarken zu verhindern.

Von den 21 Hinrichtungen zwischen 1571 und 1780 fanden bis 1600 allein sieben statt, wohl nicht zuletzt, weil Wilhelm von Freyberg in einer für ihn schwierigen Phase damit auch seinen Stand gegenüber den Wittelsbachern verteidigen wollte. Auf einen eigenen Scharfrichter hatte man jedoch verzichtet - sicher aus Kostengründen - und holte bei Bedarf den Henker von Burghausen, der anhand einer Gebührenordnung (abgedruckt ist die Ordnung vom Ende des 17. Jahrhunderts) bezahlt wurde. Er brachte wohl auch sein eigenes Gerät mit, so das Richtschwert, das deshalb im Inventar der drei Amtshäuser fehlt. Überhaupt belegt die Aufstellung von 1761 eine recht bescheidene Ausstattung und bestätigt den Verdacht, daß die seit dem frühen 19. Jahrhundert musealisierten "Folterkammern" eher der Phantasie als der Realität entsprungen sind und die Schattenseiten romantisierender Mittelalter-Euphorie spiegeln. Abb. 22 zeigt dagegen die authentische Folterkammer von Burg Staufeneck (Gde. Piding im Lkr. Berchtesgadener Land), Sitz eines salzburgischen Pflegamts, mit der Streckbank, die 1865 auf Veranlassung des Oberstaatsanwalts in München vom Landgericht Berchtesgaden an das Bayerische Nationalmuseum abgegeben worden war (StR 19) und möglicherweise aus Staufeneck stammt. Leider ist das auf der Burg in den 1970er Jahren begonnene Zweigmuseum des Bayerischen Nationalmuseums, das Strafverfahren und Strafpraxis darstellen sollte, an Privatinteressen gescheitert.

Ich möchte das Thema Blutgerichtsbarkeit hier nicht beenden, ohne gegen die seit Karl von Amira unter Historikern immer wieder aufgewärmten Versuche aufzutreten, die Unehrlichkeit des Henkers aus der Vorstellungswelt der Germanen zu erklären (und ihm gleichzeitig magische Kompetenz zuzubilligen). Stefan Breit ist durchaus bewußt, daß diese Erklärungen unbefriedigend sind (143 f.), er verzichtet aber leider auf die Meinung Karl-Sigismund Kramers, der sowohl im Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (Bd. l, 855-858 Ehrliche/unehrliche Gewerbe) wie in seinem Grundriß einer rechtlichen Volkskunde von 1974 die soziale Wirklichkeit für die Ausgrenzung des Henkers verantwortlich macht und nicht Spannungen zwischen alten religiösen Tabus und neuen Kulturen und Religionen (56).

Die Ottonische Handfeste von 1311 gewährte im Herzogtum Bayern (zunächst Niederbayern) den geistlichen und weltlichen Herren, die einer vom Landesherren gewollten Steuer zustimmten, auf ihren Gütern die Gerichtsbarkeit, ausgenommen die todeswürdigen Verbrechen (Mord, Notzucht, Diebstahl). Daraus entwickelte sich die Zuständigkeit für eine breite Schicht von Straftaten, die von Totschlag bis zur Beleidigung reichen konnten und als Viztumhändel bezeichnet wurden. In der Herrschaft Hohenaschau dominierten hier mit 81 % die "Verstöße gegen die Eigentums- und Wirtschaftsordnung" und die "Sittlichkeitsdelikte" (257 f.).

Stefan Breits statistische Auswertung der in den Quellen erfaßten Straftaten läßt neben derartiger Quantifizierung auch den Wandel in ihrer Bewertung erkennen, z.B. wie hart Eigentumsdelikte noch im 16. Jahrhundert im Vergleich zur Gewaltkriminalität bestraft wurden. Die einzelnen Rechtsfälle, vom Autor übersichtlich in zeitlicher Ordnung vorgestellt, hinterlassen naturgemäß den stärksten Eindruck hinsichtlich "Volksleben". Die Nachwehen der Rekatholisierung Bayerns wie die Vorbeben des 30jährigen Kriegs zeigten sich 1608/09 in der Bestrafung eines Trunkenbolds, der im Wirtshaus die besondere Verehrung Mariens bestritt und den "alten Glauben" (Protestantismus) beschwor. Oder unsere Quellengläubigkeit erhält wieder einen empfindlichen Stoß, wenn wir lesen, daß 1574/75 mehrere Personen wegen heimlicher Erbschaftsteilung bestraft wurden bzw. 1774 bei einer Nachlaßregelung eine fiktive Schuld von 180 Gulden verrechnet worden war, um die Erbmasse betrügerisch zu mindern. Also auch auf eine Massenquelle wie die Verlassenschaftsinventare ist nicht unbesehen Verlaß, müssen wir Korrektive ins Auge fassen und unsere Quantifizierungen relativieren.

Die Niedergerichtsbarkeit konstituierte in erheblichem Maß den Stand der Grundherren und galt erst recht für die Inhaber einer Herrschaft. Stefan Breit stellt in Kurzform die Protokolle aller verzeichneten Straftaten der Jahre 1719 und 1720 des Amts Sachrang vor und gibt damit einen Einblick, welche Taten in welcher Häufigkeit auftraten und wie sie bestraft wurden. Die Reihe reicht von Verstößen gegen vorbeugenden Brandschutz (Holzspäne auf dem Ofenherd, unsaubere Kuchl, unsauberer Rauchfang) oder Betrug des Müllers (Versetzen des Untersteins) über zahlreiche Fälle der Beleidigungen, Schlägereien, des Bettelns bis zum verbotenen Musizieren während des Wetterläutens, Schwangerschaften Lediger usw. Die Strafen wurden vorwiegend in Geld ausgesprochen, aber auch als Schandstrafen (wegen Anstiftung zur Falschaussage 2 Stunden Eisenfessel mit Kugel, wegen Beleidigung des Amtmanns l Nacht in der "Keichen", d.i. ein niedriges Gefängnis, in dem man nicht stehen konnte, wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht 2 Stunden in der "Geige" usw.), die im Unterschied zum Verlust der Ehre (z.B. bei Brandmarkung oder Landesverweis) die Delinquenten nur vorübergehend beeinträchtigten. Bei den 1677 und 1763 ausgesprochenen Strafen "ins Narrenhäusl" hätte man gerne gewußt, wo sich dieses befand, denn es war wohl vorwiegend eine städtische Erscheinung.

Die angeführten Beispiele, eher kursorisch aus einer beachtlichen Materialfülle ausgewählt, machen hoffentlich deutlich, wie das Buch angelegt ist. Den Schwerpunkt bilden die Belege aus dem "Hohenaschauer Archiv" im Staatsarchiv München, was dem beabsichtigten Charakter eines Quellenbands entspricht, die vom Autor nach den oben angesprochenen Gruppen (Blutgericht, Viztumhändel. Niedergericht) thematisch sowie chronologisch geordnet wurden. Die jeweiligen Kapitel verfügen über einleitende Texte, die zunächst die allgemeine Situation erläutern, um anschließend die Besonderheiten der Herrschaft Hohenaschau aufzuführen. In der Summe entsteht ein umfassendes Bild der Rechtssituation mit zahlreichen interessanten Details, die jeden aufmerksamen Leser erneut davor warnen, im Blick auf vergangene Zustände zu sehr zu verallgemeinern. Es bestätigt sich immer wieder die Erfahrung, daß historische Wirklichkeit vielschichtig und kompliziert war. Ich hoffe, daß die nach Abschluß der 20 Quellenbände geplante Chronik davon etwas erkennen läßt und als Auswertung die Möglichkeiten der Quellen nutzt, um den "Lebensstil" der Menschen des Inntals im Bereich der Herrschaft Hohenaschau zu verdeutlichen, wie es Karl-S. Kramer als Quintessenz seiner drei Frankenbände abschließend im Band über das Volksleben im Hochstift Bamberg und im Fürstentum Coburg von 1967 vorgelegt hat.

Empfohlene Zitierweise:

Ingolf Bauer: Rezension von: Stefan Breit: Verbrechen und Strafe. Strafgerichtsbarkeit in der Herrschaft Hohenaschau, Aschau i. Ch.: Gemeinde Aschau i. Ch. 2000, in: INFORM 2 (2001), Nr. 5, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=460>

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