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Rolf Schulte: Hexenmeister. Die Verfolgung von Männern im Rahmen der Hexenverfolgung von 1530-1730 im Alten Reich (= Kieler Werkstücke. Reihe G: Beiträge zur Frühen Neuzeit; Bd. 1), Frankfurt a.M. / Berlin / Bern: Peter Lang 2001, 2. erg. Auflage, 308 S., ISBN 3-631-37781-9, DM 89,00

Aus: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde (Jahrgang 2001, S. 202 f.)

Rezensiert von:
Hubert Kolling

Die Hexenforschung gehört zu den in den letzten Jahren sehr intensiv bearbeiteten und hinsichtlich des heuristischen Interesses sowie der methodologischen Zugangsweisen höchst kontrovers diskutierten Feldern der historischen Forschung. Ihr Spannungsbogen reicht von der eher herkömmlich sozialgeschichtlich-quantifizierenden Orientierung über den historisch-anthropologischen Ansatz und die Einordnung in die großen Forschungsschneisen der Sozialdisziplinierungs- und Konfessionalisierungsthese bis hin zu feministischen Erklärungsansätzen, nach denen die Hexenverfolgung vor allem Frauenverfolgung war. Allen bislang vorliegenden Arbeiten - und für die Bundesrepublik Deutschland ist eine relativ flächendeckende Erforschung der Hexenverfolgungen erkennbar - ist jedoch gemeinsam, dass die Verfolgung von Männern, wenn überhaupt, nur am Rande thematisiert wurde. Hier setzt Rolf Schulte mit seiner Studie "Hexenmeister" an, in der er den Hexenmeister - die männliche Hexe - nicht länger als Randphänomen betrachtet, sondern als dessen integrierten, gleichwohl Eigenheit entfaltenden Bestandteil.

Die Untersuchung, der eine Kieler Dissertation zugrunde liegt, gliedert sich in neun Kapitel. Nach einer kurzen Einleitung gibt Kapitel l einen Überblick über den Forschungsstand und Forschungsdefizite. Wie der Verf. zeigt, ist die bisherige Forschung zu Männern als Angeklagte in Hexenprozessen sehr stark defizitär, ein Desiderat. So sei bisher weder systematisch auf quantitativer Ebene der Anteil von Männern an der Gesamtverfolgung näher ermittelt worden - er wird bisher auf 20 Prozent geschätzt - noch seien Hexenprozesse gegen männliche Angeklagte systematisch auf qualitativer Ebene untersucht worden. Diese Forschungsdefizite umreißen zugleich das leitende Erkenntnisinteresse von Rolf Schulte, wobei er sich dem historischen Phänomen auf quantitativer und qualitativer Ebene mit unterschiedlichen Perspektiven anhand gedruckter und ungedruckter Quellen unter Berücksichtigung bisher vorliegender Studien zur Hexenverfolgung nähert.

In Kapitel 2 geht der Verf. anhand der Freigrafschaft Burgund/ Franche-Comté ersten Spuren von verfolgten Männern am Beispiel sogenannter "Werwölfe" nach. Hierbei versucht er insbesondere die Frage zu klären, inwieweit die Figur des Werwolfs ein potentiell männliches Alternativmodell zu dem - eher dem weiblichen Geschlecht - zugeschriebenen Kontrasttypus der "Hexe" darstellte. Nicht nur in der Freigrafschaft Burgund hatte sich die Hexenverfolgung gegen zahlreiche Männer gerichtet. Von daher präsentiert Kapitel 3 Ergebnisse zur Geschlechterverteilung in der Hexenverfolgung aus bisher vorliegenden Mikro- und Regionalanalysen, um einen Überblick über die Prozesse gegen sogenannte Hexenmeister zu gewinnen. Anschließend vergleicht Rolf Schulte die Verfolgung von Frauen und Männern auf quantitativer Ebene und fragt nach den Zusammenhängen der sich deutlich abzeichnenden Varianzen in den verschiedenen Hexenverfolgungen. Auf der Grundlage von 898 überlieferten Hexenprozessen in Europa könne von einem Männeranteil im Zeitraum von 1300-1349 von 72 Prozent ausgegangen werden, der aber zwischen 1450-1499 auf 22 Prozent sank. Wie diese Zahlen zeigen, war jede vierte vermeintliche Hexe ein Mann! Interessant erscheint auch, dass eine erhöhte Männerverfolgung in der Hexenverfolgung für die katholisch-geistlichen, aber auch für mehrere katholisch-weltliche Territorien festgestellt werden kann. Demgegenüber fanden sich geringere Männeranteile in der Hexenverfolgung vorwiegend in protestantischen Territorien.

In Kapitel 4 wird anhand des gesammelten Materials die von H.C. Erik Midelfort (Stanford 1972) aufgestellte Forschungsthese zur Verfolgung von Männern in der Hexenverfolgung überprüft.

Im Mittelpunkt von Kapitel 5 steht das Hexenbild in wichtigen Werken der zeitgenössischen Theologie und Dämonologie. Im Anschluss an die in der Hexenverfolgung gebräuchliche und von dem französischen Philosophen Michel Foucault in die Diskussion eingebrachte Einteilung der gesellschaftlichen Kommunikation in Diskurse geht der Verf. der Frage nach, inwieweit das männliche Geschlecht in das Hexenbild des Elitediskurses integriert war. Dieselbe Frage richtet er anschließend im Kapitel 6 auch an Quellenmaterial, das aus der frühneuzeitlichen Volkskultur stammt bzw. diese beschreibt, bevor er der Frage nach dem Hexenbild und seinen geschlechtsspezifischen Zügen im volkstümlichen Diskurs nachgeht.

Im 7. Kapitel wendet sich Rolf Schulte der realen Hexenverfolgung in verschiedenen Räumen des Deutschen Reiches zu. In den Vordergrund stellt er hierbei die individuellen Schicksale der Opfer und die Konfliktkonstellationen, aus denen ihre Prozesse entstanden sind. Hierbei wendet er sich zwei Territorien des Deutschen Reiches zu, die sich in Bezug auf den Männeranteil in der Hexenverfolgung sehr unterscheiden: Während Männer in Kärnten die Mehrheit der Verfolgten stellten, spielten sie in Holstein als Opfer nur eine geringe Rolle, denn hier repräsentierten sie nicht nur eine relative, sondern vielmehr eine absolute Minderheit.

Während in Kapitel 8 kurz die als Arbeitsbegriffe benutzten Bezeichnungen "männliche Hexe, Hexenmänner, Hexenmeister oder Schamane" problematisiert werden, ordnet Kapitel 9 die Ergebnisse der Untersuchung in einen allgemeinen gesellschaftlichen, religiösen und konfessionellen Rahmen der Frühen Neuzeit ein. Wie sich hierbei zeigt, variierte der Geschlechtsbezug der Hexenverfolgung sehr stark in den verschiedenen Territorien des Deutschen Reiches. Abschließend hält der Verf. aufgrund seiner Untersuchung fest: "Die Prozesse gegen sogenannte Hexenmänner oder Hexenmeister kamen 'von unten' als auch 'von oben', wurden aber dort in höherem Maße geführt und zugelassen, wo die entsprechende konfessionelle Dämonologie die Verfolgung theologisch deckte. Der Hexenmeister war ein Konstrukt des Denkens im Rahmen einer von Angst sowie Pessimismus durchdrungenen krisenhaften Zeit, geprägt durch staatliche Sozialdisziplinierung und eine Ideologisierung des Christentums." (276)

Rolf Schulte hat mit seiner auf breiter Quellenbasis basierenden und gut lesbaren Untersuchung über die sogenannten Hexenmeister als Angeklagte und Hingerichtete in Hexenprozessen ein weithin unbekanntes Kapitel in der Geschichte Mitteleuropas in der Frühen Neuzeit geöffnet. An der soliden, wissenschaftlich wohlfundierten und die weitere Forschung anregenden Studie, die durch einen profunden Anmerkungsapparat sowie ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis ergänzt wird, kann künftig keiner vorbeigehen, der sich mit dem Thema Hexenverfolgung ernsthaft auseinander setzen möchte.

Vergleichen Sie hierzu auch die Rezension von Johanna Koppenhöfer in INFORM 2 (2001), Nr. 4.

Empfohlene Zitierweise:

Hubert Kolling: Rezension von: Rolf Schulte: Hexenmeister. Die Verfolgung von Männern im Rahmen der Hexenverfolgung von 1530-1730 im Alten Reich, Frankfurt a.M. / Berlin / Bern: Peter Lang 2001, in: INFORM 2 (2001), Nr. 5, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=469>

Bitte setzen Sie beim Zitieren dieser Rezension hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse ein.

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