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Sabine Allweier: Canaillen, Weiber, Amazonen. Frauenwirklichkeiten in Aufständen Südwestdeutschlands 1688 bis 1777 (= Kieler Studien zur Volkskunde und Kulturgeschichte; Bd. 1), Münster: Waxmann 2001, 254 S., ISBN 3-89325-912-0, DM 49,90

Aus: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde (46 (2001), S. 445-447)

Rezensiert von:
Christina Niem

Die vorliegende Dissertation eröffnet die Reihe der Kieler Studien zur Volkskunde und Kulturgeschichte, mit der die Studien zur Volkskunde und Kulturgeschichte Schleswig-Holsteins unter neuem Titel fortgesetzt werden. Herausgegeben wird die neue Reihe, die sich durch ein ansprechendes Layout auszeichnet, vom Seminar für Volkskunde der Universität Kiel.

Die Verfasserin der Arbeit, die von Silke Göttsch betreut wurde, beleuchtet Frauenwirklichkeiten im 18. Jahrhundert. Sie bietet damit sowohl einen Beitrag zur Protest- als auch zur Geschlechterforschung, auch wenn dies explizit nicht ihr Anliegen ist. Sabine Allweier forscht der Entstehung und Reproduktion von Mythen nach, die im Hinblick auf die Überlieferung von weiblichem widerständigem Verhalten wirkungsmächtig werden. Es geht ihr um eine Relativierung und Entmythisierung widerständigen, weiblichen Handelns. Dies soll vor dem Hintergrund des realen, historischen Alltagshandelns verstanden werden und nicht als Posse oder anekdotenhafte Begebenheit einerseits (wie dies in stadtgeschichtlichen Werken häufig der Fall ist) oder als gezieltes politisches Handeln von Frauen (wie die Protestforschung solche Aktionen interpretiert) andererseits. Der Mythos werde bemüht, wenn aktiv handelnde Frauen in der Geschichte gesucht würden. Sabine Allweier untersucht Aufstände in südwestdeutschen Territorien, an denen Frauen maßgeblich beteiligt waren: den Pforzheimer Aufruhr von 1726, den sogenannten Freiburger Weiberkrieg von 1757 und den Aufstand in Oberkirch im Jahre 1777, bei denen jeweils Männer von Frauen aus dem Gefängnis befreit wurden. Ferner behandelt sie die Ereignisse in Schorndorf und Göppingen, wo 1688 Regierungsbeamte festgesetzt wurden.

Die Arbeit ist klar gegliedert, die Verfasserin umreißt die Forschungslage, gibt erschöpfend (aber nicht ermüdend) Auskunft über Quellen und Methoden, wobei Quellenkritik immer wieder geübt wird, beispielsweise zu Beginn des dritten Kapitels, in welchem aufgrund der Analyse von Gerichtsakten die Aufstände in Pforzheim und Freiburg untersucht werden. Zuvor aber begründet Sabine Allweier das spezifisch volkskundliche Forschungsinteresse am Thema. Sie arbeitet mit der von Karl-Sigismund Kramer und Hans Moser entwickelten historischen Methode (warum sie deren Studien als "empirisch" bezeichnet, erschließt sich mir nicht), lehnt sich an den Begriff der Volkskultur nach Wolfgang Kaschuba an, um dann - und das mutet etwas merkwürdig an - diesen Begriff ebenso zu vermeiden wie den des "Volkes", der durch "nichtprivilegierte Schichten" bzw. die differenziertere Bezeichnung der städtischen Handwerker ersetzt wird.

Die Beschäftigung mit "tumultarischen Auftritten", in der schon Hans Moser eine Aufgabe des Faches gesehen hatte (S. 15), durch empirische Kulturwissenschaftler/innen und Volkskundler/innen werden am Schluss dieses Kapitels referiert (Wolfgang Kaschuba, Sabine Kienitz, insbesondere Carola Lipp und Silke Göttsch). In der Folge legt die Verfasserin die Rahmenbedingungen - Gesellschaft, Politik und Wirtschaft vom Westfälischen Frieden bis zum Untergang des Alten Reiches, die Stadt und innerstädische Unruhen in der Frühen Neuzeit - dar. Sie dienen als Folie für die nun folgenden zwei wichtigsten und umfangreichsten Kapitel.

Kriterien für die Auswahl der Aufstände waren jeweils eine kollektive Vorgehensweise von Frauen, ein erkennbarer politischer Kontext sowie der städtische Bereich. Sabine Allweier hat umfangreiches Quellenmaterial zu Pforzheim und Freiburg durchgearbeitet. In beiden Orten gab es nach Aufruhr und Weiberkrieg einen Gerichtsprozess; die vorliegenden Akten erwiesen sich als aussagekräftige Quellen im Hinblick auf die Alltagswelt der Frauen. Chronikalische Abhandlungen tradieren die Ereignisse in den ausgewählten Städten Schorndorf und Göppingen, in denen keine Prozesse stattfanden. Die Verfasserin vermutet, dass der Obrigkeit eine Strafverfolgung wegen der rechtlichen Minderstellung der Frauen wenig sinnvoll erscheinen ließ.

In den Protokollen der Prozessakten findet Allweier einen "zentralen Zugang zu den Lebenswirklichkeiten der Beteiligten" (S. 11). Erst wenn das alltägliche Agieren der Menschen bekannt sei, könnten ihre Verhaltensweisen in außergewöhnlichen Situationen richtig eingeschätzt werden. Vor der Schilderung der Geschehnisse in Pforzheim und Freiburg wird die ausgewertete Quelle Gerichtsakte noch einmal einer eingehenden Kritik unterzogen, wobei Allweier das volkskundliche Interesse an Normen, Werten und Einstellungen gegenüber der Fokussierung auf historische Wahrheiten betont. Noch einmal wird die an Silke Göttschs Habilitationsschrift orientierte These unterbreitet, wonach die agierenden Menschen im Konfliktfall Aufstand auf bekannte und eingeübte kulturelle Verhaltensmuster zurückgreifen und nicht etwa ihr Gebaren völlig ändern. Kommunikationsstrukturen, die sich im Alltag bewährt haben, sind es demnach, auf die in der Krise zurückgegriffen wird. Insofern können die Aussagen in den Gerichtsakten und -protokollen Auskunft über kulturelle Handlungsmuster und Lebensweisen der untersuchten Stadtbewohner des 18. Jahrhunderts bieten.

Mit der von Sozialhistorikern entwickelten Methode der Narration rekonstruiert Allweier die Geschehnisse des Pforzheimer Aufruhrs von 1726, um dann in einem zweiten und einem dritten Schritt den historischen Kontext und die politischen Hintergründe des Konfliktes aufzuzeigen. In Pforzheim handelt es sich um einen schon zehn Jahre lang schwelenden Privilegienstreit zwischen den städtischen Zünften und der Baden-Durlacher Obrigkeit. Gleichermaßen verfährt sie in bezug auf den Freiburger Weiberkrieg von 1757. Auch hier sind es zünftige Handwerker, die, der Wilderei angeklagt, im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stehen. Der Konflikt zwischen der Stadt Freiburg und der Landesherrin und zugleich Kaiserin Maria Theresia ist auf das Verbot des Jagens im Freiburger Stadtwald zurückzuführen, welches das Rechtsempfinden der Bürger empfindlich getroffen hat.

In einem darauf folgenden Kapitel werden Zusammenfassung und Kontrastierung beider Geschehnisse geboten. Zur inneren Struktur der Aufstände kommt die Verfasserin im vierten Kapitel. Die nun folgende Analyse erfolgt unter verschiedenen Gesichtspunkten: soziale Zugehörigkeit der Aufständischen in beiden Beispielen, das frühneuzeitliche Geschlechterverhältnis, die Funktion der Aktionen von Frauen und Kindern bei den Ereignissen. Hier ist es die rechtliche Minderstellung der Frauen, die den Lebenswirklichkeiten von Ehepartnern in der Frühen Neuzeit nicht entsprach. Allweier stellt in Anlehnung an Heide Wunder heraus, dass gerade Frauen von Handwerkern Kompetenzen auf verschiedensten Gebieten haben mussten: neben der Hausarbeit ging es um die Organisation der Familie, zu der auch Lehrlinge und Gesellen zählten, die Mitarbeit im Betrieb oblag ihnen häufig ebenso wie der Vertrieb der produzierten Waren. Frauen waren auch bei den politischen Protestaktionen auch von Anfang an beteiligt, sie steuerten gar die Ereignisse.

Die Verfasserin analysiert in der Folge sehr detailliert ein breites Spektrum von Kommunikationsformen (Informationskanäle, Absprachen über Organisation und Treffpunkte, Vermittlungsversuche, Gebärdensprache, physische Gewalt und körperlichen Einsatz, Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Katzenmusiken, die Kommunikation vor Gericht, das Freiburger Pasquill und andere Schmähschriften). Der Vergleich der beiden Aufstände unter den genannten Aspekten offenbart ein differenziertes Erscheiungsbild: geschlechtsspezifische Verhaltensformen können nicht belegt werden. Die Freiburgerinnen versuchen den Konflikt mit Hilfe anderer Verhaltensweisen zu lösen als die Pforzheimer Bürgerinnen: während die einen zunächst versuchen, die Obrigkeit durch unterwürfige, kniefällige Haltungen (sich kleinmachen) zur Freigabe der festgesetzten Männer zu bewegen, reagieren die anderen mit Drohgebärden (Schlüsselschwingen) und Gewalt. Diese Ergebnisse ihrer Untersuchung erklärt die Verfasserin zum einen damit, dass die widersetzlichen Frauen aus ihrer historisch bedingten Geschlechterrolle heraus handeln, zum anderen im Pforzheimer Fall mit der Tatsache, dass sich hier ein schon über zehn Jahre andauernder Konflikt entlud. Die direkte und unmittelbare gewalttätige Entladung gegenüber Amtspersonen fand in Freiburg nicht statt; hier wählten die Frauen die indirekte Form der Schmähschrift und der Katzenmusik, um verachtete Vertreter der Obrigkeit der Lächerlichkeit preiszugeben.

Im letzten Kapitel widmet sich Sabine Allweier den chronikalischen Überlieferungen der Geschehnisse in Freiburg, Schorndorf und Göppingen. Eindrucksvoll arbeitet sie heraus, wie die Handlungsweisen der aufrührerischen Frauen - die ja nicht allein, sondern durchaus zusammen mit Männern agierten - von den Chronikautor/inn/en zu kriegerischem Verhalten stilisiert wird. Die Frauen werden als Heroinnen, Kriegerinnen und Amazonen bezeichnet. Eine kritische Bemerkung sei erlaubt: von einer Volkskundlerin hätte ich mir gewünscht, dass, wenn schon nicht eine Monographie zum Thema "Chronik" benutzt wird, so doch zumindest der Artikel "Chronikliteratur" in der Enzyklopädie des Märchens anstelle von Wilperts Sachlexikon der Literatur zu Rate gezogen worden wäre. Aber dies nur am Rande; wichtiger ist das Ergebnis der Untersuchung der Chroniken. Sie bieten eine enthistorisierte Version der tatsächlichen Geschehnisse und führen zu einer verkürzten, stereotypen Tradierung. Dadurch wurde die Rezeption der Weiberaufstände als unpolitischer, anekdotenhafter Possen der Weg bereitet.

Sabine Allweier hat einen spannend zu lesenden Beitrag zur Entmythisierung weiblichen Protestverhaltens geleistet. Sie bietet überdies eine profunde Analyse, die Einblick in Frauenwirklichkeiten der Frühen Neuzeit gewährt - und nicht zuletzt ein gelungenes Beispiel für historisches volkskundliches Arbeiten.

Vgl.: Rezension von Michaela Fenske in PERFORM 2 (2001), Nr. 4.

Empfohlene Zitierweise:

Christina Niem: Rezension von: Sabine Allweier: Canaillen, Weiber, Amazonen. Frauenwirklichkeiten in Aufständen Südwestdeutschlands 1688 bis 1777, Münster: Waxmann 2001, in: INFORM 2 (2001), Nr. 6, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=470>

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