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Hartmut Kühne: ostensio reliquiarum. Untersuchungen über Entstehung, Ausbreitung, Gestalt und Funktion der Heiltumsweisungen im römisch-deutschen Regnum (= Arbeiten zur Kirchengeschichte; Bd. 75), Berlin: Walter de Gruyter 2000, 967 S., ISBN 3-11-016569-4, DM 296,00

Aus: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde (46 (2001), S. 436f.)

Rezensiert von:
Wolfgang Schmid
Fachbereich III, Fach Geschichte, Universität Trier

Der Verfasser hat sich ein zentrales Thema der mittelalterlichen Kirchen-, Frömmigkeits- und Liturgiegeschichte, aber auch der Kunst-, Stadt-, Landes-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte zum Gegenstand seiner Dissertation gewählt, die 1998 an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität eingereicht wurde: die Geschichte der Heiltumsweisung im mittelalterlichen Reichsgebiet. Obwohl es sich um ein Thema handelt, das quasi im Kern der in den letzten Jahren intensiv erforschten Geschichte der Wallfahrten steht, hat ihm allenfalls die kunsthistorische Forschung, in der Untersuchungen der Reliquiare, ihrer Formen und Funktionen eine wichtige Rolle spielten, eine gewisse Aufmerksamkeit gewidmet. Kühne stellt sich die Aufgabe - von gedruckten Wallfahrtsführern ausgehend - einen Katalog aller Heiltumsweisungen zu erarbeiten. Damit sind Weichen gestellt, die den Erfolg des ganzen Unternehmens in Frage stellen: Zum einen ist die Quellen- und Literaturlage zu disparat, es existieren für viele Orte lediglich erbauliche oder veraltete Werke, die eine flächendeckende Realisierung eines solchen Unternehmens erschweren. Zum zweiten hat der Autor bereits in seiner Einleitung das wichtige Ergebnis hervorgehoben, dass Wallfahrten und Reliquienverehrung stets eine eminent politische Dimension besaßen, dass sie zudem häufig im Mittelpunkt von Konflikten zwischen konkurrierenden Gruppen (Bischöfe, Domkapitel, Bürger) standen, Konstellationen, die im konkreten Einzelfall auch detailliert herauszuarbeiten waren. Die zweite Erkenntnis ist der enge intensive Konnex zwischen den Phänomenen Heiltumsweisungen und Ablass.

Um überhaupt eine tragfähige Basis für solche Untersuchungen zu gewinnen, präsentiert der Autor auf über 400 Druckseiten zunächst einmal sein Quellenmaterial. Die nach einem einheitlichen Schema (Literatur, Quellen und Zeugen, Darstellung) gegliederten Kapitel sind nach einem nicht ganz plausiblen System angeordnet: Auf die Reichsreliquien (Prag, Nürnberg) folgen die Reichsklöster und Reichsstifte (Aachener Marienstift, Kornelimünster, Maastricht) und die Kathedralkirchen (Magdeburg, Köln, Bamberg, Würzburg, Augsburg, Regensburg und Wien). Dann werden die landesherrlichen Stifte und Klöster (Andechs, Düsseldorf, Wittenberg, Halle) abgehandelt sowie die Heiltumsweisungen an Pfarrkirchen (Hall, Düren). Das letzte Kapitel befasst sich mit dem Sonderfall Trier, wo eine Kloster-, eine Stifts- und eine Domkirche zusammentreffen. Ob die Liste vollständig ist, soll hier nicht überprüft werden (vgl. die Einleitung S. 26). Aber ich bin mir sicher, dass allein schon die Suche nach Fenstern und Kanzeln an spätgotischen Kirchen, die für Heiltumsweisungen bei Wallfahrten am Vorabend der Reformation errichtet wurden, eine ganze Reihe von Nachträgen zu Tage fördern würde, etwa in Eberhardsklausen bei Trier. Freilich wurden für diese Kirche keine Pilgerführer gedruckt, was ihre Bedeutung als Wallfahrtsort aber nicht unbedingt schmälert. Die Kapitel sind - je nach Forschungsstand - sehr unterschiedlich geraten, es erfordert z.B. sehr viel Mut, ohne die Kenntnis der einschlägigen stadt-, bistums- und kunstgeschichtlichen Literatur ein Kapitel über das hochmittelalterliche Trier zu verfassen, ein dem sprichwörtlichen Ritt über den Bodensee vergleichbares Unterfangen. Hier gilt - wie für die ganze Arbeit -, dass weniger vielleicht mehr gewesen wäre. Eine Konzentration auf die alten Kathedralstädte (Trier, Köln, Mainz) oder auf ambitionierte Neugründungen (Halle, Wittenberg) hätte etwas mehr Tiefgang in der Analyse und somit auch eine differenziertere Antwort auf die Frage nach der Verbindung von Heiligenverehrung und Politik ermöglicht.

Der zweite Teil der Arbeit umfasst dann nochmals an die 400 Druckseiten. Er enthält ein hochinteressantes Kapitel über den Prozess der Entstehung und Ausbreitung der Heiltumsweisungen, seinen Zusammenhang mit der Verleihung von Ablässen und Analysen zur Rolle und Funktion der Träger der Heiligenverehrung. Anschließend werden die Elemente und die Handlung der Weisung vergleichend analysiert, und in einem dritten Teil dann kulturelle und mentale Faktoren herausgestellt. Leider hat der Autor auf eine einprägsame Zusammenfassung der Ergebnisse seiner auf fast 1.000 Druckseiten ausgebreiteten Forschungen verzichtet und belässt es bei einem kurzen Ausblick. Insgesamt bleibt ein etwas zwiespältiger Eindruck zurück; das Unternehmen war zu breit angelegt, um es zielstrebig realisieren zu können. Kühnes Werk stellt ein wichtiges Kompendium dar, dessen Teile freilich von unterschiedlicher Qualität sind, erschwert es dem eiligen Leser aus den Nachbarwissenschaften, sich mit vetretbarem Zeitaufwand ein Bild vom Phänomen Heiltumsweisung zu verschaffen.

Empfohlene Zitierweise:

Wolfgang Schmid: Rezension von: Hartmut Kühne: ostensio reliquiarum. Untersuchungen über Entstehung, Ausbreitung, Gestalt und Funktion der Heiltumsweisungen im römisch-deutschen Regnum, Berlin: Walter de Gruyter 2000, in: INFORM 2 (2001), Nr. 6, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=478>

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