header

Judith Pollmann: Religious choice in the Dutch Republic. The reformation of Arnoldus Buchelius (1565-1641) (= Studies in Early Modern European History), Manchester / New York: Manchester University Press 1999, XVI + 288 S., 5 Abb., ISBN 0719056802, £ 79,95

Aus: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde (46 (2001), S. 437-439)

Rezensiert von:
Peter Arnold Heuser
Bonn

Liz. jur. Aernout van Buchell (*1565, †1641) aus Utrecht, der sich nach Humanistenbrauch Arnoldus Buchelius schrieb, ist in der Kölner Stadtgeschichte kein Unbekannter. Der niederländische Jurist kam im Jahre 1587 für drei Monate in die Großstadt am Niederrhein und war auch im Mai 1588 in Köln. Im Jahre 1599/1600 kam er erneut in die Stadt, um Erbschaftsangelegenheiten zu regeln. Seine Besuche am Niederrhein fanden die Aufmerksamkeit der regionalgeschichtlichen Forschung, weil der begeisterte Antiquar und Kunstfreund über seine Reisen ausführlich Buch führte. Römische Antiken interessierten ihn ebenso wie die Ausstattung der Kölner Kirchen, die reichsstädtische Verfassung oder der lokale Markt für Zeichnungen und Druckgraphik. Buchelius erwarb in Köln den Grundstock seiner wertvollen graphischen Sammlung und notierte die Preise der Blätter, die er in Köln kaufte, detailliert in seinem Diarium. Er verkehrte mit niederländischen Exulanten, die sich in der Stadt aufhielten. Mancher Bericht, den sein Diarium enthält, ist von alltagsgeschichtlicher Relevanz, mancher von bildungs- und universitätsgeschichtlichem Interesse. Buchelius nahm im Sommer 1587 an Veranstaltungen des studentischen Collegium juridicum an der Kölner Juristenschule teil. Als aufmerksamer Beobachter erkannte er die Bedeutung, die Köln als Kommunikationszentrum innerhalb des europäischen Nachrichtenverkehrs seiner Zeit erlangt hatte: Man hat nämlich von hier aus sehr gute Verbindungen. Es gibt jede Woche Leute, die nach Brabant, Holland, Seeland und verschiedenen anderen Provinzen Belgiens reisen; andere kehren regelmässig von dort zurück. Es gibt auch Kuriere, die nach Strassburg, Augsburg, Basel, Prag und Wien gehen; andere nach Frankreich und Italien, so dass sich auf dem ganzen Erdkreis nichts ereignet, von dem keine Kunde nach Köln käme. Die Berichte, die Buchelius über seine Aufenthalte in Köln schrieb, liegen seit 1907/1908 in einer deutschsprachigen Edition vor: Hermann Keussen (Hg.), Die drei Reisen des Utrechters Arnoldus Buchelius nach Deutschland, insbesondere sein Kölner Aufenthalt, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 84 (1907), S. 1-102; ebd., 85 (1908), S. 43-114. Seither sind Buchelius-Zitate aus Studien zur Geschichte Kölns im 16. Jahrhundert nicht mehr wegzudenken. Nicht zuletzt deshalb verdient eine Studie über Buchelius, die der Universität Amsterdam als Dissertation vorgelegen hat und mittlerweile in die angesehene Reihe der Studies in Early Modern European History aufgenommen wurde, im Berichtsbereich der Rheinisch-westfälischen Zeitschrift für Volkskunde Beachtung.

Die Autorin Judith Pollmann interessiert sich nur nachrangig für Buchelius als Antiquar, als Humanist oder als Verfasser wertvoller Reiseberichte über Frankreich, Italien und das Reich. Ihre Untersuchung ist auf die Frage fokussiert, wie sich der Jurist angesichts des religiös-konfessionellen Wandels in seiner niederländischen Heimat positionierte. Dabei stützt sie sich auf eine wertvolle autobiographische Hinterlassenschaft, die als Teil des umfangreichen Buchelius-Nachlasses größtenteils in den Universitätsbibliotheken von Utrecht und Leiden aufbewahrt wird und ein Ego-Dokument von exzeptionellem Rang darstellt.

Die Lebensspanne des Buchelius reicht vom Vorabend des niederländischen Aufstandes bis in die Spätphase des niederländisch-spanischen Konfliktes, der 1648 im Rahmen des Westfälischen Friedens seine abschließende Regelung fand. Der legitimierte Spross eines Utrechter Kanonikers studierte die Humaniora, dann Rechtswissenschaften an der späthumanistischen Reformuniversität Leiden, wo er seit 1583 Schüler des Neustoikers Justus Lipsius und des humanistischen Juristen Hugues Doneau (Hugo Donellus) war und im Jahre 1593 den akademischen Grad eines Lizentiaten der Rechte erwarb. Von 1584 bis 1585 besuchte er die südniederländische Universität Douai; in den Jahren 1585/1586 studierte er in Paris. Sowohl als Schüler von Doneau in Leiden als auch an der Juristenschule von Douai wurde Buchelius im Geiste des späten "mos gallicus" ausgebildet, der humanistischen Jurisprudenz, deren Zentren die Rechtsschulen von Bourges und Löwen waren. Er entwickelte sich zu einem antiken- und kunstbegeisterten, kenntnisreichen Vertreter des niederländischen Späthumanismus.

Die junge Republik der Niederlande, die sich im Aufstand gegen Spanien konstituierte, zeichnete sich durch eine außergewöhnliche Toleranz in Religions- und Konfessionsfragen aus. Hier koexistierten mehrere Konfessionen und religiöse Gruppen überraschend friedlich miteinander. Der Anteil, den kirchlich und konfessionell Ungebundene oder Unentschiedene an der niederländischen Bevölkerung hatten, lag noch um 1600/1620 hoch; weshalb die Faktoren, die damals die religiöse und konfessionelle Stellungnahme von Individuen beeinflussten, heute verstärkt das Interesse der niederländischen Konfessionalisierungsforschung finden. Pollmann wählt einen mikrohistorisch-biographischen Zugang zum Thema, um die individuellen und überindividuellen Faktoren exemplarisch zu erhellen. Sie wählt das Fallbeispiel des Buchelius, der in einem katholischen, erasmisch getönten Milieu aufwuchs, nach Abschluss seiner Studien eine Zeitlang ohne kirchliche Bindung blieb und schließlich der reformierten Kirche in Utrecht beitrat. Für die reformierte Gemeinde saß Buchelius als Ältester im Konsistorium, wurde Regent des Utrechter Zuchthauses und starb schließlich als orthodoxer Kalvinist, als Gomarist. Anhand seiner Biographie gewinnt Pollmann exemplarische Einsichten, wie sich religiös-konfessionelle Entscheidungsprozesse in der Frühzeit der niederländischen Republik vollzogen.

Pollmann legt eine dichte Beschreibung der religiös-konfessionellen Entwicklung des Juristen vor, die die Beachtung der Konfessionalisierungs- und Mentalitätenforschung verdient. Sein religiöser Werdegang vom erasmischen Katholiken zum orthodoxen Kalvinisten erweist sich im Licht des Buchelius-Nachlasses als ein process of gradual and individual adjustment to change (S. 77), als eine individuelle Antwort auf die politische, soziale und religiöse Transformation, die sich in seiner Heimat abspielte. Der Kulturgeschichtler und Volkskundler findet im Buchelius-Nachlass wertvolles Material zur Frömmigkeitsgeschichte der frühen niederländischen Republik, zugleich eine Fülle von außergewöhnlichen Einblicken in das Privatleben des Juristen: sein Sexualleben (S. 66-72), seine Depressionen und einen Selbstmordversuch, den er im Jahre 1590 unternahm (S. 63), den allmählichen Wandel, den seine Ansichten zu Hexerei und Zauberei und zur Bestrafung von Zaubereidelikten erkennen lassen (S. 93-103).

Die Autorin dokumentiert überzeugend, dass die Biographik in der Lage ist, wertvolle Beiträge zu einer Frömmigkeitsgeschichte der Frühen Neuzeit zu leisten. Pollmanns Studie über Arnoldus Buchelius ist ein beachtenswertes Zeugnis für jene Rückkehr der Biographie in das Arbeitsinstrumentarium einer methodisch und inhaltlich erneuerten Geschichtswissenschaft, die Jacques Le Goff bereits im Vorwort zum Sammelband La nouvelle histoire von 1988 konstatierte. Le Goff forderte in der zusammen mit Roger Chartier und Jacques Revel herausgegebenen Aufsatzsammlung, dass die Historiker, nachdem es ihnen gelungen sei, sich "aus der Faszination der ‚großen Männer' zu lösen [...], heute der Biographie einen neuen wissenschaftlichen Status geben müssen". Pollmanns Studie trägt zu dieser Neubesinnung einer wissenschaftlichen Biographik bei; trägt überdies dem aktuellen Interesse der Frühneuzeitforschung am Quellentyp der Ego-Dokumente Rechnung. Die niederländische Historikerin legt eine Arbeit vor, die als ein Indiz dafür gewertet werden darf, dass das Kollektive und das Individuelle in der Geschichte mittlerweile undogmatisch als gleichermaßen lohnende Objekte geschichtswissenschaftlicher Forschung erkannt werden, als gleichberechtigte Gegenstände historischer Erkenntnis. Der Historiker hat die Aufgabe, das Kollektive und das Individuelle in der Geschichte ausgewogen zu erfassen und das Potential zu einer wechselseitigen Befruchtung, das beiden Aspekten innewohnt, im Rahmen seiner jeweiligen Fragestellung nutzbar zu machen.

Es ist zu wünschen, dass der Buchelius-Nachlass weiterhin die Aufmerksamkeit findet, die dieser exzeptionellen Quelle gebührt. Die Frühneuzeitforschung darf bereits auf eine Studie über den Antiquar Buchelius gespannt sein, die Sandra Langereis anfertigt.

Empfohlene Zitierweise:

Peter Arnold Heuser: Rezension von: Judith Pollmann: Religious choice in the Dutch Republic. The reformation of Arnoldus Buchelius (1565-1641), Manchester / New York: Manchester University Press 1999, in: INFORM 2 (2001), Nr. 6, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=479>

Bitte setzen Sie beim Zitieren dieser Rezension hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse ein.

footer