Rita Voltmer / Franz Irsigler (Hg.): Incubi Succubi. Hexen und ihre Henker bis heute. Ein historisches Lesebuch zur Ausstellung im historischen Museum der Stadt Luxemburg (5. Mai bis 29. Oktober 2000) (= Publications scientifiques du Musée d'Histoire de la Ville de Luxembourg; 4), Luxemburg: Musée de la ville de Luxembourg 2000, III + 193 [+ 42] S., ISBN 2-919878-18-2, LUF 1500,00
Aus: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde (46 (2001), S. 443-445)
Rezensiert von:
Ralf-Peter Fuchs
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München
Hexen und ihre Henker bis heute - dies ist sicherlich ein Buchtitel, der bei manchem Hexenforscher schlimmste Befürchtungen erweckt. Im vorliegenden Fall wird jedoch keineswegs ein Plädoyer für fragwürdige Identifikationen mit weisen Frauen oder gar in der Esoterikszene beanspruchten Vorfahren und Vorfahrinnen abgegeben. Der Titel ergibt sich vielmehr aus dem Gedanken, daß sich ein weiter Bogen von den frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen zu aktuellen Formen gesellschaftlicher Marginalisierung und des gewaltsamen Umgangs mit sogenannten Außenseitern und Randgruppen schlagen lässt.
Man kann den Herausgebern nur zustimmen, dass sich der Eifer zur Ausrottung der "bösen Leute", "zauberschen", "unholde" etc. als ein exemplarisches Phänomen deuten lässt, dessen Erforschung Erkenntnisse darüber verspricht, auf welch absurde Art Außenseiter zu solchen gemacht werden können, welche kurzfristigen und langfristigen Faktoren Gewalt- und Vernichtungswünsche nähren und auf welche Weise gesellschaftliche Führungsgruppen Mittel zur nur selten uneigennützigen Steuerung der daraus resultierenden gravierenden sozialen Konflikte einsetzen können. In das Konzept der Ausstellung, die vom 5. Mai bis zum 29. Oktober 2000 unter dem obigen Buchtitel im Musée d´Histoire de la Ville du Luxembourg stattfand, wurden damit die bereits seit längerer Zeit in der Hexenforschung dominierenden Fragen nach den gesellschaftlichen Ursachen der großen Verfolgungswellen des 16. und 17. Jahrhunderts aufgenommen. Auf der Basis neuerer Forschungen zu Hexenprozessen im Maas-Rhein-Mosel-Raum, an denen die Herausgeber des Bandes maßgeblich beteiligt sind, wurde dem Publikum eine fundierte Auseinandersetzung mit dieser schwierigen, sich heute nicht leicht erschließenden Materie geboten.
Den größten Anteil des historischen Lesebuchs zur Ausstellung machen Textbeiträge aus. Hauptzweck bei der Konzeption des Bandes war es offensichtlich, dem Besucher die Möglichkeit zu geben, die beim Ausstellungsrundgang erhaltenen Eindrücke im Nachhinein zu vertiefen: Auf je etwa sechs bis zehn reinen Textseiten werden dichte Informationen zu Oberlotharingien im 15.-17. Jahrhundert (Michel Pauly), der rechtlichen Entwicklung vom Ketzer- zum Hexenprozeß (Herbert Eiden) und zu den Rechtsnormen und Gerichtspraxis bei Hexereiverfahren in Lothringen, Luxemburg, Kurtrier und St. Maximin während des 16. und 17. Jahrhunderts (Rita Voltmer und Herbert Eiden) angeboten. Der Leser erfährt zudem im Beitrag Annäherung an das Fremde: Zum Verständnis von Folter und Hinrichtungen im Hexenprozeß (Johannes Dillinger) etwas über magische Auffassungen zu diesen beiden frühneuzeitlichen Strafrechtselementen, wobei man hier allerdings die rationalen Befürwortungskonzepte seitens der Obrigkeiten und die durchaus in unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten verbreiteten rationalen Elemente der Kritik an Folter und Hinrichtungen vermisst. Diesem Beitrag schließt sich ein Überblick über die großen Hexenverfolgungen in den Territorien zwischen Reich und Frankreich (16. u. 17. Jahrhundert) - Abläufe, Ursachen, Hintergründe (Rita Voltmer) und das Ende der Hexenverfolgungen in Lothringen, Kurtrier und Luxemburg im 17. Jahrhundert (Boris Fuge) an. Im Beitrag Von der besonderen Alchimie, aus Menschenblut Gold zu machen oder von den Möglichkeiten, Hexenprozesse zu instrumentalisieren (Rita Voltmer) werden Hinweise auf ganz profane Verfolgungszwecke präsentiert, die von der Anhebung der lokalen Machtposition der in den Hexenausschüssen vertretenen Familien über die Selbstbereicherung seitens des obrigkeitlichen Personals bis hin zu den Versuchen seitens kleinerer Hochgerichtsherren reichten, ihre Unabhängigkeit von den territorialen Obrigkeiten über die unter eigenem Namen durchgeführten Prozesse und Hinrichtungen zu demonstrieren.
Die restlichen vier Beiträge zur Frühen Neuzeit stellen gleichsam zwei Ebenen des Hexenglaubens gegenüber: Der Beitrag Hebammen, Heilerinnen und Hexen (Franz Irsigler) untersucht, inwieweit sich das Aufkommen von Hexenprozessopfern, die aus den Schichten der heilkundigen Personen stammen, empirisch fassen lässt, und geht damit volksmagischen Vorstellungen nach. "Dann da die Weiber in Betrübnussen / Widerwärtigkeit und Kümmernussen einfallen." Gelehrte und volksnahe Vorstellungen vom Hexensabbat (Elisabeth Biesel) stellt gelehrte Auffassungen und verbreitetere Anschauungsmuster direkt in Kontrast zueinander. Die magisch-dämonologischen Vorstellungen (Othon Scholer) werden noch einmal konzentriert vor allem mit einem genaueren Blick auf die Arbeiten des Martin Delrio erörtert. Schließlich wird anhand jeweils kurzer Abrisse ein Überblick über prominente Gegner der Hexenprozesse in Luxemburg und Kurtrier (Gunther Franz) gegeben. Insgesamt liegt damit der Zielgruppe des Lesebuches ein beachtlich reichhaltiger Wissensfundus zu den Hexenverfolgungen vor. Über die beigefügten Quellen- und Literaturhinweise, die die Forschungen zur Maas-Rhein-Mosel-Region zum Schwerpunkt haben, wird darüber hinaus die Möglichkeit zur weiteren Auseinandersetzung mit der Forschung geschaffen.
Etwas unvermittelt beginnt im Anschluss daran ein zweiter, kleinerer Teil des Lesebuches, der Informationen zur Luxemburger Ausstellung und einige Abbildungen enthält. Hierbei wird zuweilen deutlich, dass sich wissenschaftliche Forschung und moderne Ausstellungskonzepte nicht immer geradlinig aufeinanderzubewegen und nahtlos miteinander verbinden lassen. In einem letzten kurzen zusammenhängenden Text wird nämlich näheres über den Aufbau und das Konzept zur Ausstellung Incubi Succubi. Hexen und ihre Henker bis heute (Marie-Paule Jungblut, Volker Geissler und Guy Thewes) mitgeteilt: Man erfährt, dass eine Zielvorstellung darin bestand, dem Besucher etwa durch die Exponierung von frühneuzeitlichen Foltergegenständen, des Kleides einer als Hexe hingerichteten Frau etc., darüber hinaus aber auch künstlerisch erzeugte Erlebnisse wie Klanganimationen dazu zu bringen, "sein Verhältnis zum Phänomen der Außenseiterverfolgung und des Umgangs mit Gewalt zu reflektieren" (S. 170). Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass dem Museumsbesucher die Möglichkeit eröffnet wird, seine eigenen Bezüge zum Thema über vielfältige Anregungen herzustellen. Man fragt sich jedoch unwillkürlich, welcher Stellenwert dabei etwa die Ausstellung von Gemälden von Otto Dix (Die Hexe, 1932) oder Karl Hofer (Walpurgisnacht, 1949) zukommt, die doch jeweils aus sehr spezifischen historischen Zusammenhängen stammen.
Dies ändert nichts daran, dass die Chance zur fruchtbaren Zusammenarbeit von Geschichtswissenschaftlern und Museumsmitarbeitern, die erfreulicherweise über staatliche Grenzen hinweg geleistet wurde, genutzt wurde. Das Lesebuch hat seinen Platz innerhalb der zunehmenden Aktivitäten, die Hexenforschungsergebnisse der letzten Jahre einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Vgl.: Rezension von Nils Freytag in PERFORM 2 (2001), Nr.1
Empfohlene Zitierweise:
Ralf-Peter Fuchs: Rezension von: Rita Voltmer / Franz Irsigler (Hg.): Incubi Succubi. Hexen und ihre Henker bis heute. Ein historisches Lesebuch zur Ausstellung im historischen Museum der Stadt Luxemburg (5. Mai bis 29. Oktober 2000), Luxemburg: Musée de la ville de Luxembourg 2000, in: INFORM 2 (2001), Nr. 6, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=481>
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