Heinrich Medefind / Werner Allewelt / Hans-Martin Arnoldt u.a. (Bearb.): Die Kopfsteuerbeschreibung des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel von 1678 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen; 202), Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2000, 926 S., ISBN 3-7752-5806-X, 40,00
Aus: Braunschweigisches Jahrbuch für Landesgeschichte (82 (2001), S. 237-239)
Rezensiert von:
Joachim Schmid
Steuern - kaum ein anderes Ressort der politischen Arbeit einer Regierung kann sich regeren Interesses seiner Bürger sicher sein. Ob beim Einkauf, an der Zapfsäule oder in der Lohntüte - die Auswirkungen von Steuern sind ganz konkret und für jeden spürbar. Ohne Steuergelder wären die öffentlichen Haushalte ihrer wichtigsten Einnahmequelle beraubt. Der Steuerstaat, der seine wirtschaftliche Bedeutung und politische Handlungsfreiheit aus der Steuerkraft seiner Bürger schöpft und sogar seine demokratische Stabilität weitgehend über steuerpolitische Maßnahmen gestaltet, herrscht heute unangefochten. Das war in der Vergangenheit durchaus anders. So hieß die am meisten verbreitete Steuer des Mittelalters Bede, was von Bitte kommt und den noch völlig anders gearteten Charakter dieser Abgaben verdeutlicht. Es sollte noch Jahrhunderte dauern, bis sich der frühmoderne Staat allmählich ausbreitete, mit seiner Verwaltung das Land überzog und das Leben, die Wirtschaft, den Verkehr, das Bauwesen, Kultur und Bildung und schließlich sogar Einkünfte und Vermögen zu regulieren begann und dafür immer mehr Institutionen und Steuermittel benötigte. Nach der weitgehenden Aushöhlung des Steuerbewilligungsrechts der Stände war der Siegeszug der Steuer nicht mehr aufzuhalten. So entwickelte sich die Akzise der Städte und die Kontribution des flachen Landes zur landesfürstlichen Hauptsteuer, hinzu kamen Reichssteuern wie der Römermonat. Zudem waren die Landesherren entschlossen, das Prinzip staatlicher Integrität mit einem jederzeit verfügbaren Machtapparat zur Geltung zu bringen, und so wurde die Aufstellung stehender Heere bald allgemein üblich. Deren Finanzierung sollte fortan zur Schlüsselfrage in der Steuerpolitik frühneuzeitlicher Staaten werden.
Auch im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel wurde das Militär als Instrument zur Durchsetzung politischer Interessen eingesetzt, es bildete die Grundlage des fürstlichen Strebens nach Macht und Einfluss. An die Stelle außenpolitischer Zurückhaltung trat die aktive Beteiligung an den diplomatischen und militärischen Konflikten der europäischen Großmächte. So ließ Herzog Rudolf August nach Regierungsantritt 1666 seine um fast das Dreifache verstärkten Truppen an allen großen kriegerischen Auseinandersetzungen teilnehmen, was den landesherrlichen Haushalt nicht unwesentlich belastete. Im Sommer 1678 muß die herzogliche Kriegskasse ein besonders großes Defizit ausgewiesen haben, so daß die Deckung der Unterhaltskosten für die Soldaten nur noch über ein steuerliches Sonderopfer der Bevölkerung erreicht werden konnte. Da die Zeit drängte, verpflichtete man die Obrigkeit der Stifte, Klöster, Ämter und Städte zur Einziehung und Ablieferung der außerordentlichen Steuergelder - üblicherweise wurde das sonst von dazu berufenen Kommissaren ausgeführt. Grundlage für die Erhebung war eine Verordnung des Herzogs, die detailliert festlegte, wie und nach welchem Schlüssel die Veranlagung erfolgen sollte und zu welchem Zeitpunkt die Fürstliche Kriegskasse die eingenommenen Beträge zu erhalten hatte. Steuerpflichtig waren danach alle Landeseinwohner, lediglich Geistlichkeit und Militärpersonen sowie Kinder unter zwölf Jahren blieben ausgenommen.
Die von den lokalen Obrigkeiten handschriftlich erstellten Erhebungslisten für die Kopfsteuer von 1678 sind im Original erhalten und befinden sich heute in den Beständen des Staatsarchivs Wolfenbüttel. Nun hat die Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen die Steuerlisten herausgegeben, mittlerweile die dritte Publikation dieser als Kopfsteuerbeschreibung bezeichneten Quellengattung. Die der ehemaligen Fürstentümer Calenberg-Göttingen und Grubenhagen und des Hochstifts Hildesheim liegen bereits seit geraumer Zeit vor, so daß mit dem Erscheinen des braunschweigischen Bandes eine Lücke geschlossen werden konnte. Heinrich Medefind übernahm federführend die Bearbeitung der Kopfsteuerbeschreibung und führte das Buchprojekt bis zur Druckreife; die von Werner Allewelt und Hans-Martin Arnoldt zuvor schon gefertigten Teilabschriften der historischen Aktenvorlagen stellten dabei eine wichtige Voraussetzung dar. Durchsicht, Angleichung und Korrektur der Texte besorgte Sabine-Dorothea Pingel.
Die Kopfsteuerbeschreibung stellt eine Bestandsaufnahme der Landstädte (nur die Stadt Braunschweig fehlt, da von ihr für dieses Jahr keine Steuerbeschreibung vorliegt), Dörfer, Höfe, Wohnungen, Menschen und Sozialbeziehungen im ehemaligen Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel dar. Die Listen geben genaue Auskunft über alle Steuerpflichtigen des Jahres 1678, nach ihren Wohnorten Haushalt für Haushalt erfasst. Die Familienoberhäupter erscheinen unter ihren vollständigen Vor- und Zunamen, klassifiziert nach Stand und Beruf, die Ehefrauen und steuerpflichtigen Kinder dagegen ohne Namensangabe. Aufgelistet sind auch weitere Bewohner wie etwa Eltern, Großeltern oder Verwandte, die den Wohnraum mit der Familie teilten. Bei den Bauern ist außerdem die Anzahl des Gesindes festgehalten wie bei den Handwerkern die der Gesellen und Lehrjungen. Sie alle wurden mit einer festgelegten Taxe in Taler und Gutegroschen veranlagt. Summiert man die Zahl der Steuerpflichtigen im Fürstentum, so gelangt man zu einer Gesamtzahl von rund 58 000 Personen (ohne Braunschweig!).
Die Steuererheber haben im Rahmen der Formvorgabe die Beschreibung sehr unterschiedlich ausgeführt, teils sehr schematisch, teils mit genauen Angaben zur Lebenssituation von Personen, die dann oft zur Steuerentrichtung auch nicht in der Lage waren. So beispielsweise die Handwerksleute im Dorf Gebhardshagen, die selten zu arbeiten haben... undt die meiste Zeit daß liebe Brodt nicht hetten. Oder der Großköter aus Erzhausen, der noch seine beeden Eltern hat, so alt und des Gesichtes beraubet; der Krüger des Klosterguts zu Offleben, der ein gebrechlicher, vom Schlage gerührter, elender, alter armer Man ist und die Frau ihn ernehren und pflegen muß; der alte Häusling aus Ingeleben, der nicht mehr hören kann, auch nicht arbeiten und deshalb daß Brodt vor anderer Leuthe Thüren suchen muß. Kaum besser die Einschätzung der wirtschaftlichen Situation des dortigen Försters, der zur Steuerzahlung veranschlagt war und wird deshalb zu thun geben, dies Geld von ihme zu erpreßen, wie der Steuererheber ahnungsvoll notierte. Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen - unverfälschte Einblicke in die soziale Situation herzoglicher Untertanen im 17. Jahrhundert.
Nach der Steuerliste Wolfenbüttels folgen die der anderen Städte des Fürstentums, Gandersheim, Helmstedt, Holzminden, Königslutter, Schöningen, Schöppenstedt, Seesen und Stadtoldendorf. Dann, in alphabetischer Reihenfolge, die herzoglichen Ämter und Gerichte, die adligen Gerichte, Dörfer und Höfe, die Klostergerichte und die Komtureigerichte. Als eine in sich geschlossene Verwaltungseinheit besonders ausgewiesen ist die Grafschaft Blankenburg mit ihren vier Ämtern, den Städten Blankenburg und Hasselfelde und dem Kloster Michaelstein. Das Amt Campen, das zum Zeitpunkt der Kopfsteuererhebung noch an Lüneburg abgetreten war, sowie die Orte Bevenrode, Bienrode und Waggum aus der Gogrefschaft Papenteich, die erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts unter wolfenbüttelsche Herrschaft kamen, werden gesondert im Anhang aufgeführt. Indices der Orte, aller Familiennamen und angegebenen Berufe (dieses Register mit annähernd 700 verschiedenen Berufsbezeichnungen jener Zeit ist eine wahre Fundgrube!) sowie ein Fundstellenverzeichnis beschließen das umfangreiche Werk.
Die Kopfsteuerbeschreibung von 1678 ist als historische Quelle vielseitig auswertbar. Der Ahnenforscher kann sie für die Suche nach seinen Vorfahren nutzen, dem Ortschronisten wird eine genaue Beschreibung der Einwohnerschaft seines Ortes als Momentaufnahme aus einem einzigen Jahr an die Hand gegeben und der Historiker, insbesondere der Sozialhistoriker, findet das Material für eine vergleichende Untersuchung der Bevölkerungs- und Sozialstruktur einer ganzen Region. Mithin erschließt die Veröffentlichung dieser geschichtlichen Quelle von überwältigender Konkretheit (Geleitwort) der regionalhistorischen Forschung für das ehemalige Land Braunschweig neue Möglichkeiten und stellt somit eine wertvolle Ergänzung der gedruckt vorliegenden Inventare und Quellenzusammenstellungen der Bestände des Staatsarchivs in Wolfenbüttel dar.
Empfohlene Zitierweise:
Joachim Schmid: Rezension von: Heinrich Medefind / Werner Allewelt / Hans-Martin Arnoldt u.a. (Bearb.): Die Kopfsteuerbeschreibung des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel von 1678, Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2000, in: INFORM 3 (2002), Nr. 1, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=494>
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