Bernhard Kirchgässner / Hans-Peter Becht (Hg.): Stadt und Bildung (= Stadt in der Geschichte. Veröffentlichungen des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung; Bd. 24), Stuttgart: Thorbecke 1997, 186 S., ISBN 3-7995-6424-1, 23,01
Aus: Württembergisch Franken (85 (2001), S. 458-460)
Rezensiert von:
Ute Schulze
Wie schon der Band 23 der Veröffentlichungen des Arbeitskreises, der sich mit dem Mäzenatentum beschäftigte, widmet sich auch dieser einem Themenkreis, der in "Zeiten knapper öffentlicher Mittel ... besonderen Belastungen ausgesetzt" ist, wie Hans-Peter Becht in seinem Vorwort (S. 7) feststellt. Die einzelnen Aufsätze geben die Vorträge der 34. Arbeitstagung in Mainz 1995 wieder.
Das Spektrum der Bildung in den Städten wird in breiter Palette untersucht. Den Anfang macht Ulrich Andermann mit seinem Beitrag "Bildung, Wissenschaft und Gelehrte in der Stadt um 1500" (S. 9-49). Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf dem südwestdeutschen Raum, wobei zum Vergleich einige norddeutsche Städte herangezogen werden. Dort liegt auch der Forschungsschwerpunkt des Autors. Konzentriert sich die Tagung im übrigen schwerpunktmäßig auf die Neuzeit und die Schulgeschichte, legt Andermann seine Ausführungen breiter an und nimmt dabei den Blickwinkel des Mediävisten ein (S. 9). Er gliedert in sechs Kapitel. Das erste stellt das "institutionelle Bildungsangebot in den Städten" vor (S. 11-24), das zweite widmet sich dem Buchdruck (S. 25-30). Kapitel drei behandelt die Sodalitäten, Kapitel vier "Formen der Wissenschaftsförderung in der Stadt" (S. 30-38) und Kapitel fünf "die Stadt und ihr Gelehrtenpersonal" (S. 38-46). Im abschließenden Kapitel 6 (S. 46-49) fragt Andermann - "anstelle eines Resümees" - nach dem Verhältnis von Süd bzw. Südwest und Nord, so wie es sich im Zeitraum des Übergangs vom Mittelalter zur Frühneuzeit unter allgemeinen Gesichtspunkten darstellt" (S. 46).
Anschließend beschäftigt sich Kurt Wesoly mit "Schulen und Bildung in bergischen Städten am Ende des Alten Reiches" (S. 51-73). Aus der Vielzahl der Orte des bergischen Landes wählt er dabei Düsseldorf und Elberfeld (heute ein Teil von Wuppertal) aus. Als Kriterien nennt er dafür erstens, dass die Größe beider Städte ein Spektrum von Bildungseinrichtungen erwarten lässt, und zweitens, dass die "Unterschiedlichkeit der beiden Gemeinwesen einen Vergleich interessant" mache (S. 51). So werden einander die Landeshauptstadt und der zeitweilige Regierungssitz Düsseldorf, 1792 zu 90% katholisch, und Elberfeld als Zentrum des Textilgewerbes mit einem hohen Grad an Mechanisierung und nur zu 20% katholisch, gegenübergestellt. Der Untersuchungszeitraum endet 1806 mit dem neu geschaffenen Großherzogtum Berg.
"Lesegesellschaften und städtische Reformpolitik an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert" betrachtet Hans-Werner Hahn (S. 75-93). Am Ende des 18. Jahrhunderts schlossen sich Menschen mit dem Ziel zusammen, "Neues zu erfahren und Kenntnisse zu erweitern". Hahn stellt fest: "Die Lesegesellschaft war die zahlreichste und am weitesten verbreitete Organisationsform der deutschen Aufklärungsbewegung" (S. 75). Aber neben dem Bildungsdurst spielte häufig auch der Wunsch nach Veränderung der alteuropäischen Gesellschaft eine Rolle. Der Autor gibt dann die verschiedenen Ansätze der Verortung der Lesegesellschaften in der Gesellschaft in der Forschung wieder.
Kai Gniffke untersucht die "öffentliche Erwachsenenbildung und organisierte Arbeiterschaft um die Jahrhundertwende. Anfänge einer Volkshochschule in Frankfurt am Main" (S. 95-105). Nach seiner Einleitung, die allgemein die Frage von Bildung und Freiheit beleuchtet (S. 95), erhellt der Autor zuerst die "ökonomische Entwicklung, kommunale Sozialpolitik und Arbeiterbewegung in Frankfurt am Main um 1890" (S.95-97). Es folgt das Kapitel "Die Frankfurter Arbeiterbewegung und die Konsolidierung des Ausschusses für Volksvorlesungen" (S. 97-101). Letzterer war ein "Projekt einer klassenübergreifenden Bildungseinrichtung" (S. 97). Unter 4. geht es um "aufkommende Konkurrenz: Der Arbeiterbildungsausschuß" (S. 101-102). Anschließend werden die "Industrialisierung und der Aufstieg der Gewerkschaftsbewegung in Frankfurt zu Beginn des 20. Jahrhunderts" (S. 102-104) unter die Lupe genommen. "Von der Konkurrenz zur Kooperation" ist das 6. Kapitel überschrieben, in dem der Weg von der Koexistenz zur Kooperation von Ausschuss für Volksvorlesungen (AfV) und Arbeiterbildungsausschuss skizziert wird (S. 104-105). Als "Ergebnis" fasst Gniffke die Entwicklung des AfV als Vorläufer der Volkshochschule Frankfurt im Zusammenspiel aller Kräfte kurz zusammen (S. 105).
Der Chronologie folgend schließt sich der Aufsatz von Wolfram Förster unter dem Titel "Das technische Schulwesen in Baden - Grundzüge und Tendenzen im 19. und 20. Jahrhundert" an (S. 107-117). Nach einem kurzen Blick auf das benachbarte Frankreich wendet sich der Autor der deutschen Situation zu und stellt fest, dass auch hier die Anfänge der technischen Bildung im Militär- und Bergbauwesen lagen. Das Großherzogtum Baden, so der Autor, war besonders im Elementarschulbereich engagiert (S. 108). Schulzwang und Gewerbliches Schulwesen wurden auf den Weg gebracht, wobei die Orientierung der Polytechniken an der Pariser Ecole polytechnique sichtbar ist (S. 109). Neben den mehr und mehr akademisierten Polytechniken kommen dann das vom Verein Deutscher Ingenieure angeregten "technischen Mittelschulen" in den Blick (S. 111). Weitere gewerbliche Schulen werden im weiteren in ihren Entwicklung beleuchtet (u.a. die Uhrmacherschule in Furtwangen).
Susanne Asche richtet ihr Augenmerk auf die Frauen- und Mädchenbildung unter der Überschrift "Disziplinierung und Emanzipation: Kommunale Bildungspolitik für Mädchen und Frauen im Großherzogtum Baden" (S. 119-136). Damit bietet dieser Band einen Beitrag zu dem gerade auch auf der politischen Ebene stark reflektierten Forschungskomplex der Frauen- und Geschlechterforschung. Der Schwerpunkt des Referats liegt auf der Entwicklung der höheren Mädchenbildung in Karlsruhe. Dabei kommt neben dem politischen Einfluss der Karlsruher Bürger auch der Badische Frauenverein zur Sprache. Dann wendet sich Asche auch dem Elementarunterricht und der Frauenfortbildung zu (ab S. 132).
Der abschließende Artikel von Ulrich Nieß ist überschrieben: "Mannheims Schul- und Bildungsgeschichte im Kaiserreich. Das Beispiel der Elementarschulen und der höheren Lehranstalten" (S. 137-156). Der Verfasser verweist auf den hohen Stellenwert, den die Mannheimer ihrem Schulwesen beimaßen, und er stellt fest: "Man ist versucht, geradezu von einem Topos zu sprechen, der keineswegs nur zum Werbeslogan degenerierte" (S. 137). Nach einigen einleitenden Worten wendet sich Nieß zunächst den Elementarschulen zu (S. 138-144). Es folgen die Überlegungen zum höheren Schulwesen (S. 144-151). Anschließend fragt der Autor "nach den verantwortlichen Kräften" (S. 152-154). Nicht unerwähnt bleiben soll die Einbeziehung der Frage der Integration der jüdischen Schüler, die für die "Mannheimer Traditionsanstalten (Karl-Friedrich-Gymnasium und Realgymnasium)" in einer Graphik visualisiert werden (S. 152). Am Schluss fasst Nieß zusammen (S. 154-156): "Die Entwicklung einer vielgestaltigen Schullandshaft in Mannheim war Ausdruck seiner Transformation zum modernen Handels- und Industriezentrum des Kaiserreichs" (S. 154).
Wie von den bisherigen Bänden her gewohnt, sind auch hier wieder die Diskussionsbeiträge zu den einzelnen Referaten nachzulesen (S. 157-176).
Empfohlene Zitierweise:
Ute Schulze: Rezension von: Bernhard Kirchgässner / Hans-Peter Becht (Hg.): Stadt und Bildung, Stuttgart: Thorbecke 1997, in: INFORM 3 (2002), Nr. 2, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=497>
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