Albrecht Ernst: Die reformierte Kirche der Kurpfalz nach dem Dreißigjährigen Krieg (1649-1685) (= Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B: Forschungen; Bd. 133), Stuttgart / Berlin / Köln: Kohlhammer 1996, 367 + XXXV S., Orts- und Personenindex, Karte, ISBN 3-17-013145-1, 25,00
Aus: Württembergisch Franken (85 (2001), S. 472-474)
Rezensiert von:
Claus Müller
Um es gleich vorweg zu sagen: A. Ernst gelingt es in seiner bereits im WS 91/92 in Mainz eingereichten kirchengeschichtlichen Dissertation, ein detailreiches und lebendiges Bild der reformierten Kirche in der Kurpfalz in den ersten Jahrzehnten nach dem Dreißigjährigen Krieg zu zeichnen. Dies ist zum einen auf eine der Darstellung offensichtlich zugrunde liegende beachtliche Archiv- und Quellenarbeit, zum anderen auf eine wohl durchdachte systematische Aufbereitung des Quellenmaterials zurückzuführen.
Nach einer kurzen Einleitung, die den Forschungsgegenstand näher bestimmt, einen knappen Überblick über den Forschungsstand gibt und schließlich die Quellenlage beleuchtet, untersucht der Vf. in den ersten drei Kapiteln die Rahmenbedingungen, unter denen sich der Wiederaufbau der reformierten Kirche in der Kurpfalz nach dem Dreißigjährigen Krieg vollzog. Ernst beginnt mit einer Darstellung der die Kurpfalz im allgemeinen und die kirchliche Situation im besonderen betreffenden Bestimmungen des Westfälischen Friedens. Durch sie eröffneten sich "der reformierten Kirche die hoffnungsvolle Aussicht ..., wiederum zur unumstrittenen Vorherrschaft in der Unterpfalz emporzusteigen" (S. 16); jedoch vermochte durch verschiedene Sonderbestimmungen auch "das lutherische Bekenntnis seine Position auszubauen" (ebd.), während die ansehnliche katholische Minderheit rechtlich nur durch die allgemeinen Religionsbestimmungen der Westfälischen Friedensverträge (devotio domestica bei Duldung durch den Landesherren) abgesichert war. Jedoch gebot schon der desolate Zustand der restituierten kurpfälzischen Gebiete eine tolerante Religionspolitik.
Für eine solche tolerante Politik steht Kurfürst Karl Ludwig (1649-80), dem das zweite Kapitel der Arbeit gewidmet ist. Über ihn urteilt A. Ernst: "Obwohl Karl Ludwig zeit seines Lebens der reformierten Lehre zugetan blieb, war ihm eine bemerkenswerte irenische und tolerante Denkart zu eigen..." (S. 27). Nachdem er die äußeren Umständen des Lebens und politischen Wirkens Karl Ludwigs dargelegt hat, geht der Verf. dieser toleranten Religionspolitik des Kurfürsten im Einzelnen nach. Insbesondere wird das lebenslange Bemühen des Fürsten um eine Union zwischen Lutheranern und Reformierten nachgezeichnet, deren äußere Manifestation das Projekt der Mannheimer Konkordienkirche darstellt. Zum anderen zeigt A. Ernst aber auch auf, wie dieses Bemühen im Dienste der Staatsräson stand: "In seiner Konfessionspolitik ließ sich der pragmatisch denkende, absolutistische Kurfürst vom staatlichen Interesse leiten ... Unter dem Eindruck der herrschaftsstabilisierenden Funktion einer einheitlichen Religion musste Karl Ludwig an einer homogenen Bevölkerungsstruktur interessiert sein." (S. 53).
Als drittes untersucht Ernst die demographischen und organisatorischen Grundlagen des Wiederaufbaus der reformierten Kirche nach dem Dreißigjährigen Krieg. Die Auswertung des Quellenmaterials ergibt hier für die Nachkriegskurpfalz nicht nur eine dezimierten Bevölkerung mit einer starken lutherischen und katholischen Minderheit, sondern zeigt zugleich die Schwierigkeiten der reformierten Kirche, wieder ein geregeltes kirchliches Leben und eine funktionierende kirchliche Organisation aufzubauen. Hier wie in den folgenden beiden Kapiteln hat Ernst seine Darstellung mit einer Fülle von Beispielen angereichert, ohne dabei jedoch ins Anekdotenhafte abzugleiten.
In dem durch die ersten drei Kapitel aufgespannten Rahmen zeichnet Ernst im folgenden sein Bild der reformierten Kirche der Kurpfalz, indem er zuerst die kirchlichen Ämter (ihre Struktur, Aufgaben und Besetzung) und deren Amtsträger untersucht, um anschließend auf das kirchliche Leben einzugehen. Im Hinblick auf die kirchlichen Ämter wird zum einem dem Kirchenrat als dem kirchenleitenden Organ und dessen "Entfaltungsmöglichkeit ... unter der absolutistischen Herrschaft Karl Ludwigs" (S. 3) besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Der Vf. geht dabei ausführlicher auf die einzelnen Mitglieder des Kirchenrates ein. Während die Zwischeninstanz der Inspektoren nur kurz abgehandelt wird, liegt ein weiterer Schwerpunkt auf dem Pfarramt und der Pfarrerschaft. Hierbei gewinnen besonders auch die Verhältnisse auf der Ortsebene schärfere Konturen. Interessant ist der Bericht über den Versuch, eine auf Abgaben beruhende Alters- und Witwenversorgung in der Pfarrerschaft aufzubauen. Abschließend kommen die für die reformierte Tradition wichtigen Presbyterien zur Darstellung. Das besondere Augenmerk liegt in diesem Abschnitt auf der Spannung zwischen der relativen "Unabhängigkeit" der Presbyterien und der zentralistischen kurfürstlichen Kirchenpolitik.
In den Mittelpunkt der Untersuchungen zum kirchlichen Leben stellt A. Ernst den Gottesdienst. An mehreren exemplarischen Fällen wird der häufig mangelhafte Zustand der Gotteshäuser, aber auch der - nach Ansicht der Geistlichen - mangelhafte Gottesdienstbesuch beleuchtet. Im einzelnen analysiert A. Ernst dann Ordnung und Praxis des Gottesdienstes sowie der Kasualien. Wie er anschließend zeigt, hatte auch der Schulunterricht mit analogen Schwierigkeiten zu kämpfen, d.h. unzureichender Unterbringung, schlechtem Besuch und Personalmangel. Der Einschätzung, dass "im Alltag der pfälzischen Kirche ... der Almosenpflege eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu [kam]" (S. 254), entspricht die Darstellung der Almosenpflege als dritter Bereich des kirchlichen Lebens. Das Kapitel abschließend geht Ernst noch kurz auf Abweichungen von kirchlichen Glaubens- und Verhaltensnormen ein. Darunter fasst er eine Vielzahl von Verhaltensweisen - von moralisch-sittlichen Vergehen bis zur "Hexerei" - zusammen.
Nach der Analyse der inneren Zustände der reformierte Kirche beschäftigt sich die Dissertation mit dem Verhältnis der reformierten Kirche und der kurfürstlichen Kirchenpolitik zur lutherischen und katholischen Minderheit. A. Ernst legt dar, wie zwar einerseits die pfälzische Regierung durch die vertraglichen Rechte lutherischer Gemeinden und durch den Schutz und die Unterstützung, den diese durch die lutherischen Mächte erhielten, auf Rücksichtnahme bedacht sein musste, wie sie aber andererseits diese Rechte und weitere Konzessionen nur sehr widerstrebend gewährte. Gegenüber der katholischen Minderheit zeigte sich die Regierung erst recht wenig duldsam (außer in wenigen begrenzten Ausnahmefällen). In beiden Fällen kam es in Kondominaten bei kirchlichen Angelegenheiten regelmäßig zu Streitigkeiten. Obwohl A. Ernst diese Unduldsamkeit nicht unmittelbar mit dem von Karl Ludwig initiierten Versuch einer liturgischen Union von Reformierten und Lutheranern kontrastiert - der nochmals ein eigener Abschnitt gewidmet ist - , machen seine Analysen doch ein gemeinsames Motiv beider sichtbar, nämlich die absolutistische Staatsauffassung, die auf ein homogene Konfessionszugehörigkeit der Untertanen zielt. In diesem Sinne interpretiert A. Ernst denn auch das Bemühen Karl Ludwigs um eine (wenigstes) liturgische Union, deren Verwirklichung die Mannheimer Konkordienkirche dienen sollte.
Die Arbeit schließt als Pendant zum Kapitel über Kurfürst Karl Ludwig mit einem kurzen Kapitel über die der irenischen Politik Karl Ludwigs entgegenlaufenden reformierten Restauration unter Kurfürst Karl II. Freilich zeigt der Verf., wie die Kirchenpolitik Karls aufgrund seiner Kinderlosigkeit bald auch von der Sorge um die Sicherung der Rechte der reformierten Kirche bei einem Übergehen der Herrschaft auf die katholische Pfalz-Neuburgische Linie bestimmt war.
Die vielen Details, die A. Ernst in seiner Dissertation über die Geschichte der reformierten Kirche der Kurpfalz nach dem Dreißigjährigen Krieg zum Vorschein bringt und zu einem Gesamtbild zusammensetzt, lassen sich nur sehr unzureichend in einer Rezension zusammenfassen. Wer Interesse an kurpfälzischer Kirchengeschichte besitzt, wird hier eine gelungene Darstellung jener Dekaden finden.
Empfohlene Zitierweise:
Claus Müller: Rezension von: Albrecht Ernst: Die reformierte Kirche der Kurpfalz nach dem Dreißigjährigen Krieg (1649-1685), Stuttgart / Berlin / Köln: Kohlhammer 1996, in: INFORM 3 (2002), Nr. 2, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=498>
Bitte setzen Sie beim Zitieren dieser Rezension hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse ein.