Werner Freitag / Klaus Erich Pollmann / Matthias Puhle (Hg.): Politische, soziale und kulturelle Konflikte in der Geschichte von Sachsen-Anhalt. Beiträge des landesgeschichtlichen Kolloquiums am 4./5. September 1998 in Vockerode (= Studien zur Landesgeschichte; Bd. 1), Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag 1999, 250 S., ISBN 3-932776-96-8, DM 45,00
Rezensiert von:
Ulrich Rosseaux
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn
Die Beiträge dieses Sammelbandes kreisen um eine Thematik, die üblicherweise nicht zum hergebrachten Kanon traditioneller Landesgeschichtsschreibung gerechnet wird. Konflikte - sie seien politischer, rechtlicher, religiöser, ökonomischer oder kultureller Natur - gerieten zumeist nur dann in den Fokus der landeshistorischen Forschung, wenn es sich um die regional spürbaren Folgen größerer Vorgänge handelte. Wenig Aufmerksamkeit erfuhren hingegen die alltäglichen - oder besser: die gewöhnlichen - Auseinandersetzungen, die das politische, soziale oder kulturelle Getriebe eines Landes oder einer Region gleichsam automatisch mit sich bringt. Die Ausrichtung einer Tagung, die speziell der Erforschung von Konflikten als Thema der Landesgeschichte gewidmet war, stellte daher ein durchaus ambitioniertes - und wie die nun publizierten Referate zeigen: im Großen und Ganzen auch lohnendes - Unterfangen dar.
Die chronologische Spanne der insgesamt elf Beiträge beginnt mit Christian Lübkes Aufsatz über die "Konflikte zwischen Sachsen und Slawen vom 10. bis zum 12. Jahrhundert" (12-21) im Hochmittelalter und endet mit dem Referat von Olaf Freier über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in Bitterfeld und Wolfen (196-204) in der Zeitgeschichte. In diesen gut 1000 Jahren wird ein breites inhaltliches Feld bearbeitet: Die drei weiteren mediävistischen Beiträge verbindet, dass sie alle - wenn auch in unterschiedlicher Form - von Konflikten in Städten oder um Städte handeln. Während sich Wilfried Ehbrecht im umfangreichsten Aufsatz des gesamten Bandes allerdings mehr den innerstädtischen Konflikten ("Stadtkonflikte im östlichen Altsachsen", 24-56) zuwendet, widmet sich Michael Scholz in seinem Referat über die Auseinandersetzungen zwischen den geistlichen Fürsten als Stadtherren mit den ihnen unterworfenen Städten ("Konflikt und Koexistenz - Geistliche Fürsten und ihre Städte in Mitteldeutschland im späten Mittelalter", 80-99) einem in der Forschung nicht ganz unbekanntem Thema, das stärker auf die Außenbeziehungen der betroffenen Kommunen abhebt. Eine gewissermaßen vermittelnde Position nimmt dagegen der Aufsatz von Gudrun Wittek ein, in dem es um die Zusammenarbeit von Klerus und städtischem Bürgertum in den geistlichen Territorien Halberstadt und Magdeburg geht. ("Einigkeit und Abgrenzung - Konfliktbewältigung durch Stadtbürgertum und Klerus in den Städten der Bistümer Halberstadt und Magdeburg im 13. und 14. Jahrhundert", 58-77). Hervorzuheben ist, dass es sich hierbei um den einzigen Beitrag in diesem Sammelband handelt, der nicht allein den Konflikt und dessen Ausprägung, sondern auch dessen Bewältigung in den Blick nimmt. Kritisch muß hingegen angemerkt werden, dass in Witteks Untersuchung der Konfliktlösungen die rituellen Formen des politischen Handelns, die dabei zur Anwendung gelangten, nicht berücksichtigt werden. Die Einbeziehung der neueren Forschungen auf diesem Gebiet, für die hier als Chiffre der Name Gerd Althoff genannt sei, hätte sicherlich zu einem vertieften Verständnis der Mechanismen der Konfliktbewältigung beitragen können.
Drei weitere Beiträge des vorliegenden Sammelbandes behandeln Themen, die in der Frühen Neuzeit angesiedelt sind. Werner Freitag untersucht die Konflikte, die im Zuge der zweiten Reformation im Fürstentum Anhalt auftraten ("Konflikte im Prozeß der reformierten Konfessionalisierung im Fürstentum Anhalt am Ende des 16. Jahrhunderts", 102-115). Dabei gelingt es ihm, das Konzept der Konfessionalisierung für die Analyse von Konflikten fruchtbar zu machen. Auch der Beitrag von Markus Meumann ("Kriegsfolgen und militärische Lasten als Konfliktpotential im 17. Jahrhundert: Bilanz der Forschung und Ansätze zu einer Typologie des Widerspruchs", 128-145) enthält einige nicht uninteressante Ansätze, die im Hinblick auf die Problematik des Widerspruchs oder des Widerstands der Untertanen in der Frühen Neuzeit von Nutzen sein können. Hingegen fällt der Aufsatz von Mathias Tullner ("Machtpolitische und territoriale Konflikte im Mittelelberaum während des 30jährigen Krieges", 116-125) ein wenig ab, ist er doch ziemlich genau das, was die Herausgeber in der Einleitung bemängelt haben: Die Adaption eines umfassenden und überregionalen Konflikts - in diesem Fall des Dreißigjährigen Krieges - auf das regionale Maß, was beinahe notwendig oberflächlich geraten muß. Das Referat von Christina Benninghaus und Michael Hecht über "Gewalt in Hungerunruhen 1847" (148-162) nähert sich dem Tagungsthema aus der Perspektive der Protestforschung und bietet einen guten Einblick in die Geschehnisse im Vorfeld der Revolution von 1848. Es ist zugleich der einzige Beitrag, der sich des 19. Jahrhunderts angenommen hat. Man geht wohl nicht fehl, wenn man dies auf das zur Verfügung stehende Tableau von Forschungsprojekten zurückführt, denn aus der zahlenmäßigen Gewichtung der Epochen in diesem Sammelband den Schluß zu ziehen, dass das 19. Jahrhundert zu den harmonischen verlaufenden Zeiten der Landesgeschichte im Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt zu rechnen ist, scheint doch eher abwegig zu sein.
Mit den Aufsätzen von Hans Ulrich Ludewig ("Unruhen, Aufstand und Bürgerkrieg 1918 - 1923 im mitteldeutschen Raum", 64-174) und Torsten Kupfer ("Umfeldbedingungen des Aufstieges der anhaltischen NSDAP", 176-194) wird schließlich das frühe 20. Jahrhundert erreicht. Ähnlich wie im Beitrag von Benninghaus / Hecht analysiert auch Ludewig seinen Gegenstand aus dem Blickwinkel der Protestforschung. Zugleich erinnert er daran, dass sich die Unruhen und Aufstände der Anfangsjahre der Weimarer Republik nicht auf die sattsam bekannten Fälle in Berlin, München oder Sachsen beschränkten, sondern auch das mitteldeutsche Industriegebiet zu den in dieser Hinsicht besonders aktiven Zonen zählte. Aus Torsten Kupfers Beitrag über den Aufstieg der NSDAP in Anhalt ist die detaillierte Analyse der Sozialstruktur der NSDAP im Kreis Bernburg hervorzuheben. Deren Ergebnisse zeigen eine Partei, die sehr stark dem hergebrachten Bild von der radikalisierten Mitte ähnelt. Insofern bestätigte sich die These von der NSDAP als 'Volkspartei', die aufgrund anderer Untersuchungen ähnlichen Zuschnitts aufgestellt wurde, in diesem Fall nicht. Insgesamt kann der vorliegende Band durchaus überzeugen. Dass die Herausgeber einen sehr weitgefassten Konfliktbegriff zur Grundlage der Tagung und damit auch der Beiträge gemacht haben, war zwar einerseits der Forschungslage geschuldet, förderte andererseits aber auch die Vielfalt der Ansätze. Es wäre zu wünschen, wenn die damit verbundenen Anregungen sich in der Zukunft als fruchtbar erweisen würden.
Nach allem Lob sei am Ende aber eine Kritik in formaler Hinsicht gestattet: Die Redaktion des Bandes hätte etwas sorgfältiger erfolgen können. In manchen Aufsätzen wird man von nicht nachvollziehbaren Seitenumbrüchen überrascht, und im Fall des Beitrags von Torsten Kupfer stimmen der Eintrag im Inhaltsverzeichnis und der tatsächliche Titel nicht überein. Man mag dies zu den Marginalien rechnen, ärgerlich, weil unnötig, bleibt es allemal.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich Rosseaux: Rezension von: Werner Freitag / Klaus Erich Pollmann / Matthias Puhle (Hg.): Politische, soziale und kulturelle Konflikte in der Geschichte von Sachsen-Anhalt. Beiträge des landesgeschichtlichen Kolloquiums am 4./5. September 1998 in Vockerode, Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag 1999, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 2, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=103>
Bitte setzen Sie beim Zitieren dieser Rezension hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse ein.