Peer Frieß / Rolf Kießling (Hg.): Konfessionalisierung und Region (= Forum Suevicum. Beiträge zur Geschichte Ostschwabens und der benachbarten Regionen; Bd. 3), Konstanz: UVK 1999, 319 S., ISBN 3-87940-678-2, DM 78,00
Rezensiert von:
Antje Flüchter-Sheryari
Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Das von Peer Frieß und Rolf Kießling herausgegebene Buch "Konfessionalisierung und Region" dokumentiert die 6. Tagung des Memminger Forum für Schwäbische Regionalgeschichte (28.-30. November 1997). Diese griff erneut die Debatte um das Konzept der Konfessionalisierung auf, mit besonderer Berücksichtigung der Funktion der Regionalgeschichte für die weitere Diskussion. Der Band ist in einen theoretischen Teil und der Darstellung von Beispielen aus Oberschwaben und den benachbarten Regionen geteilt. Im ersten Block stellen Helga Schnabel-Schüle und Walter Ziegler ihre konträren Positionen zum Konfessionalisierungskonzept vor. Helga Schnabel-Schüle problematisiert die Frage des Endes der Konfessionalisierung und wendet sich dabei entschieden gegen die Zäsur von 1648. Diese erscheint ihr zu verfassungsgeschichtlich bestimmt, während der Vorteil des Konfessionalisierungskonzeptes gerade die Integration der verschiedenen Ansätze der Geschichtswissenschaft sei. Sie plädiert stattdessen für eine Anwendung der Kategorie "Konfession" für die ganze Epoche der Frühen Neuzeit. Außerdem beklagt sie, dass im Rahmen der Parallelitätsthese die katholische Konfessionalisierung noch zu wenig untersucht worden sei. Viele Ergebnisse zur lutherischen oder reformierten Konfessionalisierung würden zu unreflektiert auf die katholische Seite übertragen. In Zukunft müsse die parallele Untersuchung deutlicher die konfessionsspezifischen Ausprägungen der Konfessionalisierung beleuchten.Walter Ziegler stellt den Gegenpol dar: Er bezweifelt den Nutzen und Das Erklärungspotential des Konfessionalisierungskonzeptes. Seine Hauptschwächen sieht er in der Vernachlässigung der theologischen Wahrheitsfrage und im Parallelitätspostulat, das die katholische Kirche zu einer Konfession unter anderen mache, statt die ihr innewohnende Kontinuität zu betonen. Daneben würde der Begriff der Konfessionalisierung den Blick auf die religiöse Vielfalt der kirchlichen Verhältnisse im 16. Jahrhundert verstellen und die Rolle des Staates nicht genügend würdigen. Damit setzt er einen eigenwilligen Gegenpol dazu, da sonst eher die zu etatistische Ausrichtung des Konfessionalisierungskonzeptes diskutiert wird.
Der dritte Aufsatz des theoretischen Blocks fällt inhaltlich aus dem Rahmen der Konfessionalisierungsdebatte. Karl-Ludwig Ay beschäftigt sich mit Max Webers Protestantismuskonzept. Dabei hebt Ay hervor, dass der Untersuchungsgegenstand Max Webers, nämlich die Protestanten Westeuropas und Nordamerikas, nicht gleichzusetzen seien mit dem deutschen Protestantismus. Vor allem die landesherrliche Religionspolitik habe durch ihre Repressivität die Ausbildung eines kapitalistischen Geistes verhindert.
Diesem theoretischen Teil folgen sieben Aufsätze aus der oberschwäbischen Landesgeschichte und drei zu Aspekten aus benachbarten Regionen. Peer Frieß befaßt sich mit der lutherischen Konfessionalisierung in den Reichsstädten Oberschwabens. Hierbei stellt er die Verquickung religiösen Wandels mit der politischen Veränderung heraus. Einer ursprünglich zwinglianisch beeinflussten Reformation folgt erst nach Abschaffung des Interims die Etablierung der lutherischen Konfessionalisierung. Dies habe weniger an der größeren Überzeugungskraft der lutherischen Theologie als an der politischen Notwendigkeit der konfessionellen Einheit mit potentiellen Bundesgenossen gelegen. Aus Rücksicht auf die nach wie vor zwinglianisch geprägte Bevölkerung habe man aber zuerst nur die Inhalte "lutherisiert", die äußeren Formen des Gottesdienstes blieben zwinglianisch.
Carl A. Hoffmann verbindet am Beispiel konfessionell motivierter Konflikte im bikonfessionellen Augsburg die ereignisgeschichtliche Ebene mit dem Alltagshandeln. Dem städtischen Rat ging es bei allen Konflikten vorrangig um eine Verhütung von Unruhen, man bemühte sich um konfessionelle Neutralität. Daher verwundert es nicht, dass Konfessionalisierung in Augsburg nicht als obrigkeitliche Sozialdisziplinierung verstanden werden kann, die Bekenntnistrennung aber schon Ende des 16. Jahrhunderts gesellschaftlich wahrgenommen und empfunden worden sei.
Wolfgang Petz befasst sich in seinem Aufsatz mit Konflikten zwischen der evangelischen Reichsstadt Isny und dem in der Stadt gelegenen katholischen Kloster im 18. Jahrhundert. Dabei geht es ihm sowohl um die Frage, wieweit Konfession im 18. Jahrhundert noch eine Rolle spielte, als auch um die Wirkmächtigkeit der Aufklärung im politischen Alltag. Einerseits bestätigt er Schnabel-Schüles Anliegen, dass die Kategorie "Konfession" für die ganze Epoche der Frühneuzeit fruchtbar gemacht werden kann. Gleichzeitig wird aber deutlich, dass "Konfession" im 18. Jahrhundert nicht mehr die gleiche Bedeutung hat wie im 16. und 17. Jahrhundert. Die Zuordnung, ob ein Konflikt konfessionell motiviert sei oder nicht, sei meist schwer, doch dies ist keine Folge der Aufklärung. Außer in der Übernahme des Begriffs der Toleranz gegenüber der anderen Konfession habe der Rat der Stadt Isny in diesen Konflikten nicht im eigentlichen Sinne aufklärerisch gehandelt.
Gerhard Simon wendet sich der Frage zu, inwieweit die Täufer als vierte Konfession betrachtet werden könnten. Diese Bezeichnung hält er für sinnvoll, soweit damit gemeint sei, dass die Täufer die erste Repräsentation der neuen Konfessionsform der Freikirche darstellen. Gegen die Ausbildung einer täuferischen Konfession im 16. Jahrhundert habe vor allem ihre inhaltliche Vielfalt gesprochen sowie die mangelnde Kontinuität ihrer Führungspersönlichkeiten. Beispielhaft zeigt er an zwei mit Augsburg verbundenen Täuferführern, Jakob Dachser und Augustin Bader, dass für sie das Täufertum eher eine Durchgangsstation als eine theologische Heimat darstellte.
Paul Hoser untersucht in drei reformierten Enklaven in Schwaben die Konflikte auf der politischen Ebene wie die zwischen den konfessionell verschiedenen Untertanen. Deutlich wurde die Macht der Konfessionsschranken bei gemischtkonfessionellen Ehen. Damit zusammenhängende Konfessionswechsel beurteilt Hoser im Unterschied zu Karl Heinz Burmeister als sehr problematisch, da der Konvertit seine soziale Heimat verlor. Die religiösen Differenzen prägten das Leben der Untertanen. Aber weil die Bevölkerung ähnliche Existenzerfahrungen teilte, waren die konfessionellen Gegensätze überbrückbar. Dies versuchte die Obrigkeit allerdings vielfach zu unterbinden. Ihre Existenz konnten die kleinen Gemeinschaften auf einer höheren Ebene letztendlich nur durch mächtige, konfessionsverwandte Verbündete erhalten. Dabei ist von besonderer Bedeutung, dass eine enge Verbindung zur Züricher Gemeinde bestand.
Karl Heinz Burmeister wendet sich Aspekten der Konfessionalisierung im mehrheitlich katholischen Teil der Bodenseeregion zu. Zuerst untersucht er interkonfessionelle Begegnungsorte, wie Bäder und das Zusammenleben in gemischtkonfessionellen Familien. Nach diesen interkonfessionellen Grenzüberschreitungen wendet er sich den obrigkeitlichen Bemühungen der konfessionellen Abgrenzung vor allem auf katholischer Seite zu. Nachdem Helga Schnabel-Schüle in ihrem Aufsatz eine stärkere Berücksichtigung und Untersuchung der katholischen Konfessionalisierung eingefordert hatte, enttäuscht es vielleicht, dass sich nur dieser eine Aufsatz unter den oberschwäbischen Beispielen, der auch noch zu den kürzeren gehört, konkret mit diesem Aspekt beschäftigt. Als letzter Aufsatz zur oberschwäbischen Region behandelt Wolfgang Wüst die Zensur in den Reichsstädten. Die Zensur als Mittel der Konfessionalisierung sei nach wie vor ein Forschungsdesiderat. Die Reichsstädte hielten sich eng an die Zensurbestimmungen des Reiches. Außer im bikonfessionellen Augsburg sei der kirchliche Einfluss auf die Zensur in den Reichsstädten stärker verankert gewesen als in den Territorien. Trotzdem erwies sich die Instrumentalisierung der Zensur für eine eigenständige Konfessionspolitik in den Städten als eher schwierig. Neben den Kommunikationssystemen zwischen den Städten seien nicht zuletzt die wirtschaftlichen Interessen der Bürger und Städte zu bedenken, die einer stärkeren Einflussnahme entgegenstanden. Den Beispielen aus der oberschwäbischen Region folgen zwei Aufsätze über das katholische Bayern und einer zum reformierten Bern. Ulrike Strasser verbindet in ihrem Aufsatz den Konfessionalisierungsansatz mit der historischen Frauenforschung am Beispiel Münchner Eheversprechens-und Alimentationsklagen (1592-1649). Dabei stellt sie heraus, dass nicht nur die Reformation und die lutherische wie reformierte Konfessionalisierung zu einer Verschiebung in den Geschlechterbeziehungen geführt hat. Während geistliche wie weltliche Gerichte lange als Helfer unverheirateter Frauen fungierten, änderte sich das mit der landesherrlichen Konfessionalisierung und der Verabschiedung des Tridentinums. Voreheliche Sexualität wurde nicht mehr als Teil der Eheanbahnung gesehen, weniger männliche Verführung als weibliche Unzucht stand nun im Mittelpunkt. Gleichzeitig wurden Verbindungen zwischen Besitzlosen nicht mehr akzeptiert. Sie wurden als "leichtfertig" bezeichnet und dadurch rechtlich eine legitime Eheschließung verhindert. Ehe wurde also nicht nur zu dem einzigen Ort der legitimen Sexualität, sondern auch zu einem sozialen Distinktionsinstrument.
Otto Feldbauer wendet sich der Durchsetzung des tridentinischen Priesterideals zu. Die zu beseitigenden Hauptkritikpunkte gegenüber dem Klerus bestanden in sexuellen Delikten, Gewalttätigkeit und Seelsorgemängeln. Neben der vertikalen Disziplinierung durch die Obrigkeit und der horizontalen der Kleriker untereinander geht er besonders auf die soziale Kontrolle durch die Gemeinde ein. Während bei sexuellen Delikten und Seelsorgemängelns sich die verschiedenen Disziplinierungsebenen entsprachen und somit unterstützten, stießen bei der Frage der Gewaltanwendgung zwei Normensysteme aufeinander. Im Gegensatz zum tridentinitschen Priesterideal sah die Bevölkerung, wie Feldbauer klar darlegt, Gewalt als legitimes Mittel in der Auseinandersetzung an. Ein Priester, der seine Ehre notfalls nicht auch mit Gewalt verteidigte, verlor das dringend benötigte Ansehen in der Gemeinde.
Heinrich Richard Schmidt befasst sich mit der Selbstregulierung reformierter Gemeinden im Berner Raum. Im Mittelpunkt seines Aufsatzes steht Struktur und Wandel der Delinquenz von 1540 bis 1800. Während Ulrike Strasser in ihrem Aufsatz beschrieb, wie unverheiratete katholische Frauen von den Gerichten immer weniger unterstützt wurden, gelang es den verheirateten Frauen des Berner Raums, über die Chorgerichte ihre Ehemänner zu domestizieren. Dabei konnten die Frauen das Ideal des guten Hausvaters für sich instrumentalisieren. Auch Schmidt bezieht seine Untersuchung auf die ganze Frühe Neuzeit, wobei er für das 18. Jahrhundert einen Zusammenbruch der Kirchenzucht durch die Säkularisierung konstatiert. Heinrich Richard Schmidt ist einer der Protagonisten der Gruppe, die dem Konfessionalisierungskonzept seine etatistische Ausrichtung vorwirft. Daher leistet dieser Aufsatz neben dem reichhaltigen empirischen Material ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur theoretischen Debatte der Einführungsaufsätze. Insofern fragt sich die Leserin, ob dieser Aufsatz nicht sinnvoller im ersten theoretischen Teil als Gegenposition zu Helga Schnabel-Schüle anzusiedeln gewesen wäre.
Viele der Aufsätze zeigen die Fruchtbarkeit der kritischen Diskussion um die etatistische Ausrichtung des Konfessionalisierungskonzeptes der letzten Jahre an. Sie verbinden den Blick "von oben" und "von unten". Die Ergebnisse dieser sechs Aufsätze (Frieß, Hoffmann, Hoser, Burmeister, Strasser, Feldbauer) legen die Schlussfolgerung nahe, dass der Konfessionalisierungsprozess weder als rein obrigkeitliche Sozialdisziplinierung noch als reine Selbstregulierung der Bevölkerung zu begreifen ist. Vielmehr griff beides ineinander.
Auch Schnabel-Schüles Forderung, die Kategorie "Konfession" bis ins 18.Jahrhundert fortzuführen, bestätigte sich in den Aufsätzen von Petz und Schmidt. Etwas enttäuschend ist vielleicht, dass die Forderung Schnabel-Schüles nach einer stärkeren Berücksichtigung der katholischen Konfessionalisierung im Rahmen der oberschwäbischen Beispiele kaum aufgegriffen wurde. Einen gewissen Ausgleich dafür bieten die Aufsätze von Strasser und Feldbauer. Der Band beweist auf jeden Fall, dass das Konfessionalisierungskonzept mit gewissen Modifizierungen trotz aller Debatten ein sinnvolles heuristisches Instrument für die Erforschung der Frühen Neuzeit darstellt.
Empfohlene Zitierweise:
Antje Flüchter-Sheryari: Rezension von: Peer Frieß / Rolf Kießling (Hg.): Konfessionalisierung und Region, Konstanz: UVK 1999, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 2, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=105>
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