Ernst Hinrichs: Fürsten und Mächte. Zum Problem des europäischen Absolutismus, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000, 279 S., 15 Abb., ISBN 3-525-36245-5, DM 64,00
Rezensiert von:
Matthias Schnettger
Institut für Europäische Geschichte, Mainz
Da das Absolutismus-Paradigma schon seit einigen Jahren in eine Krise geraten, ja der Absolutismus vor einigen Jahren bereits zum Mythus erklärt worden ist [1], ist das Erscheinen eines Buches, das diesen zum "Problem" erklärt, für die Fachwelt zunächst nicht weiter überraschend. Ein weit größeres Gewicht erhält die neuerliche Infragestellung eines etablierten Begriffs durch die Tatsache, dass sie von einem ausgewiesenen Fachmann vorgetragen wird, der u. a. vor einigen Jahren unter dem nun in Zweifel gezogenen Etikett selbst einen Sammelband herausgegeben hat [2]. Man darf daher als Leser erwarten, dass die Einwände, die Ernst Hinrichs gegen das Paradigma erhebt, begründet, differenziert und mit großer Sachkenntnis vorgetragen werden - und sieht sich in dieser Erwartung nicht enttäuscht: Hinrichs entfaltet seine These mit der gebotenen Sorgfalt und Vorsicht. Nach einem einleitenden Kapitel über den Tod Ludwigs XIV. und den folgenden Ereignissen, die die Relativität des Absolutismus in seinem "Paradeland" belegen sollen, liefert er in einem ersten, kurzen Hauptteil, unter der Überschrift "Absolutismus - was ist das?" einen forschungsgeschichtlichen Abriss. Nach einigen Bemerkungen zur Begriffsgeschichte, in deren Kontext er u. a. feststellt, dass "Absolutismus ... kein quellennaher, in der behandelten Epoche selbst geprägter Begriff" sei (20), behandelt er den üblicherweise als Begründer der Idee des Absolutismus in Anspruch genommenen Bodin, den er jedoch mehr als Theoretiker der Souveränität charakterisiert (24). Die Erörterung der ständischen Argumentation - die Hinrichs ebenso wie Position Bodins in der Bewertung durch die Historiographie des 19. und 20. Jh. als einigermaßen verzeichnet betrachtet - leitet über zur Präsentation von den herkömmlichen Absolutismusbegriff ablehnenden oder zumindest relativierenden "Neuansätze[n] der Forschung" (28-35), die er als "ständischen", "regionalistischen", "finanzgeschichtlichen" und "Kontinuitätsansatz" charakterisiert.
An den letzten vorgestellten Ansatz schließt der zweite, größer dimensionierte Hauptteil ("Der frühneuzeitliche Fürstenstaat in seiner Epoche") an, der zunächst die Monarchien des 17. und 18. Jahrhunderts in eine Kontinuität der Entwicklung des frühmodernen Staates seit dem ausgehenden Mittelalter einordnet (37-56). Nach einem Blick auf die "Neubegründung der französischen Monarchie" seit den Religionskriegen im Sinne der "thèse royale" (57-65), zeigt Hinrichs in einem weiteren Schritt ("Anspruch und Wirklichkeit einer absoluten Monarchie: Frankreich von Heinrich IV. bis Ludwig XIV.", 66-75) die Grenzen des Absolutismus in dem Land auf, das traditionell als das Paradebeispiel eines absolutistischen Staates betrachtet wurde, um dann seinen Blick auf "'Absolute' Monarchien im übrigen Europa" zu richten (76-94). England widmet er ein eigenes Kapitel, an dessen Ende er zu dem für die traditionelle Sichtweise überraschenden Schluss kommt: "Wenn wir als Absolutismus im Sinne des in unserer Einleitung umrissenen weiteren Begriffs einen möglichst starken, von inneren Bindungen und Hemmnissen freien Staat mit viel Kraft zur außenpolitischen Entfaltung bezeichnen, dann entspricht dieses Bild im 18. Jahrhundert England mehr als Frankreich oder andere kontinentale Monarchien, vom kleinen Preußen vielleicht abgesehen" (104). Die Begrenzungen und Abhängigkeiten des frühneuzeitlichen Staates unterstreicht ein weiteres Kapitel ("Vom offenen zum strukturellen Widerstand: Opposition gegen die Staatsbildung", 105-122). Der Abschnitt schließt mit einigen Erwägungen zum Thema "Aufgeklärter Absolutismus oder Reformabsolutismus?" (123-145).
Der dritte Abschnitt zeigt in sechs Kapiteln "Strukturmerkmale des frühneuzeitlichen Fürstenstaats" auf: Legitimation (147-160), Verwaltung (161-176), den fürstlichen Hof (177-188), Wirtschaft und Finanzen (189-206), Militär (207-220) und Kirchen (221-231). Auch durch diese Analyse, die stärker als der vorangehende Abschnitt vergleichend angelegt ist, sieht Hinrichs seine These vom zweifelhaften Wert des Absolutismus-Paradigmas bestätigt. In einem abschließenden, kurzen Abschnitt ("Ein Begriff und seine historische Wirklichkeit", 233-250) fasst Hinrichs seine Beobachtungen zusammen: "Absolutismus [...] ist keinesfalls das überragende Kennzeichen der Epoche, sondern eine Tendenz unter vielen anderen" (241). Insbesondere lenkt er den Blick auf den "von Prestige und Ruhm (gloire) diktierten Primat der Außen- oder besser Machtpolitik", nach dem auch die inneren Verhältnisse ausgerichtet worden seien (239). Auf dieser Erkenntnis aufbauend, bietet er eine alternatives "Periodisierungsbild der fürstenstaatlichen Epoche der europäischen Geschichte" an (248), das für die traditionell als "Zeitalter des Absolutismus" bezeichnete Epoche (1650-1750) die folgende Charakterisierung vorschlägt: "Etablierung des Fürstenstaats als schwerfälliges, aber funktionsfähiges Gesamtsystem, mit dem selbstzweckhaften Ruhm als Zentrum", aber für die letzte Phase (1750-1800) nicht auf den Begriff "Aufgeklärter oder Reformabsolutismus" verzichten mag.
Hier wird deutlich, dass Hinrichs keinen vollständigen Abschied vom Absolutismusbegriff vollzieht. Vielmehr "kann kein Zweifel daran bestehen, dass es Absolutismus [...] gegeben hat" (234) - z.B. in Dänemark nach 1665. Es ist auffällig, dass man die Begriffe "Absolutismus", "absolut" und "absolutistisch" mit und ohne Anführungszeichen immer wieder im Text findet - auch auf Staatswesen bezogen, denen Hinrichs an anderer Stelle einen absolut(istisch)en Charakter abspricht. Es stellt sich die Frage, wie erforderlich und sinnvoll der postulierte weitgehende Verzicht auf den Absolutismusbegriff ist, wenn man, wie dies die internationale Forschung seit Jahren tut, die Grenzen des frühneuzeitlichen Staates im Auge behält. Angreifbarer als der Absolutismusbegriff als solcher erscheint in der Tat der Ausdruck "Zeitalter des Absolutismus". Allerdings ist kaum ein Epochenbegriff in der Lage, alle kennzeichnenden Elemente eines Zeitalters einzufangen.
Doch auch für Leser, die Hinrichs in seiner weitgehenden Absage an den Absolutismusbegriff nicht folgen wollen, sondern die Auffassung vertreten, dass die - zumindest intentionalen - Veränderungen in Richtung auf eine Zurückdrängung intermediärer Gewalten im frühneuzeitlichen Staat dessen Beibehaltung rechtfertigen, ist die Lektüre des Buches keinesfalls wertlos. Denn selbst wenn man nicht alle Schlussfolgerungen des Verfassers teilen kann und will, ist die geleistete Analyse des frühneuzeitlichen Staates ungemein anregend. Hervorzuheben ist insbesondere, dass Hinrichs auf weite Strecken tatsächlich, wie im Titel angekündigt, den "europäischen Absolutismus" in den Blick nimmt, wenngleich manche Regionen, wie etwa Südeuropa, insgesamt weniger intensiv behandelt werden. Ein wissenschaftlicher Apparat im strengen Sinne fehlt zwar, doch dieses Manko wird teilweise durch die Literaturhinweise am Ende der einzelnen Kapitel aufgefangen. Überhaupt ist das ausführliche, neben der deutschen auch die angelsächsische und die französische Forschung erfassende Literaturverzeichnis positiv hervorzuheben. Insgesamt ist der durch 15 Abbildungen illustrierte und durch ein Orts- sowie ein Personenregister erschlossene Band sorgfältig lektoriert, wenn auch einige Fehler ("Könige von Brandenburg", 222; "Konrad Repken", 268) in einer etwaigen zweiten Auflage beseitigt werden sollten.
Anmerkung:
[1] Nicholas Henshall: The Myth of Absolutism. Change and Continuity in Early Modern European Monarchy, London u.a. 1992.
[2] Ernst Hinrichs (Hg.): Absolutismus, Frankfurt a. M. 1986.
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Schnettger: Rezension von: Ernst Hinrichs: Fürsten und Mächte. Zum Problem des europäischen Absolutismus, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 3, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=123>
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