Lenelotte Möller: Höhere Mädchenschulen in der Kurpfalz und im fränkischen Raum im 18. Jahrhundert (= Mainzer Studien zur Neueren Geschichte; 5), Frankfurt a.M. / Berlin / Bern: Peter Lang 2001, 400 S., ISBN 3-631-36889-5, DM 98,00
Rezensiert von:
Andreas Rutz
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München
Fünf Bildungseinrichtungen für Mädchen stehen im Mittelpunkt dieser bei Peter Claus Hartmann in Mainz entstandenen und im Wintersemester 1999/2000 fertiggestellten Dissertation: Die Schulen der Augustiner-Chorfrauen der Congrégation de Notre-Dame in Heidelberg (1700-1802) und Mannheim (1720-1805), die der Ursulinen in Würzburg (seit 1712) und der Englischen Fräulein in Bamberg (seit 1717) sowie das Philanthropin in Frankenthal (1780-1799). Die von Möller behandelten Schulen der weiblichen Lehrorden entstanden zu Beginn des 18. Jahrhunderts und lassen sich eingliedern in eine bis in das frühe 17. Jahrhundert reichende Geschichte dieser Orden im Reich. Das Frankenthaler Philanthropin war dagegen eine Schöpfung des späten 18. Jahrhunderts und wurzelte in der sehr viel jüngeren Tradition der Aufklärung.
Ziel der Arbeit ist es, die gewählten Beispiele "unter möglichst allen Aspekten des schulischen Lebens" (16) vergleichend zu untersuchen und auf diese Weise neben einer Einordnung der Schulen in die allgemeine Schul- und Bildungsgeschichte, Aufschlüsse über die Bedeutung der Schulen für die Bevölkerung der jeweiligen Städte und ihres Umlandes sowie über Wirkungsmöglichkeiten und Handlungsspielräume der geistlichen und weltlichen Erzieherinnen zu erhalten. In sieben umfangreichen Kapiteln breitet Möller zu diesem Zweck das von ihr zusammengetragene Material aus und beschäftigt sich mit den Voraussetzungen und Anfängen der Bildungsinstitute (34-80), der äußeren und inneren Organisation (81-111), dem Personal und den Schülerinnen (112-156), Erziehung und Bildung (157-214), den finanziellen Verhältnissen (215-254), den Wirkungen und Außenbeziehungen (255-274) sowie der weiteren Entwicklung der Einrichtungen bis ins frühe 19. Jahrhundert (275-301). Im Anhang (307-370) finden sich Listen des Personals und der Schülerinnen sowie eine Übersicht über die Bestände der Frankenthaler Schulbibliothek.
Die Entscheidung der Verfasserin, im Falle der Schulen in klösterlicher Trägerschaft neben der eigentlichen Schulgeschichte auch die Geschichte der jeweiligen Klöster zu behandeln, ist sinnvoll, da Schulen und Klöster der weiblichen Lehrorden einander bedingten und die finanzielle Situation der Schulen oder ihre Beziehungen zu Stadt und Landesherr ohne die Heranziehung der Klosterakten kaum zu verstehen sind. Auch die Einbeziehung der kostenlosen Elementarschulen, die die Lehrorden neben den Pensionaten betrieben, erscheint unerlässlich, da sie zum einen für das Selbstverständnis der Schwestern von außerordentlicher Bedeutung waren, zum anderen aber die Außenwahrnehmung der Klöster maßgeblich bestimmten. Immerhin bot sich hier erstmals breiteren Bevölkerungskreisen die Möglichkeit, ihren Töchtern eine elementare Bildung zukommen zu lassen. Zugleich stellte der kostenlose Elementarunterricht eine gewisse Konkurrenz für ortsansässige private Schulmeister dar. Der auf die höheren Mädchenschulen zugespitzte Titel der Arbeit ist aufgrund dieser Ausweitung des Untersuchungsgegenstandes freilich eher irreführend.
Als vermeidbares Defizit erweist sich das Fehlen eines kritischen Literaturberichts. Zwar erläutert die Verfasserin die Forschungslage zu den einzelnen von ihr behandelten Schulen. Die darüber hinausgehende Literatur zur (Mädchen)Schul- und Bildungsgeschichte im Reich und zur Geschichte der weiblichen Lehrorden wird jedoch nicht eigens diskutiert. Dementsprechend fehlt auch eine methodische und inhaltliche Positionierung der Arbeit innerhalb der aktuellen bildungs- und frauen- bzw. geschlechtergeschichtlichen Diskussion, die dem Leser Aufschlüsse darüber geben könnte, welche Forschungslücke Möller eigentlich schließen will und inwieweit sich ihre Arbeit von anderen Arbeiten zur frühneuzeitlichen Mädchenbildung unterscheidet. Der diesbezügliche Hinweis auf die noch nicht vollständig erfolgte Auswertung des Quellenmaterials und das Fehlen wissenschaftlicher Untersuchungen zu den ausgewählten Schulen genügt allenfalls einem positivistischen Forschungsanspruch.
Die Diskussion der neueren Literatur und damit auch der mit der Mädchenbildung in der Frühen Neuzeit verbundenen Problematik von Anspruch und Wirklichkeit, von pädagogischem Diskurs und Schulalltag vor Ort, würde zudem die angestrebte Einordnung des Befundes in die allgemeine Schul- und Bildungsgeschichte wesentlich erleichtern. Möller liefert immerhin in Kapitel II knappe Informationen zur lokalen und regionalen Bildungs- und Schulgeschichte. Auch die Gründungsgeschichten der einzelnen weiblichen Lehrorden werden hier kurz umrissen. Genaueres über deren Erziehungsgrundsätze und den in Frankenthal gepflegten Philanthropismus erfährt man allerdings erst relativ spät in Kapitel V. Die überregionalen Zusammenhänge, in die die behandelten kurpfälzischen und fränkischen Mädchenschulen einzuordnen sind, bleiben dennoch undeutlich: So versäumt die Verfasserin beispielsweise, die Geschichte der weiblichen Lehrorden auf das ordensgeschichtliche Novum der Societas Jesu und die innerkatholischen Auseinandersetzungen des 16. und frühen 17. Jahrhunderts um ein weibliches Apostolat rückzubeziehen. Ebenso unerwähnt bleibt der Zusammenhang zwischen den von der Verfasserin erörterten Schulreformen in Würzburg und Bamberg in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und der allgemeinen Aufmerksamkeit, die unter dem Eindruck der pädagogischen Diskussionen der Aufklärung dem Bildungswesen in dieser Zeit staatlicherseits entgegengebracht wurde.
In den einzelnen Kapiteln ihrer Arbeit liefert Möller eine Fülle von Details zu den wesentlichen schulgeschichtlichen Aspekten der untersuchten Einrichtungen, die unsere Kenntnisse über die konkrete Mädchenschulpraxis 'vor Ort' um viele wichtige Informationen bereichern. Die oben erläuterte sachbezogene Gliederung der Arbeit wird von Möller allerdings nicht als Ausgangspunkt einer ausführlicheren vergleichenden Analyse genutzt. Vielmehr behandelt die Verfasserin die jeweiligen Themen separat für jede einzelne Schule und geht lediglich in den zum Abschluss eines jeden Kapitels eingeschobenen Zusammenfassungen kurz auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen Einrichtungen ein. Letztlich münden diese Überlegungen aber nicht in den Versuch, die jeweiligen Beobachtungen für weiterführende Fragestellungen fruchtbar zu machen: So konstatiert Möller zum Beispiel eine sich im Laufe des 18. Jahrhunderts wandelnde Haltung der Landesherrn gegenüber den weiblichen Lehrorden, die sich vor allem in großzügigeren finanziellen Unterstützungen ausdrückte. Gleichzeitig weist sie auf die sehr viel höheren staatlichen Zuwendungen für die Jesuiten und ihre Schulen hin. Die Gründe hierfür, die wahrscheinlich in einer sich verändernden, zunehmend 'aufgeklärten' landesherrlichen Schulpolitik und in der komplexen gender-Frage zu suchen sind, werden jedoch nicht genauer untersucht. Vielmehr erklärt Möller ihre eigentlich spannende Beobachtung lapidar mit dem "allgemeinen Nutzen, den besonders die Elementarschulen [der weiblichen Lehrorden] den einzelnen Städten brachten" (253) und warnt vor einer Überbewertung der landesherrlichen Unterstützungen in Anbetracht der weitaus höheren Zahlungen an die Jesuiten. Diese offensichtliche Zurückhaltung bei der Interpretation ihres Befundes, die sich auch an vielen anderen Stellen der Arbeit zeigt, ist um so mehr zu bedauern, als das von Möller zusammengetragene Material eine breite Grundlage für weitreichendere Deutungen bieten würde.
In diesem Zusammenhang ist schließlich auch die Auswahl der untersuchten Bildungseinrichtungen zu hinterfragen: Drei der von Möller untersuchten Institute lagen in einem weltlichen (Kurpfalz), die zwei übrigen in geistlichen Territorien (Bamberg, Würzburg). Da die Verfasserin auf die mögliche Bedeutung dieser strukturellen Unterschiede für die jeweiligen Mädchenschulen nicht näher eingeht, bleibt unklar, welche Kriterien die Auswahl bestimmten. Darüber hinaus liegt der Schwerpunkt der Untersuchung eindeutig auf den Schulen der katholischen Lehrorden. Die Angaben zum evangelisch initiierten, aufklärerisch geprägten Frankenthaler Philanthropin nehmen sich dagegen schon allein vom Seitenumfang her eher marginal aus und werden nur gelegentlich als Korrektiv genutzt. Die Frage stellt sich, ob eine Beschränkung auf die katholischen Mädchenschulen nicht methodisch sinnvoller gewesen wäre, zumal die Autorin ohnehin darauf verzichtet, die beiden großen, die Mädchenbildung des 18. Jahrhunderts maßgeblich prägenden pädagogischen Strömungen - die katholische Pädagogik der Lehrorden und die der Aufklärung - einander vergleichend gegenüberzustellen.
Hingewiesen sei abschließend auf die verwirrende Verwendung der Kurztitel in den Fußnoten, deren Entsprechungen nicht immer mühelos im Quellen- und Literaturverzeichnis wiederzufinden sind: So verweist zum Beispiel der Kurztitel '250 Jahre' auf ein Buch, das im Literaturverzeichnis unter 'Brod, M. Michaela' begegnet. Noch schwieriger erweist sich die Suche nach den ungedruckten Arbeiten von M. Benedikta Arnold, Johannes Dechant, M. Beate Neuberth und M. Veronika Kemeth, die nicht im Literaturverzeichnis, sondern unter den Akten des Archivs des Instituts Beatae Mariae Virginis Bamberg aufgeführt werden, wo sie offensichtlich eingesehen wurden.
Im Literaturverzeichnis begegnen verschiedene allgemeine Arbeitsmittel, deren Gebrauch nicht zu kritisieren ist, auf die zu verweisen sich aber erübrigt. Dazu zählen u.a. Meyers Farbiges Großes Volkslexikon, Dierkes Weltatlas, Langenscheidts Großes Wörterbuch Französisch, Mairs Generalkarte und der Pschyrembel. Auch die unkommentierte Verwendung eines Artikels aus der von der NSDAP herausgegebenen 'Nationalsozialistischen Zeitung Rheinfront' gehört zu den bibliographischen Kuriositäten dieses Buches.
Lenelotte Möller hat mit ihrer Dissertation zweierlei deutlich gemacht: Unsere Kenntnisse über die frühneuzeitlichen Bildungsmöglichkeiten von Mädchen lassen sich auf der Basis von Lokal- und Regionalstudien durch intensive Archivrecherchen um viele wertvolle Informationen zum Unterrichtsalltag und zur Einbindung der Schulen in die jeweiligen städtischen und territorialen Verhältnisse erweitern. Die gegenwärtige Mädchenbildungsforschung sollte jedoch versuchen, über eine bloße Institutionengeschichte hinauszugehen und auf der Grundlage der lokalen Befunde nicht nur nach den je spezifischen Motivationen, sondern auch nach den dahinter stehenden Mentalitäten fragen, die die Gründung und das erfolgreiche Arbeiten von Mädchenschulen in der Frühen Neuzeit ermöglichten oder behinderten.
Redaktionelle Betreuung: Gudrun Gersmann
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Rutz: Rezension von: Lenelotte Möller: Höhere Mädchenschulen in der Kurpfalz und im fränkischen Raum im 18. Jahrhundert, Frankfurt a.M. / Berlin / Bern: Peter Lang 2001, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 3, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=126>
Bitte setzen Sie beim Zitieren dieser Rezension hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse ein.