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Christina Lutter: Politische Kommunikation an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Die Beziehungen zwischen der Republik Venedig und Maximilian I. (1495-1508) (= Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 34), München: Oldenbourg 1998, 262 S., ISBN 3-486-64836-5, DM 79,00

Rezensiert von:
Heinrich Lang
Bamberg

Christina Lutter beschreibt die Phase des Verhältnisses zwischenVenedig und Maximilian I. seit Abschluss der Heiligen Liga gegen Karl VIII. von Frankreich (1495) bis zur Liga von Cambrai gegen Venedig (1508) aus der Perspektive politischer Kommunikation. Indem sie die diplomatischen Beziehungen nicht "als eine lineare Abfolge zielgerichteter Begebenheiten" (S. 12) begreift, verlässt sie das vor allem auf Figur und Wirken des Gesandten sowie politische Entwicklungen konzentrierte Anliegen der diplomatiegeschichtlichen Klassiker und ihrer modernen (gerade in der italienischen Historiographie stark vertretenen) prominenten Fortsetzer. Die Rekonstruktion der politisch-diplomatischen Ereignisperiode, in der Venedig und der Römische König zunächst kooperieren und koordinieren, dann bei zunehmenden Spannungen endlich einen Abbruch der Beziehungen vollführen, liefert die Phänomenologie für die Untersuchung "diplomatischer Kommunikation nicht nur als ein Ensemble verschiedener Praktiken und Techniken von Informationsvermittlung [...], sondern als vielfältige Prozesse des politischen Austausches durch Zeichen" (S. 12). So ist Christina Lutter methodisch im Bereich der jüngeren historischen Kommunikationsforschung anzusiedeln und fügt mit ihrem aufschlussreichen und methodisch anregenden Werk den neueren kulturhistorischen sowie rechtshistorischen Tendenzen der Diplomatiegeschichte eine unverzichtbare Komponente bereichernd hinzu.

Als wesentliche Textquellen dienen Christina Lutter umfangreiche Bestände des Archivio di Stato di Venezia (ASV Deliberazioni, Senato, Secreta; Consiglio dei Dieci) - Beratungsprotokolle und Instruktionen des Senats und des Consiglio dei Dieci, ferner Abrechnungen - und die Depeschen (dispacci) sowie die relazioni (teilweise ediert) der Gesandten in der Biblioteca Marciana di Venezia. Aufgrund ihrer Informationsfülle kommen die für die Geschichte Venedigs von 1496 bis 1533 reichenden Diarii des Marino Sanudo ausführlich zur Geltung, ergänzend werden etwa die Diarii des Girolamo Priuli herangezogen. Diese durch den Mangel entsprechenden Quellenmaterials maximilianischer Provenienz bedingte "venezianische" Sicht dokumentiert die diplomatische Kommunikation an Maximilians Hof als kommunikatives wie informatives Zentrum des Königtums durch die vom machtpolitischen Erkenntnisinteresse geleiteten dispacci (863 insgesamt) und relazioni der venezianischen Gesandten bzw. das Geschehen in Venedig durch venezianischen Archivbestand und historiographische Beschreibungen dennoch genügend extensiv und erweist sich keineswegs als Nachteil.

Christina Lutter eröffnet ihre Untersuchung mit einer chronologischen Darstellung des Gesandtenaustauches: Venedig entsendet von anlassbezogenen Sondergesandtschaften abgesehen oratores residentes, die in Maximilians Umgebung im Schnitt zehn Monate verweilen und deren wichtigste Aufgabe in der gezielten Einflussnahme auf die Entscheidungen des Königs über dessen engen Kreis an ihrerseits oft als Gesandte nach Venedig aufgebotenen Ratgebern besteht. Dabei suchen sie Wege in jenen kleinen Zirkel, um die Spielregeln des Gebens und Nehmens der auf feudalen und personalen Bindungen beruhenden Herrschaftsstruktur des Hofes durch reiche Geschenke im Interesse ihrer Heimatstadt zu instrumentalisieren. Übersichtlich listet ein nützlicher Anhang das Personal der Gesandtschaften auf: 16 verschiedene Personen aus insgesamt 11 Gesandtschaften von Seiten Venedigs, 39 vor allem Sammelgesandtschaften mehrerer Personen (insgesamt 65 diplomatische Vertreter, die nur kurzfristig am Rialto Station machen) von Maximilians Seite.

An diesen faktischen Rahmen schließt (ältere Forschungsergebnisse mitunter erhärtend) Christina Lutter eine quantitative Analyse der Kommunikationsbedingungen an: Venedig weist im Vergleich zu anderen europäischen Mächten jener Zeit einen hohen Grad an bürokratischer Organisation auf, der eine erhebliche Kommunikationsdichte des diplomatischen Verkehrs zu generieren in der Lage ist. Dabei erreicht der diplomatische Schriftwechsel während der Waffenstillstandsverhandlungen 1508 seine höchste Frequenz. Die Kommunikationsformen beider hier verglichenen Akteure sind weitgehend deckungsgleich, der substantielle Unterschied liegt in der deutlich höheren zahlenmäßigen wie informativen Quantität der venezianischen gegenüber der zeitgenössischen maximilianischen Korrespondenz.

Eingehend beleuchtet Christina Lutter die Formen und Spielregeln diplomatischer Begegnung: die kommunikativen "Basis-Akte" (z.B. Empfangs- und Abschiedszeremoniell) bringen das Funktionieren wechselseitiger Beziehungen zum Ausdruck und sind Grundelemente formalisierter Begegnungen mit dem Zweck, als Regulativ eine verlässliche Ordnung darzustellen und in kommunikativer Funktion ein komplexes Zeichensystem zu präsentieren. Die Republik Venedig formuliert die Stabilität ihrer Institutionen durch ein stark reglementiertes diplomatisches Zeremoniell. Nach dem Leitbild des päpstlichen Zeremoniells werden die durch verschiedene Kriterien qualifizierten Gesandten gemäß dem Rang ihrer Auftraggeber in repräsentativer Ordnung in die Zeremonien eingefügt. Der hohe symbolische Gehalt dieser zur sinnlichen Erfahrbarkeit gebrachten Ordnung manifestiert sich in der entsprechend orientierten ausführlichen Berichterstattung von Augenzeugen oder in Anforderungen, die die zeitgenössischen diplomatiewissenschaftlichen Abhandlungen stellen.

Verbale Akte stark reglementierter Interaktion bilden den bedeutsamsten Bestandteil diplomatischer Kontakte: Funktion und Art der sprachlichen Formalisierung wird durch die Senatsprotokolle bezeugt, wenn es etwa um die Vorbereitung von diplomatischen Aktionen oder den Entwurf von Argumenten für eine Instruktion an einen Gesandten geht. Traditionelle Argumentationsschemata sind keineswegs vordergründig, sondern bezwecken die Affirmation und Wirksamkeit einer ins Wanken geratenen Ordnung. Die Verwendung von Stereotypen (insbesondere bei der Kompensation mangelnder Informationen) in der venezianischen Berichterstattung zeigt die Aufgabe sprachlicher Formalisierung: stereotype Erklärungsmuster, die sich zum Teil aus althergebrachten, antik-literarischen "Vorurteilen" gegenüber den Deutschen (Tacitus' Germania und ihre humanistische Rezeption) speisen, dienen zur Konstruktion und Bestätigung von Identitäten.

Christina Lutter beschließt ihre Untersuchungen mit der Skizzierung des sozialen Typus des Gesandten und Karrieremustern: die politisch handelnden Personen als Träger der Kommunikation werden als soziale Gruppe, deren für die Teilhabe an diplomatischen Kontakten erforderlichen Kriterien durch die kommunikative Realität vorgegeben sind, sichtbar.

Detailreich und erfreulich anschaulich beschreibt Christina Lutter die diplomatische Praxis: Verlauf des Empfangs- und Abschiedszeremoniells, Nachrichtenübermittlung und Begegnungssituationen. Dabei katalogisiert und paraphrasiert sie die Quellen nicht bloß (oder schmückt sich nicht gar einfach mit den Pointen der dispacci und relazioni), vielmehr versteht sie es, präzise und illustrierende Ausführungen über den "Alltag" der Gesandten in den Verlauf ihrer Untersuchung gewinnbringend einzupassen.

Wenn man an diesem sprachlich ansprechenden und gehaltvollen Buch Versäumnisse zu kritisieren sich anschickt, dann sei eher von künftigen Aufgaben gesprochen: zur Beschreibung des kommunikativen Rahmens und der Repräsentation von Ordnungsvorstellungen müsste die Auswertung der Textquellen durch einer Analyse der bildenden Kunstdarstellungen konfrontiert und ergänzt werden; dem Hinweis auf die Boten- und Nachrichtenübermittlungssysteme zum Trotz wäre technologisch begonnen nach dem Verhältnis von Boten- und Gesandtschaftswesen zu fragen; ein Vergleich verschiedener ritueller Systeme und ihres Wandels wäre aufschlussreich (etwa im Rückgriff auf die dazu umfängliche Literatur über das Florenz der Renaissance); vom vorliegenden prosopographischen Datenmaterial ausgehend wären die jeweiligen Verflechtungssysteme innerhalb und zwischen den verschiedenen Staaten in ihrer determinatorischen Wirkung für die außenpolitischen Verhältnisse offenzulegen.

Kurzum: ein Buch, das die Diplomatiegeschichte weitergebracht hat und ein gutes Stück historischer Kommunikationsforschung in der Frühneuzeitforschung unter Zuhilfenahme eines dankbaren Quellenbestandes glänzend realisiert hat.

Empfohlene Zitierweise:

Heinrich Lang: Rezension von: Christina Lutter: Politische Kommunikation an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Die Beziehungen zwischen der Republik Venedig und Maximilian I. (1495-1508), München: Oldenbourg 1998, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 1, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=13>

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