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Ernst Schulin: Kaiser Karl V. Geschichte eines übergroßen Wirkungsbereiches, Stuttgart / Berlin / Köln: Kohlhammer 1999, 202 S., 19 Abb., ISBN 3-17-015695-0, DM 35,00

Rezensiert von:
Gabriele Haug-Moritz
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Ernst Schulin, emeritierter Professor für Neuere Geschichte in Freiburg, nahm den 500. Geburtstag Kaiser Karls V. zum Anlass, seine an der Universität Freiburg gehaltenen Vorlesungen zur Geschichte Europas in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in vorliegendem Band einem größeren Publikum zu unterbreiten. Das Buch wendet sich als "einführende Orientierung" (Vorwort) vorrangig an den historisch interessierten Laien. Die im Vorwort artikulierte Absicht, "nur informieren und zusammenfassend gestalten" zu wollen, mutet als historiographischer Standpunkt merkwürdig an. Um so merkwürdiger, als Schulin in seinem Forschungsabriß (11-22) selbst die vielfältigen Brechungen schildert, in denen uns Karl V. heute entgegentritt. Die bewusste Reflexion der historiographischen Traditionen um Karl V., wie sie etwa in den ebenfalls anlässlich des Jubiläums publizierten biographischen Annäherungen Alfred Kohlers oder Luise Schorn-Schüttes entgegentreten, wird man denn auch als eine der wichtigeren Erträge des vergangenen Jubiläumsjahres bezeichnen dürfen.

Der von Schulin gewählte methodische Zugriff, die Lebens- und Regierungszeit Karls zu erzählen, ist originell (geb. 1500, 1515 Regierungsantritt in Burgund, 1516 Nachfolger seines Großvaters mütterlicherseits in Spanien, 1519 Nachfolger seines Großvaters väterlicherseits, Kaiser Maximilians I., im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, 1555/56 Abdankung und 1558 Tod). Die Aufbereitung seines Stoffes nimmt er nicht entlang wichtiger biographischer Wendepunkte in Karls Leben vor, sondern, indem er Karls Wirkungsbereich untersucht. Wirkungsbereich als heuristische Kategorie soll dabei zweierlei leisten: einerseits das Spannungsverhältnis zwischen den Karl formell aufgrund Erbschaft oder Wahl zustehenden Herrschaftsrechten und seinem faktischen Wirkungsbereich ausleuchten, andererseits es ermöglichen, Karls politisches Wirken in seiner "Gesamtverflechtung" (10), das heißt auch in seiner nicht den eigenen Herrschaftsbereich umfassenden europäischen Dimension, darzustellen. Dahingestellt sei, ob mit diesem Verständnis von "Wirkungsbereich" tatsächlich, wie Schulin postuliert, eine Kategorie gefunden ist, die über die des "politischen Systems" hinausreicht. Der in der verfassungsgeschichtlichen Forschung und für die Zeit Karls V. insbesondere von Heinrich Lutz breit eingeführte und äußerst ergiebige Begriff des "politischen Systems" leistet, indem er das Augenmerk auf die Wechselbeziehungen zwischen dem kaiserlichen Herrschaftssystem und seiner "Umwelt" lenkt, eben dasselbe. Aufgegriffen wurden die den Betrachtungskategorien politisches System/Wirkungsbereich immanenten Möglichkeiten jedoch erstmals von Schulin.

Schulin gliedert sein Thema in drei, nahezu gleichgewichtig behandelte Teile - die ersten beiden, unter die Überschriften "Burgund und Spanien" (23-78) bzw. "Das Reich und die Reformation" (79-135) gestellten, stellen in chronologischen Längsschnitten den Herrschaftsbereich des Kaisers vor, der dritte ist um die Schilderung der Konflikte Karls mit den Valois in Frankreich und den Osmanen zentriert (136-177). In den ersten Teil sind zwei struktureller angelegte Kapitel integriert, die sich mit der spanischen Behördenorganisation und der spanischen Ökonomie befassen und in diesen Kontext auch den überseeischen Herrschaftsbereich des Kaisers in den Blick nehmen. Der zweite und dritte Teil ist chronologisch-narrativ, an der politischen Ereignisgeschichte orientiert, aufgebaut. Die dabei gegebenen Bewertungen sind mitunter problematisch. So würde, um nur zwei Beispiele anzuführen, kein jüngerer Historiker Günter Franz anführen (103), wenn es darum geht, die Folgen des Bauernkrieges zu verdeutlichen oder mit Walter Peter Fuchs im Jahr 1529 von einer "klaren Trennung der konfessionellen Gruppen" (105) sprechen. Beide Deutungen können als von der jüngeren sozial- wie kirchengeschichtlichen Forschung (die man sich auch im Literaturverzeichnis breiter vertreten wünschte) schlicht als falsifiziert gelten. Nur unzulänglich lässt sich durch eine solche Stoffpräsentation auch das der Kategorie "Wirkungsbereich" immanente heuristische Potential ausschöpfen. Wiederum nur ein Beispiel: Um die Diskrepanz zwischen Herrschafts- und Wirkungsbereich zu erläutern, wäre es unabdingbar gewesen, das Karlsche Imperium als habsburgisches, von ihm und seinen Familienmitgliedern regiertes Herrschaftskonglomerat systematisch zu erörtern. Die jüngere Forschung hat gerade zu diesem Aspekt etliche weiterführende Ergebnisse bereitgestellt (z.B. in dem von Horst Rabe 1996 publizierten Sammelband, der auch im Literaturverzeichnis erscheint).

Wenn Schulin im Vorwort zu erkennen gibt, dass er "als Historiker keine spezielle Richtung [gemeint ist wohl in der gegenwärtigen Methodendiskussion] forcieren will", so reiht er sich doch mit der Art seiner Darstellung ganz eindeutig in die Tradition der deutschsprachigen Historiographie Rankescher Prägung ein, entgeht allerdings der nationalgeschichtlichen Verengung, wie sie dieser Tradition seit den Zeiten des Kaiserreiches und noch bis weit in die 1960er Jahre eignete. Keinen Zweifel kann es meines Erachtens geben, dass eine solche historiographische Position in Anbetracht der Methoden- und Theoriediskussionen in der Geschichtswissenschaft seit den 1960er Jahren (zum Mindesten gesagt) problematisch ist. Dies gilt auch und gerade dann, wenn es darum gehen soll, ein breiteres Publikum zu erreichen. So liest sich zwar die Geschichte von Karls übergroßem Wirkungsbereich durchaus eingängig, wozu nicht zuletzt die gelungene Illustration beiträgt, anderen Darstellungen anläßlich des Jubiläums ist es jedoch zudem gelungen, auch dem interessierten Laien erste Einblicke in das aktuelle, große und spannende Forschungsfeld zu geben, das erst zu einem vertieften Verständnis der geschilderten Haupt- und Staatsaktionen verhilft - das der politischen Kultur der Reformationszeit.

Redaktionelle Betreuung: Matthias Schnettger

Empfohlene Zitierweise:

Gabriele Haug-Moritz: Rezension von: Ernst Schulin: Kaiser Karl V. Geschichte eines übergroßen Wirkungsbereiches, Stuttgart / Berlin / Köln: Kohlhammer 1999, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 3, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=131>

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