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Jörg Wettlaufer: Das Herrenrecht der ersten Nacht. Hochzeit, Herrschaft und Heiratszins im Mittelalter und in der frühen Neuzeit (= Historische Studien; Bd. 27), Frankfurt/M.: Campus 1999, 430 S., ISBN 3-593-36308-9, DM 98,00

Rezensiert von:
Maren Lorenz
Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur

Auch Forschungsinteressen folgen bestimmten Trends. Waren es Anfang des 19. Jahrhunderts klare politische, die mit dem Feudalsystem abzurechnen trachteten, Ende des 19. Jahrhunderts dann agrar- und rechtshistorische Fragen, die hitzige Debatten über ein eher randständiges Phänomen lostraten, so scheinen es heute kulturhistorische, besonders sexualitätsgeschichtliche Bedürfnisse zu sein, die einen wissenschaftlichen Markt für die Frage nach dem rätselhaften Vergewaltigungsprivileg des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Adels eröffnen. Innerhalb weniger Jahre erschienen drei Monographien die sich mit dem jus primae noctis beschäftigten. Keine der Arbeiten diente jedoch der Erhellung der historischen Vorgänge. Die eine (Wilhelm Schmidt-Bleibtreu, 1988) blieb klassisch rechtshistorisch, die andere (Alain Boureau, 1995) gab sich modern diskursanalytisch; und nur eine der Arbeiten (Marie-Victoire Louis, 1994) beschäftigte sich überhaupt mit Legitimationstechniken sexueller Gewaltverhältnisse und deren gesellschaftlichen Konsequenzen. Die Praxis des auch als 'droit de cuissage' oder 'droit du seigneur' bekannten Privilegs eines Grundherrn, das Vorrecht auf den ersten Beischlaf mit der Braut eines Untertanen in der Hochzeitsnacht, blieb weiter unklar.

Auch Jörg Wettlaufer fragt nicht nach der tatsächlichen Ausübung, sondern ausschliesslich nach Ursprung und Funktion der Überlieferung des strittigen Privilegs und nach dem Stellenwert des Rechtstitels in der spätmittelalterlichen Gesellschaft. Dies ist allerdings eher der Dürftigkeit der Quellen zuzuschreiben als mangelndem Interesse des Autors und stellt per se kein Manko dar. Anders als Alain Boureau geht es Wettlaufer nicht um die einfache Dekonstruktion eines propagandistisch genutzten Mythos, sondern um die Freilegung seines historischen Kerns. Der Untertitel gibt das Forschungsziel nur teilweise an. Es geht um das Verhältnis zwischen Grundherren und Bauern, um Macht und immer wieder um Geld. Der Autor betont einleitend, dass es ausschliesslich um einen Diskurs von Männern für Männer gehe, in dem Frauen nicht zu Wort kämen, weshalb es seiner Ansicht nach auch keiner ""weiblichen Perspektive"" (9) bedürfe. ""Im Kern der Legende"" handele es sich eben gerade nicht um einen Willkürakt der Vergewaltigung. Damit denunziert Wettlaufer leider die geschlechterhistorische Perspektive als eine Suche nach kasuistischer Einzelerfahrung sexueller Gewalt und verschenkt so vorab eine tiefer gehende gesellschaftspolitische Erweiterung seines rechtshistorischen Ansatzes. Stattdessen will er die "'anthropologischen Dimensionen'" des Rechts der ersten Nacht als "'interkulturell verständliches Prinzip'" (53f.) beleuchten und auf der "'Suche nach der conditio humana des Menschen als Gattungswesen im Sinne Arnold Gehlens'" (56) ergänzend Erkenntnisse der Verhaltensforschung und Evolutionsbiologie zuziehen. Von der "historischen Anthropologie" im kulturhistorischen Sinne distanziert sich Jörg Wettlaufer in einer Fussnote, ohne Begründung.

Im ersten Kapitel skizziert der Verfasser zunächst den von Boureau ausführlich analysierten Propagandakrieg der französischen Liberalen und stellt den Wertestreit des Deutschen Historismus und damit die beiden umfangreichsten Forschungstraditionen zum Herrenrecht vor. Ein letzter "peak" der volkskundlichen Forschung zeichnete sich um die Wende zum 20. Jahrhundert ab. Im Zentrum stand immer die Frage nach Sage oder historischer Realität. Das durch die damalige Forschung zutage geförderte Quellencorpus liegt auch Wettlaufers Arbeit zugrunde. Eine systematische Suche nach weiteren Texten wäre tatsächlich der nach der Nadel im Heuhaufen gleich gekommen. Es handelt sich um verschiedene Textgruppen: um antike Mythologien, verschiedene mündliche Traditionen der europäischen Folklore, Berichte europäischer Reisender und in der Hauptsache um ländliche Rechtsquellen des kontinentalen Spätmittelalters und der Renaissance. Die ersten beiden Quellengruppen werden im zweiten Kapitel länger vorgestellt, die dritte wird im letzten Kapitel nur kurz angerissen. Im dritten und vierten Kapitel werden ausführlich mittelalterliche und frühneuzeitliche Rechtsverhältnisse im Feld von Herrschaft, Unfreiheit und Leibeigenschaft erörtert und in Zusammenhang mit fiskalischen Abgaben anlässlich der Heirat beleuchtet. Die geringe Zahl an Quellen einerseits sowie die Diversität ihrer Begrifflichkeiten stellte den Autor ständig vor das Problem der Definition seines Untersuchungsgegenstandes, gegen das er hartnäckig und bewundernswert differenziert und detailliert ankämpft, um letztlich doch zu scheitern. Wettlaufer erweitert die Definition, des "'Recht(es) der mittelalterlichen Feudalherren auf den Beischlaf mit den Bräuten ihrer abhängigen Bauern in der Hochzeitsnacht'" auf "'das Vorrecht eines Mannes mit einer Frau vor dem eigentlichen Ehemann den ersten Geschlechtsverkehr zu vollziehen'" (11f.).

Im Verlauf der Arbeit werden dann unterschiedliche Phänomene unter dem Topos des Herrenrechtes subsumiert: Der Tyrann, der sich die Braut einfach mit Gewalt nimmt, der Tyrann, der nur damit droht, um sich für den Verzicht bezahlen zu lassen, der Besatzungsoffizier oder Eroberer, der durch Vergewaltigung die unterlegene Bevölkerung einzuschüchtern und zu erniedrigen versucht, aber auch der Nationalheld, dem die männliche Bevölkerung ihre Töchter, Schwestern etc. als Ehrenbeweis bzw. Belohnung freiwillig zur Verfügung stellt, die sakrale Handlung (Gottkönig und göttlich schöne Frau) als heilige Vermählung zweier Götter. Interessanterweise fehlt in diesem Reigen die in vielen asiatischen, afrikanischen und mediterranen religiösen Mythen erwähnte rituelle Defloration durch Instrumente. Sofern Männer involviert sind, wurde sie in der Ethnologie lange auch als rituelle Prostitution bezeichnet, als Huldigungsakt für ausgerechnet meistens Fruchtbarkeitsgöttinnen. Die rituelle Entjungferung erwähnt Wettlaufer nur am Rande im Zusammenhang von Heirat mit männlichen Ängsten vor Deflorationsblut, obwohl sie ein Hauptargument seines anthropologischen Asatzes darstellt. Auch die Darbietung der eigenen Ehefrau als Akt der patriarchalen Gastfreundschaft spielt für das sonst so weit gesteckte Begriffsfeld keine Rolle, da komplexere Befunde nicht zur Ausgangs- und Schlusshypothese passen, von der noch die Rede sein wird. Während religiöse Texte, etwa das Gilgamesch-Opus oder talmudische Interpretationen des Alten Testamentes als Fiktionen, das Herrenrecht als literarischer Topos behandelt werden, so werden Reiseberichte, etwa der vermutlich fiktive des Marco Polo, anekdotenhaft eingestreut und ohne jegliche Quellenkritik als Belege für "exotische Praktiken", quasi frühe Feldstudien, genommen. Auch Berichte ausschliesslich männlicher Ethnologen, die im Zeitalter des Kolonialismus ihre Beobachtungen notierten und heute nicht nur von feministischen Ethnologinnen längst sehr kritisch betrachtet werden, fliessen unreflektiert als Zeugenaussagen ein. In seinen beiden Hauptkapiteln zur Rechtsüberlieferung geht der Autor im Gegensatz dazu allerdings besonders sorgfältig vor. Sämtliche bekannten angelsächsischen, französischen, spanischen, schweizerischen und süddeutschen Rechtsbräuche werden umfassend durchleuchtet. Wettlaufer bietet hier umfangreiche originalsprachliche Zitate, die er dankenswerterweise aus dem Altfranzösischen oder Lateinischen übersetzt, deren Überlieferungschichten er in etymologischer und zum Teil archivalischer Feinarbeit freilegt und jeweils verschiedene Interpretationsmöglichkeiten vorstellt, bevor er die Traditionslinien vor dem Hintergrund des Forschungsstandes vergleicht und neu einordnet. Die Akribie und Mühe, das saubere historische Handwerk des Historikers, verpuffen leider in der sich daraus und auch aus der definitorischen Schwäche ergebenden ermüdend trockenen Aufzählung immer neuer lokaler Begrifflichkeiten, die nur für Spezialisten des Feudalrechts wirklich interessant sind.

Dabei kann Wettlaufer, unter Betonung lokalhistorischer Zusammenhänge, die Ableitung eines Herrenrechts aus frühmittelalterlichen Vormundschaftsrechten und Abgaben, welche auf die Heiratserlaubnis, vor allem bei Ausheirat aus der Herrschaft, auf die Erbschaft oder die Mitgift der Braut erhoben wurden, plausibel machen - auch wenn einige Argumente, etwa die zahlenmässig gleiche Höhe von Abgaben über geographische und zeitliche Grenzen hinweg etwas bemüht erscheinen und "'Assoziationsketten'" (189) mangels Quellenbelegen über weite Strecken die Interpretation tragen müssen. Das eigentliche Verdienst der Arbeit liegt in der Hervorhebung von Symbolhandlungen. Die Bedeutung der im Zusammenhang mit einigen Herrenrechten erwähnten Machtdemonstrationen, die immer mit einem scheinbaren "Besteigen" der Braut im Ehebett zu tun hatten, beweist einmal mehr die Rolle der sexuellen Potenz im männlichen Selbstverständnis patriarchaler Kulturen und deren Zusammenhang mit fiskalischen und territorialen Machtgelüsten. Wettlaufer betont mehrfach die symbolische Bedeutung des Herrenrechts, die der nachdrücklichen Legitimation von Steuern diente und nur eine scheinbare Alternative (Geld oder sexuelle "Naturalien") darstellte. Einige angesichts der zentralen Quellengruppe der Gewohnheitsrechte wichtige definitorischen Fragen werden nicht thematisiert: etwa wann ein tyrannischer Anspruch zu einem Rechtsanspruch wurde bzw. umgekehrt, ob es sich immer nur um die verletzte Ehre männlicher Besitzer handelte oder ob nicht auch weibliche Familienmitglieder einer Erwerbsgemeinschaft von den fiskalischen Alternativforderungen betroffen waren (Wettlaufer zitiert entsprechende literarische Quellen) und wenn ja, in welcher Form. Die gesamte Argumentation des Verfassers ist von Anfang an auf den Nachweis einer anthropologischen Konstante ausgerichtet, und darin liegt die elementare Schwäche der Arbeit.

Das fünfte, dieser Beweisführung gewidmete Kapitel ist leider das kürzeste, oberflächlichste und wirklich ärgerlich. Unter Berufung auf die Schimpansenforschung des berühmten Primatologen Franz de Waal und vor dem theoretischen Hintergrund der Humanethologie à la Konrad Lorenz und Irenäus Eibl-Eibesfeldt spricht der Autor ständig von der "'universell menschlichen Natur'" und meint doch nur die männliche. Die sexuelle Programmierung des weiblichen Menschen hat in diesem Modell nicht einmal Platz. Auch scheint es, als hätte es die Naturwissenschaftskritik (stellvertretend seien nur Donna Haraway und Bruno Latour genannt) nie gegeben. Dabei sind es nicht einmal die in den USA und Australien unlängst in Mode gekommenen behavioral genetics, deren chemische Botenstoffe, sogenannte marker, Verhaltensdispositionen prägen sollen, die neuerdings zur Begründung herhalten müssen. Die scheinbare naturwissenschaftliche Legitimation des Gedankenganges rekurriert vielmehr auf die darwinistischen Modelle der Sechziger Jahre, die schon deshalb nicht als naturwissenschaftlich gelten können, weil ihre Logik der Effektivitätsprämisse des kapitalistischen Systems geschuldet ist und nur aus der Perspektive eines maskulinen agens funktioniert, wobei das psychoanalytische Triebmodell ohnehin nicht naturwissenschaftlich fundiert ist. Das grundsätzliche Problem der Evolutionspsychologie ist es, die Vielfalt der Verhaltensweisen mit einem Minimum an genetischen Grundkonstanten erklären zu wollen, um die verwirrend widersprüchliche Welt letztendlich doch beruhigend überschaubar zu halten. Es geht mir gar nicht um die politische Instrumentalisierung der Erkenntnisse der Verhaltensbiologie (Lorenz und Gehlen arbeiteten offen dem nationalsozialistischen System zu), es geht allein um die Unsinnigkeit solcher Argumentationsketten, die schlimmstenfalls deterministisch daherkommen, bestenfalls scheinbar offen. In diese Falle tappt auch Wettlaufer, obwohl er das biologische Erbe durchaus nur als variable, kulturell überformbare Vehaltensdisposition bezeichet. Wenn er tatsächlich noch einmal die Alpha-Männchen der Gorillas und Schimpansen anführt, die alten Rechnungen von Grössen- und Gewichtsverhältnissen zwischen Weibchen und Männchen bei vielen Tierarten aufmacht, einen biologischen Zusammenhang zwischen Polygamie, Machtdemonstration und sexuellem "Aufreiten" von hinten konstatiert, offenbart sich die Brüchigkeit der Argumentation. Gegenbeispiele für sämtliche von Wettlaufer angeführten Argumente liessen sich en masse anführen. Hier sei nur eines ausgeführt: Ausgerechnet der zitierte Franz de Waal, der in seinen Forschungen immer wieder betont, dass auch Primaten nicht einfach instinktgeleitet, sondern auf ihre Art strategisch und überlegt handeln, hat intensiv zu den Bonobos geforscht (1997), einer Menschenaffenart, mit denen wir ebenso eng verwandt sind wie mit den Schimpansen. Diese leben allerdings in völlig anderen Gesellschaftsstrukturen als jene, nämlich in wechselnden matriarchalen Koalitionen und bisexuell. Bonobos verkehren gern in der "Missionarsstellung" und lösen Konflikte im Gegensatz zu den Schimpansen kaum durch körperliche Gewalt als vielmehr durch zärtliche Berührungen und sexuelle Entspannungstechniken auf gegenseitiger freiwilliger Basis. Es wundert nicht, dass derartige Ergebnisse derselben Verhaltensforschung nicht erwähnt werden, weil sie die genauso stammesgeschichtliche Disposition zu diametralem Verhalten belegen würden. Ein biochemischer Zusammenhang zwischen sexueller Erregung und Aggressivität oder die Vererbung neuronaler Prozessstrukturen als Voraussetzung für Leben und Handeln soll hier gar nicht bestritten werden. Doch was nützt diese Binsenweisheit, da sie doch für Männer wie Frauen gilt, von Alter, Ernährung und vielen andern ebenfalls chemischen Prozessen das ganze Leben hindurch beeinflusst wird und das Spektrum an "Maskulinität" und "Femininität" (keine naturwissenschaftlichen Operanten, sondern kulturelle Setzungen) so gross ist wie die Zahl der Lebenden?

Abschliessend bliebe festzuhalten, dass eine Menge an fachlicher Kompetenz, Zeit und Energie in eine Fragestellung investiert wurde, die keinen besonderen Erkenntniswert hat. Wir wissen nun, dass das jus primae noctis auf frühfeudale Abgabenansprüche zurückgeht, und dass im Spätmittelalter Bauern wie Grundherren an die Tradition solcher Praktiken geglaubt haben. Wir wissen immer noch nicht, ob es die Praxis im Mittelalter wirklich gegeben hat und auch nicht, ob der bis zum Ende des 18. Jahrhundert nachweisbare Glaube daran in der Frühen Neuzeit zur sozusagen verspäteten Umsetzung eines solchen Rechtstitels geführt hat. Wir erfuhren endlich auch, dass es Männern immer nur um Sex geht, hauptsächlich, um vor anderen Männern damit anzugeben. Sollte, wie es die Biopsychologie versichern möchte, dies die einzige genetische Programmierung männlicher Sexualität sein, wäre es tatsächlich an der Zeit, dass sich die Geisteswissenschaften zur ethischen Hilfestellung verstärkt den Möglichkeiten der Gentechnik öffnen, um solche stammesgeschichtlichen Erblasten zu beseitigen.

Redaktionelle Betreuung: Gudrun Gersmann

Empfohlene Zitierweise:

Maren Lorenz: Rezension von: Jörg Wettlaufer: Das Herrenrecht der ersten Nacht. Hochzeit, Herrschaft und Heiratszins im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Frankfurt/M.: Campus 1999, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 3, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=132>

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