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Gerhard Menk (Hg.): Landgraf Moritz der Gelehrte. Ein Kalvinist zwischen Politik und Wissenschaft (= Beiträge zur Hessischen Geschichte; Bd. 15), Marburg/Lahn: Trautvetter & Fischer 2000, 264 S., ISBN 3-87822-112-6, DM 49,80

Rezensiert von:
Stefan Ehrenpreis
Institut für Geschichtswissenschaft, Humboldt-Universität, Berlin

Im Jahre 1997 veranstaltete das rührige Weserrenaissance-Museum Schloss Brake bei Lemgo eine erste große Ausstellung über den zwischen 1592 und 1627 regierenden hessen-kasselischen Landesherrn, der - in seinen politischen Leistungen umstritten - zu den bedeutendsten Förderern von Kunst und Wissenschaft vor dem Dreißigjährigen Krieg im Reich gehörte. Die im vorliegenden Sammelband gedruckten Beiträge sind auf einem Kolloquium in Lemgo und bei einer parallelen Vortragsreihe des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde in Marburg gehalten worden. Es ist dem Herausgeber zu danken, dass neben dem herausragenden Ausstellungskatalog nun auch wesentliche Mosaiksteine zu einer problemorientierten Biographie des Landgrafen Moritz zusammengetragen wurden. Der Marburger Archivar und Historiker Menk, wohl einer der besten Kenner der europäischen Verbindungen in der Geschichte des deutschen Calvinismus, bürgt darüber hinaus auch für eine Sicht des Protagonisten, die diesen deutlich aus einer rein landesgeschichtlichen Perspektive heraushebt.

Dies wird gleich im einleitenden Beitrag deutlich, in dem Gerhard Menk eine tour d'horizon beschreitet (Ein Regent zwischen dem Streben nach politischer Größe und wissenschaftlicher Beherrschung des Politischen, 7-78). Nach einem konzisen Überblick über die politischen Rahmenbedingungen der Herrschaftszeit des Protagonisten im Reich und in Europa widmet er sich ausführlich dem historiographischen Bild des Landgrafen, das schon kurz nach seinem Ableben hagiographische Züge annahm und sein politisches Scheitern vergessen machte. Menk würdigt zum Abschluss zurecht das wissenschaftliche Mäzenatentum und die Rolle Moritz' in der protestantischen respublica societas litteraria Europas, der gleichwohl wegen seines sprunghaften Temperaments zur angestrebten rationalen Staatsführung unfähig war.

Diesem problemorientierten Überblick schließen sich mehrere Beiträge an, die die territoriale Religions-, Finanz- und Bildungspolitik Hessen-Kassels in der Regierungszeit von Moritz in den Blick nehmen. Sie gehen von einem starken Gesamtbezug dieser Politikfelder aus, die durch die politisch-konfessionelle Ordnung der sogenannten "Zweiten Reformation" gesteuert wurde. Die Verbindung von religionspolitischer Orientierung nach Westeuropa und früher Verwissenschaftlichung des Regierungshandelns macht Hessen-Kassel zweifellos zu einem interessanten Studienobjekt. Der Herausgeber stellt zunächst die Religionspolitik im Zusammenhang mit der Erbteilungsfrage in den Vordergrund, die Moritz in scharfen Gegensatz zur Linie Hessen-Darmstadts und zum Kaiserhof brachte (Die Konfessionspolitik des Landgrafen Moritz, 95-138).

Der Landesherr musste mit hohem persönlichen Einsatz den Widerstand des Adels und der lutherischen Geistlichkeit brechen. Insgesamt spricht Menk allerdings von der Einführung der "Verbesserungspunkte" 1605 als von einem letztlich unüberlegten und gescheiterten Unternehmen, das sich innenpolitisch nicht durchsetzen ließ, dynastisch und reichspolitisch aber erheblichen Schaden anrichtete. Die Einführung des Calvinismus als einen Vorgang, der nicht zur Trennung von Volks- und Elitekultur taugt, beschreibt Werner Troßbach (Landgraf Moritz und das Problem von Mobilisierung und Partizipation in der "zweiten Reformation", 139-158). In den Quellen zu den lokalen Religionsverhören findet er Anhaltspunkte für eine religionsgestützte politisch-gesellschaftliche Mobilisierung der Bevölkerung, wie sie dem deutschen landeskirchlichen Protestantismus sonst fehlte. Den Auswirkungen der konfessionellen Orientierung auf das Bildungswesen widmet sich Arnd Friedrich (Die Bildungspolitik Landgraf Moritz des Gelehrten zwischen Melanchthonianismus und Ramismus, 159-172). Im Mittelpunkt stehen mit der Universität Marburg und dem Collegium Mauritianum in Kassel - einer Ausbildungsstätte zwischen Gelehrtenschule und Ritterakademie - Institutionen der höheren Bildung. Die Bedeutung des Ramismus - einer französisch-hugenottischen frührationalistischen Philosophie - wird wohl innerhalb der Moritzschen Bildungsinnovationen eher überschätzt. Den hoch gesteckten Ambitionen des Landgrafen standen jedoch keine entsprechenden materiellen Ressourcen gegenüber, so dass der Hof immer wieder zu Sparmaßnahmen greifen musste, die - wem käme das heute nicht bekannt vor? - als Verwaltungsreformen getarnt wurden. Ute Löwensteins Darstellung (Nervus pecuniae. Versuche zur dispositio oder reformatio der Kasseler Hofhaltung, 79-94) konzentriert sich dabei vor allem auf das Hofwesen.

Diese zentralen Politikfelder vernachlässigen jedoch die Beachtung der traditionell eher als Nebenthemen abgeschobenen Fragen nach dem konkreten politischen Einfluss am Hof. Dazu gehört die Rolle der Fürstinnen, die Margret Lemberg vor allem am Beispiel der Juliane von Nassau-Dillenburg erläutert (Frauen um Landgraf Moritz. Wirkungsmöglichkeiten einer Fürstin zu Anfang des 17. Jahrhunderts, 173-195). Sie galt als kluge und politisch weitblickendere Frau als der Fürst selbst; die Heirat verschwägerte Moritz mit dem Haus der niederländischen Statthalterfamilie der Oranier. Beachtung verdienen besonders ihre außenpolitischen Aktivitäten im Dreißigjährigen Krieg. Dem wenig ruhmvollen, doch gleichwohl überraschenden Ende der Herrschaft von Moritz widmet Raingard Eßer eine quellennahe Betrachtung seiner Abdankungserklärung von 1627 (Landgraf Moritz' Abdankung und sein politisches Vermächtnis, 196-214), die sie mit dem Testament seines Gegenspielers Ludwig von Hessen-Darmstadt vergleicht. Die letzten drei Beiträge befassen sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit der Förderung der Alchemie am Kasseler Hof. Über wissenschaftliche Experimente der chemo-metallurgischen Art hinaus und jenseits aller spekulativen Suche nach dem künstlichen Gold wurde durch Moritz - ähnlich wie am Prager Kaiserhof Rudolfs II. - ein umfassendes hermetisches Verständnis von Universalreform gepflegt, dessen bedeutendste Ausprägung die Drucke der grundlegenden Schriften der Rosenkreuzer in Kassel sind. Bruce T. Moran, der bereits eine quellennahe monographische Untersuchung der Rolle der Alchemie für Moritz vorgelegt hat, setzt dessen Aktivitäten nun in einen europäisch-vergleichenden Kontext (The Kassel Court in European Context. Patronage Styles and Moritz the Learned as Alchemical Maecenas, 215-228). Die Rolle keines Geringeren als Jost Bürgi bei der Anlage des Hoflaboratoriums betont Heiner Borggrefe, der dazu auch zahlreiche alte Ansichten des Kasseler Schlosses und ein Inventar von 1669 heranzieht (Das alchemistische Laboratorium Moritz des Gelehrten im Kasseler Lusthaus, 229-252). Das persönliche Interesse Moritz' an Büchern lässt sich durch sein Nachlassinventar erschließen, das 727 Buchtitel nennt und in einem Katalogisierungsprojekt von Hartmut Broszinski vorgestellt wird (Die alchemistische Bibliothek des Landgrafen Moritz. Der Landgraf und die Bücher, 253-262).

Insgesamt bietet der vorliegende Sammelband eine breite Perspektive auf die umstrittene Persönlichkeit des Landgrafen Moritz, die deutlich macht, wie sehr der allgemeinen Reichsgeschichte bis 1618 eine moderne vergleichende Betrachtung der territorialen Höfe und ihrer politischen Kultur fehlt. Selbst für die Kurfürstentümer bleibt hier noch viel zu tun.

Redaktionelle Betreuung: Ute Lotz-Heumann

Empfohlene Zitierweise:

Stefan Ehrenpreis: Rezension von: Gerhard Menk (Hg.): Landgraf Moritz der Gelehrte. Ein Kalvinist zwischen Politik und Wissenschaft, Marburg/Lahn: Trautvetter & Fischer 2000, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=146>

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