header

Alois Schmid (Hg.): Die Berichte der diplomatischen Vertreter des Kaiserhofes aus München an die Staatskanzlei zu Wien während der Regierungszeit des Kurfürsten Max III. Joseph (= Quellen zur Neueren Geschichte Bayerns; II; Bd. 1-2), München: Kommission für bayerische Landesgeschichte 2000, 2 Bde., 100* + 1076 S., 2 Abb. als Frontispiz, ISBN 3-7696-9705-7, DM 138,00

Rezensiert von:
Matthias Schnettger
Institut für Europäische Geschichte, Mainz

In der neuen, von der Kommission für bayerische Landesgeschichte herausgegebenen Quellenreihe "Quellen zur Neueren Geschichte Bayerns" ist neben einem ersten Band der von Gerhard Immler bearbeiteten bayerischen Korrespondenz zum westfälischen Friedenskongress für das Jahr 2000 noch eine weitere Neuerscheinung zu verzeichnen: die von Alois Schmid unter Mitarbeit von Dietmar Grypa bearbeiteten Gesandtschaftsberichte der Vertreter des Wiener Hofes in München an die österreichische Staatskanzlei für die Jahre 1745-1749. Damit ist keines der ganz zentralen, glanzvollen Ereignisse der bayerischen, deutschen und europäischen Geschichte Gegenstand dieser Edition, sondern sie beleuchtet vielmehr eine kritische oder, anders formuliert, Neuformierungsphase der bayerischen Geschichte nach dem gescheiterten Experiment des Kaisertums Karls VII. Aber gerade mit ihren Problemen stellt die behandelte Epoche für Bayern eine nicht unwichtige Phase dar, in der es galt, die unter der vorangegangenen Regierung hoffnungslos überstrapazierten Kräfte des Kurfürstentums neu zu formieren und seine Stellung im europäischen Staatensystem neu zu definieren. Dabei kam den Beziehungen zum Wiener Hof eine zentrale Rolle zu, und zwar nicht nur zu der soeben durch den Füssener Frieden wieder versöhnten österreichischen Regentin Maria Theresia, sondern auch zu ihrem 1745 als Franz I. in Frankfurt zum römisch-deutschen Kaiser gewählten Gemahl. Die von Schmid edierten Gesandtschaftsberichte, die die Verhältnisse am Münchener Hof z.T. minutiös beleuchten, sind daher eine Quelle ersten Ranges für die österreichisch-bayerischen Beziehungen, die bayerische Geschichte und die Außenpolitik der Habsburger Monarchie in der zweiten Hälfte der 1740er Jahre, aber sie sind noch mehr: Sie bieten auch wichtige Informationen zu verschiedenen Aspekten der allgemeinen Reichs- und europäischen Geschichte: zum Interregnum und zur Kaiserwahl von 1745, zur Endphase des Österreichischen Erbfolgekriegs und zum Aachener Frieden sowie überhaupt zur Entwicklung des europäischen Staatensystems um die Mitte des 18. Jahrhunderts.

Wer die nicht unerhebliche Mühe einer umfangreichen Quellenedition zur frühneuzeitlichen Geschichte auf sich nimmt, wird sich immer wieder gezwungen sehen, Entscheidungen zu treffen zwischen dem, was im Hinblick auf möglichst große Vollständigkeit wünschenswert erscheint, und dem, was angesichts begrenzter zeitlicher und finanzieller Ressourcen praktikabel ist. In der Regel werden Kompromisse erforderlich sein. Dies gilt auch für die vorliegende Edition: Einerseits hat Schmid die Berichte an die Wiener Staatskanzlei komplett erfasst; andererseits hat er die parallele Überlieferung der Reichshofkanzlei, sofern sie nicht abschriftlich oder - einigermaßen überraschend - im Original unter den Akten der Staatskanzlei vorhanden ist, unter denen sich eben nicht nur Berichte an Staatskanzler Ulfeld und Maria Theresia, sondern auch an Reichsvizekanzler Colloredo und Franz I. finden, unbeachtet gelassen. Im Grunde ist damit der Titel der Publikation leicht irreführend: Beleuchtet wird zumeist weniger die Perspektive des Kaiserhofes im eigentlichen Sinne als die der Großmacht Österreich. Zwar mag diese Unterscheidung in den 1740er Jahren eine einigermaßen theoretische sein, aber, ganz abgesehen von der schon lange fortgeschrittenen institutionellen Differenzierung, waren in der Zeit Maria Theresias die Personen des Kaisers und des Oberhauptes der Österreichischen Monarchie für dreieinhalb Jahrzehnte eben nicht identisch - nebenbei bemerkt: In den ersten Monaten des Berichtszeitraums war der Wiener Hof gar kein Kaiserhof, wurde Franz Stephan von Lothringen doch erst am 13. September 1745 zum Reichsoberhaupt gewählt. Hat Schmid mit seiner Konzentration auf die Überlieferung der Staatskanzlei auf die vollständige Publikation aller Berichte an den Wiener Hof verzichtet, so hat er - und dies ist ausdrücklich zu begrüßen - die in dem von ihm ausgewählten Bestand enthaltenen Relationen, sieht man von Anrede und Schlusskurialien einmal ab, komplett wiedergegeben. Dies wird jeder dankbar vermerken, der, zumal bei der Benutzung älterer Quellenpublikationen, feststellen musste, dass die ihn interessierenden Teile, weil der Bearbeiter sie für unwichtig hielt, entweder ganz ausgelassen oder allenfalls in Regestenform wiedergegeben worden waren. Gelegentlich würde man sich wünschen, dass auch die Beilagen der Berichte abgedruckt worden wären, deren Inhalt jedoch durch knappe Regesten aufgeschlüsselt wird.

Was die Kommentierung der Berichte angeht, hat sich Schmid für eine relativ sparsame Variante entschieden. Für alle genannten Personen werden, wenn möglich, der vollständige Name, die Lebensdaten und eine kurze Funktionsbeschreibung angeführt. Letztere ist nicht immer ganz glücklich ausgefallen - so wird etwa Reichsvizekanzler Colloredos Stellung einigermaßen umständlich regelmäßig mit "Wiener Konferenzminister und Leiter der Reichskanzlei" wiedergegeben. Werden die Personen insgesamt aber vollständig aufgeschlüsselt und auch weniger bekannte Orte bestimmt, findet der Benutzer vergleichbare Hilfen für die behandelten Sachverhalte nur teilweise. Allein zwischenstaatliche Verträge werden durchgängig durch Hinweise auf Druck, archivalischen Fundort oder auch durch Regesten näher bestimmt. Ansonsten wird der Anspruch, dass [w]eitere erläuterungsbedürftige Begriffe oder Passagen ... mit dem Hinweis auf weiterführende Quellen oder Literatur erklärt" werden sollen (Einleitung, 98*), leider nicht vollständig eingelöst: Beispielsweise wird in Bericht 96 vom 21. Juni 1746 eine "bonne nouvelle ... d'Italie" erwähnt, aber nicht näher aufgeschlüsselt (offensichtlich wird hier auf die für Österreich und seine Verbündeten erfolgreiche Schlacht von Piacenza angespielt). Auch wenn man konzediert, dass "der Sachkommentar um möglichste Kürze bemüht", "[s]ein alleiniges Ziel ... die Erschließung der Quellen" ist (Einleitung, 98*), würde man sich an der einen oder anderen Stelle noch weitere Angaben wünschen. Bedauern wird man es als Benutzer auch, dass die im Kommentar zu findenden Hinweise bisweilen neuere Spezialliteratur unbeachtet lassen. Beispielsweise wird zu verschiedenen Sachverhalten, die die österreichische oder allgemeine europäische Geschichte betreffen, allein auf Arneths "Geschichte Maria Theresia's" verwiesen - gewiss ein Standardwerk, aber nicht gerade der neueste Forschungsstand. Insgesamt scheint es, dass die Aspekte, die in einem engeren Zusammenhang mit der eigentlichen bayerischen Landesgeschichte stehen, bei der Kommentierung stärkere Berücksichtigung erfahren haben. Die primär bayerische Perspektive des Herausgebers wird auch bei der Auswahl der Sachbetreffe im kombinierten Personen-, Orts- und Sachregister deutlich.

Alle kritischen Bemerkungen und Einschränkungen bedeuten jedoch nicht, dass die Edition nicht auch für die allgemeine deutsche und europäische Geschichte der Mitte des 18. Jahrhunderts einen wertvollen Quellenfundus bietet, den man bei der Bearbeitung der entsprechenden Themen dankbar heranziehen wird.

Empfohlene Zitierweise:

Matthias Schnettger: Rezension von: Alois Schmid (Hg.): Die Berichte der diplomatischen Vertreter des Kaiserhofes aus München an die Staatskanzlei zu Wien während der Regierungszeit des Kurfürsten Max III. Joseph, München: Kommission für bayerische Landesgeschichte 2000, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=152>

Bitte setzen Sie beim Zitieren dieser Rezension hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse ein.

footer