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Christoph Schmidt: Auf Felsen gesät. Die Reformation in Polen und Livland, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000, 341 S., 1 Karte, ISBN 3-525-01387-6, DM 72,00

Rezensiert von:
Hans-Joachim Müller
Mainz

Die Reformation als "Schattenreich" - mit diesem dunklen Bild resümiert Christoph Schmidt sein Werk und rückt die Reformation in den Bereich der Unterwelt. Nur metaphorische Überzeichnung oder historiographisches Programm? Unbeantwortet bleibt diese Frage und wirft ein irritierendes Licht auf ein ambitioniertes Buch.

Zu einem Zeitpunkt, an dem die Forschung eine deutliche Tendenz zur Regionalisierung des Phänomens der polnischen Reformation erkennen lässt, legt Christoph Schmidt eine Gesamtdarstellung zum Thema vor, die er noch durch die Behandlung der Reformation in Livland erweitert. Schmidt möchte mit seinem Werk zum einen die "Standardwerke" der jeweiligen Reformationen aus dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts (Polen: Theodor Wotschke; Livland: Leonid Arbusow) durch die Vorstellung der seitdem vorgelegten Forschungsergebnisse ergänzen. Zum anderen wendet er sich übergeordneten Fragen zu: Wie kann man die beiden Reformationen in Ostmitteleuropa mit den westeuropäischen Reformationen vergleichen? Welche politischen und sozialen Kräfte stützten oder lähmten die Reformationen? Welche theologischen Inhalte standen im Mittelpunkt? Welche kulturellen Voraussetzungen lagen vor? Welche Typologien und welche "universalen Merkmale" (33) der verschiedenen Reformationsbemühungen im europäischen Vergleich können festgehalten werden?

Das Buch versteht sich nicht als ein eigener Forschungsbeitrag. Schmidt referiert, ordnet die vorhandenen Ergebnisse neu und sucht auf dieser Grundlage seine Fragen zu beantworten. Das weit angelegte Vergleichsspektrum (Norddeutschland/Moskauer Rus') verdeutlicht, dass der Autor keine Einzelstudie, sondern einen Überblick geben will, den er z.T. im Sommersemester 1999 an der Universität Frankfurt am Main als Vorlesung dargeboten hat.

Die ersten vier der insgesamt acht Kapitel widmet Schmidt der polnischen Reformation. Er stellt dabei drei Phasen vor (1. Misslungene Unterdrückung 1519-1548; 2. Schwankende Anerkennung 1548-1570/73; 3. Ankunft der Jesuiten und Auslaufen der Reformation, ab 1565). Schmidt löst sich mit dieser Einteilung von vorherigen Gliederungen, die entweder das Scheitern der Reformation nicht mit in Betracht gezogen (Theodor Wotschke) oder aber eine schichtenspezifische Perspektive eingenommen hatten [1]. Er arbeitet heraus, dass die anfänglich gescheiterte Unterdrückung der Reformation auf das Machtvakuum unter König Sigismund I. zurückzuführen war und auch das theologische Anliegen der Reformation in Polen nicht völlig unplausibel erschien (43). In der zweiten Phase hingegen ließen sich König und Bischöfe gegenüber den protestantischen Adligen vor dem Sejm wiederholt auf Kompromisse oder Zugeständnisse der Anerkennung ein, die sie in der praktischen Politik wieder aushebelten (48). Schließlich gestattete zwar 1573 die Warschauer Konföderation den Protestanten die Ausübung ihres Kultus, aber anders als im 1555 zu Augsburg geschlossenen Religionsfrieden wurde nicht das ganze evangelische Kirchenwesen unter den Schutz der Obrigkeit gestellt (57). Damit waren günstige Bedingungen für die Gegenreformation geschaffen, deren Akteure Schmidt in der dritten Phase besonders in den Gestalten des ermländischen Kardinals Stanislaw Hosius und des Jesuiten Piotr Skarga sieht.

Im zweiten Kapitel behandelt Schmidt die Akteure unter den polnischen Protestanten (Lutheraner, Calvinisten sowie Täufer und Unitarier). Wie auch schon im Fall der Gegenreformation sieht Schmidt in "fähigen Persönlichkeiten" die Gestalter der Ereignisse. Er räumt ihnen hier größere Bedeutung als den vorhandenen Strukturen ein (66) und steht damit in der Tradition einer personalistischen Geschichtsschreibung, die er eingangs noch kritisiert hatte (19). Im dritten Kapitel widmet er sich den Ständen (Szlachta, Städte, Bauern). Besonders den schwächeren Antiklerikalismus im Adel arbeitet er als einen Unterschied zu Reformationsbewegungen im Westen heraus: Während im Westen die Polarisierung zwischen Alt und Neu besonders durch antiklerikale Effekte vorangetrieben wurde, fielen in Polen "Dimension und Dynamik" des Antiklerikalismus maßvoll aus (105). Der herausragenden Bedeutung der Städte für den Durchbruch der Reformation, wie sie für das Alte Reich herausgearbeitet wurde, hält Schmidt die gänzlich anderen Bedingungen in Polen entgegen: Die städtischen Bürger hatten nach der Herausbildung der Adelsrepublik weniger Einflussmöglichkeiten, und auch ihre wirtschaftliche Basis verschlechterte sich, da sie das Marktrecht an den jeweiligen Stadtherrn verloren. Beim Durchbruch der Reformation unterscheidet er ein Gefälle zwischen West und Ost und eines zwischen Nord und Süd: "Je weiter im Landesinnern, umso schwächer der reformatorische Anstoß." (119) Das vierte Kapitel schließlich wendet den Blick von Kronpolen ab und rückt das Königliche und Herzogliche Preußen sowie das Großfürstentum Litauen in den Mittelpunkt. Hier handelt es sich um Gebiete, die für die Reformation in Polen eine wesentliche Rolle spielten, da sich hier die institutionellen und personellen Zentren des Protestantismus ausbilden sollten.

Die beiden folgenden Kapitel wenden sich der Reformation in Livland zu. Zunächst stellt Schmidt die Bedeutung von Städten, Ständen und Ordensstaat für die Reformation heraus, bevor er im sechsten Kapitel den baltischen Konfessionskonflikt näher untersucht. Die Bedeutung des Apokalyptikers Melchior Hoffmann schätzt er gering ein, bei der Entstehung der neuen Kirchenwesen avancierte der Rat zum obersten Träger des Kirchenregiments (Riga/Reval). Die polnische Zeit in Livland ab 1561 sieht Schmidt durch zwei Phasen gekennzeichnet: eine Phase der konfessionellen Toleranz nach der Erteilung des Privilegium Sigismundi von 1561 und eine zweite, die durch das Auftreten der Jesuiten bestimmt gewesen sei. An dieser Stelle wird zum ersten Mal ansatzweise erkennbar, warum Schmidt die Reformationen in Polen und Livland gemeinsam untersucht. Es wird deutlich, dass der König in den neuen Gebieten rigider gemäß den gegenreformatorischen Maximen handelte als in den anderen Gebieten der Adelsrepublik.

Im siebten Kapitel versucht Schmidt endlich, anhand der Kategorien Buchdruck, Literatur und Mentalitäten einen Vergleich der Reformationen in Polen-Litauen und Livland herzustellen. Am eindrücklichsten gelingt ihm das noch am Beispiel des Buchdrucks, wo er resümiert, dass in der Adelsrepublik die Fundamente der Reformation noch in der mündlichen Kommunikation lagen (230). Sehr fragwürdig jedoch erscheint der Versuch Schmidts, anhand der Ausbrüche des "Wahnwitzes" der Reformation, der Hexen- und Judenverfolgung, die mentalen Spezifika der polnischen und livländischen Reformationen herauszuarbeiten. Seine Feststellung, dass die durch die Reformation vermittelte Atmosphäre des Glaubenseifers in Deutschland zu gewaltsamen Eskalationen führte, von denen Polen aufgrund der schwächeren Durchschlagskraft der Reformation weitgehend verschont blieb, suggeriert den unzulässigen Schluss, die Reformation habe dazu beigetragen, derartige Eskalationen hervorzurufen. Eine solche Folgerung verbietet sich schon aus der auch vom Autor angeführten überkonfessionellen Struktur der Hexenverfolgung als auch mit Blick auf die vorreformatorischen Judenpogrome. So sehr auch eine ausschließlich erfolgsorientierte Sichtweise der Reformation, die die protestantische Wirtschaftsethik oder Themen wie die Rationalisierung und Sozialdisziplinierung ins Feld führt, zu hinterfragen ist, so gelingt es Schmidt nicht, an dieser Stelle eine überzeugende Argumentation gegen diese mächtigen Deutungsweisen vorzutragen. Ferner fehlt der Bezug zu jüngsten Veröffentlichungen zur Konfessionalisierungsthese, die diese Frage auf ungleich höherem Niveau behandelt haben [2].

Im letzten Kapitel, in dem Schmidt Formen der Reformation in Norddeutschland, Polen-Litauen und in der Moskauer Rus' nebeneinander stellt, gelingt es ihm nicht, den Nutzen einer solchen Synopse zu verdeutlichen. Dieser kann nur in einem Vergleich bestehen, der ja eigentlich auch vom Autor intendiert war. Warum er ausblieb, wird sein Geheimnis bleiben, vielleicht schien er ihm schon aus der Darstellung selbst evident.

Im Schlusskapitel versucht Schmidt schließlich, aus der "Vogelperspektive" einen Vergleich der europäischen Reformationen herzustellen. Ausgehend von seiner Einteilung in drei historische Regionen - Westeuropa, am Rhein beginnende Mittelzone, Russland - versucht er, stark vereinfachend, den Erfolg und das Scheitern der Reformation mit den Statusvorteilen zu erklären, die die einzelnen sozialen Gruppen durch die Reformation erzielen oder nicht erzielen konnten.

Der Titel von Christoph Schmidts Buch ist falsch gewählt: "Die Reformationen in Polen und Livland" hätte angemessener das Anliegen des Autors vermittelt, zwei weitgehend unverbunden ablaufende und auch von Schmidt getrennt dargestellte Verläufe von Reformationsbemühungen abzuhandeln. Dem Leser bleibt weitgehend unklar, weshalb beide Reformationen in einem Buch behandelt werden. Obwohl Schmidt mit seinem Buch traditionellen, personenorientierten Lesarten entgegentreten will, unterliegt er an manchen Stellen der mächtigen Rhetorik seiner Bezugsautoren. Hinzu kommt seine sprachliche Ungeschicklichkeit, meist ohne jegliche Distanzierung den Neugläubigen aus der Polemik stammende, negative Zuschreibungen zuzuordnen. Da ist vom "Einnisten" der Reformation (40) und der "lutherischen Verwirrung" die Rede (101), da wird die Reformation zum "notorischen Komplizen" des Bildungswesens erklärt (44), oder Schmidt bemüht gar einen "protestantischen Bazillus", der in den polnischen Städten nicht so stark wie in den brandenburgischen Städten "grassierte" (301). Vor diesem Hintergrund bleibt bei seiner abschließenden Kritik an dem Zweig der Reformationsgeschichtsschreibung, der in der Reformation den "Pathos der Freiheit" wirken sah (Bernd Moeller), der Geruch der konfessionellen Voreingenommenheit. Die dunkle Metapher von der "Reformation als Schattenreich", wie er seine Kritik in Worte fasst (303), wird wohl kaum - wie vom Autor beabsichtigt - aufklärend zur "Entzifferung Europas" beitragen. Schmidt beantwortet seine Eingangsfragen nur teilweise befriedigend. Die theologischen Inhalte gehen weitgehend verloren oder werden in Exkursen, deren Zusammenhang mit dem Gesamtwerk nicht immer ersichtlich ist (z.B. Abendmahlsexkurs, 74-79), behandelt. Nur in den Abschnitten, in denen er die Forschungslage referiert, kann er überzeugen. Eine inhaltliche Begrenzung und ein sauber durchgeführter Vergleich der jeweiligen Reformationen mit dem Westen und Osten hätten am Ende mehr Ergebnisse zutage fördern können. Der Rezensent wendet enttäuscht den Blick von einem thematisch wichtigen Buch eines ohne Zweifel gelehrten Autors, der seine Ziele nur zum Teil erreicht hat.

Anmerkungen:

[1] Gottfried Schramm: Der polnische Adel und die Reformation ( = Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Bd. 36, Abteilung für Universalgeschichte), Wiesbaden 1965, S. 319 - 324.

[2] Wolfgang Reinhard: "Konfessionalisierung" auf dem Prüfstand, in: Joachim Bahlcke u.a. (Hg.): Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur ( = Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa, Bd.7), Stuttgart 1999, S. 79 - 88, hier: S. 85 f.; Luise Schorn-Schütte: Konfessionalisierung als wissenschaftliches Paradigma, in: Ebd., S. 63 - 77, hier: S. 67 - 69.

Redaktionelle Betreuung: Matthias Schnettger

Empfohlene Zitierweise:

Hans-Joachim Müller: Rezension von: Christoph Schmidt: Auf Felsen gesät. Die Reformation in Polen und Livland, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=153>

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