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David Cressy: Travesties and Transgression in Tudor and Stuart England, Oxford: Oxford University Press 2000, 351 S., ISBN 0-19-820781-6, £ 25,00

Rezensiert von:
Raingard Eßer
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München

"... some readers may detect the breath of post-modernism while others may share my sense that the past is ultimately intractable, though always worthy of pursuit". So antizipiert David Cressy in seinem Nachwort den Eindruck, den seine hier vorliegende Kollektion von vierzehn Vignetten zur Kulturgeschichte Englands im 16. und 17. Jahrhundert bei seinen Lesern hinterlassen kann. In der Tat trägt die Sammlung der thematisch nur locker miteinander verknüpften Fallstudien zu Randerscheinungen und Grenzüberschreitungen kultureller Praxis den Stempel postmoderner Historiographie anglo-amerikanischer Prägung, die in Großbritannien von einem ihrer kommunikationsstärksten Repräsentanten, Simon Schama, zur Zeit äußerst medienwirksam vertreten wird. Wie Simon Schama erzählt auch David Cressy Geschichten, so die Ankündigung im Untertitel seiner Sammlung: "Tales of Discord and Dissention".

Das tut er gut. Ganz im Sinne moderner Kriminalgeschichten erhält der Leser im Anhang jeder Story eine Zusammenfassung der "Dramatis Personae", und einige dieser Stories lesen sich auch wie Krimis: da gibt es verschwundene oder ermordete Kinder, medizinische Fehldiagnosen mit tödlichem Ausgang, Mord aus Eifersucht und Rache. Die Quellen zu diesen Fällen sind größtenteils Gerichtsakten, die Cressy aus den verschiedenen säkularen und religiösen Gerichtshöfen des frühneuzeitlichen England zusammengestellt hat. Widersprüchliche Aussagen, Gutachten und Gegengutachten werden vorgelegt, die zeitgenössischen Urteile verlesen. Das abschließende Verdikt des Historikers lässt Cressy allerdings bewusst offen, so etwa in der ersten Geschichte, in der es dem Leser überlassen bleibt, Agnes Bowkers Version, sie habe eine Katze (oder vielleicht eine Missgeburt) zur Welt gebracht, zu akzeptieren oder dahinter einen vertuschten Kindsmord zu vermuten. Wichtig an dieser Geschichte, die eine Art Pilotfunktion für die folgenden Untersuchungen hat, ist allerdings wie in jeder guten Kulturgeschichte nicht die Frage, was "wirklich" geschehen ist, sondern wie die Zeitgenossen das Ereignis interpretierten. Und hier lässt sich am Fall der möglichen Katzengeburt Cressys weiteres Erkenntnisinteresse für die folgenden Grenzfälle ablesen. Steht die "Monstergeburt" für ein tieferes Krisengefühl, das die englische Bevölkerung 1569, im Jahr von Agnes Bowkers Niederkunft, befallen hatte? Zunächst scheint uns Cressy auf diese Fährte setzen zu wollen. Im zweiten Kapitel, das sich allgemein mit "Monstergeburten" und deren publizistischer Vermarktung beschäftigt, bietet er aus der Lektüre von Pamphleten und Holzschnitten als eine Interpretation der Zeitgenossen Gottes Eingreifen in eine verirrte und sündige Welt, die durch den mehrfachen Religionswechsel und das "unnatürliche" Frauenregiment auf Englands Thron aus den Fugen geraten ist. Aber der Verweis auf die Postmoderne ginge ins Leere, würde der Leser nicht gerade auf die vielfältigen Erklärungsmöglichkeiten hingewiesen, die nicht nur heutigen Interpreten, sondern auch den Beteiligten der damaligen Ereignisse zur Verfügung standen, ohne dass beispielsweise eine eschatologische Lesart einem Verständnis von den Zufälligkeiten und Fehlern der Natur entgegengestanden hätte. Der Fall der Agnes Bowker wurde deshalb nicht nur vor den lokalen Kirchengerichten, sondern auch vor dem Secretary of State William Cecil verhandelt. Nicht etwa, weil die Frage nach der Identität des Babys und damit ein möglicher Fall von Sodomie eine Staatsangelegenheit war, sondern weil die Autoritäten als Konsequenz aus dem Fall allgemeine Unruhe in einer insgesamt verunsicherten Zeit befürchteten.

Zwei Leitthemen, die alle vierzehn Kapitel durchziehen, lassen sich bereits in Agnes Bowkers Geschichte identifizieren: Einmal Cressys Versuch, anhand von Grenzüberschreitungen und außergewöhnlichen Ereignissen den Rahmen kultureller Praxis und Norm abzustecken. Travestien, wie etwa Männer in Frauenkleidern und die öffentliche Reaktion auf den moralisch und gesetzlich unerlaubten Kleidertausch, werfen Licht auf Toleranzgrenzen. Das Vergehen von Thomas Salmon, der sich in Rock und Schürze in das Geburtszimmer einer Nachbarin eingeschlichen hatte, bestand nicht etwa in erster Linie in der Verletzung der geschlechterspezifischen Kleiderordnung (auch nach seiner Enttarnung lief er noch ein paar Stunden in den geliehenen Frauenkleidern durchs Dorf), sondern im Eindringen in einen Tabubereich, der nur Frauen vorbehalten war.

Das Management dieser Grenzfälle dient zweitens der Analyse von Machtverhältnissen. Welchen Spielraum hatten oder nahmen sich Untertanen gegenüber ihrer Obrigkeit? Wie verhielten sich offizielle und Volks-Religion zueinander? Welche Handlungs- und Ausdrucksmöglichkeiten hatten Frauen gegenüber Männern? Einige Antworten, die Cressy auf diese Fragen anbietet, überraschen, andere nicht. Das gesellschaftliche Potential vieler Grenzüberschreitungen, beispielsweise die Beschimpfung von Predigern, interpretiert Cressy im Gegensatz zur gegenwärtigen historiographischen Orthodoxie nicht als Zeichen eines allgemeinen Anti-Klerikalismus im nachreformatorischen England, sondern als extremen Ausdruck individueller Unzufriedenheit mit den Unzulänglichkeiten und Fehlern einzelner Geistlicher. Ebensowenig lässt Cressy den Kleidertausch als Zeichen subversiver Aktivitäten oder feministischen Aufbegehrens gelten. Jugendlicher Trotz und Aufsässigkeit gegen die Obrigkeiten werden vielmehr als Deutungsmuster rehabilitiert. Insgesamt neigt sich in Cressys Analyse der Machtverteilung die Waagschale deutlich zugunsten der Untertanen. Hier werden Handlungsspielräume herausgestellt, die sich etwa die Nachbarn der von ihnen hoch angesehenen, von der anglikanischen Geistlichkeit aber als verstockte Katholikin gebrandmarkten Elizabeth Horseman herausnahmen. Das heimliche Begräbnis der verstorbenen Rekusantin im Altarraum ihrer Pfarrkirche wird als ein Sieg der Volksreligiosität, die jedem Christen ein christliches Begräbnis zugestand, gegenüber anglikanischen Hardlinern der Ära Laud interpretiert. Mit der ganz manifesten Grenzüberschreitung der Laien in den sakralen Raum ohne geistliche Sanktionierung stellten die Bewohner von Wheatley ihre Interpretation der göttlichen Ordnung über die Gesetze der offiziellen Kirche und legten davon ein unübersehbares Zeugnis ab. Wiederum ganz in postmoderner Façon sind es nicht nur die Handlungen selbst, sondern auch die sie begleitenden oder kommentierenden Worte, die Handlungsspielräume abstecken. Im Fall Elizabeth Horseman ist es gerade die nahezu wasserdichte Verschwörung aller Beteiligten, die durch Verschweigen, Verzerren und schließlich Begutachten der Tat vor der kirchlich verordneten Untersuchung besteht.

Auch die Frauen in der patriarchalischen Welt der Frühen Neuzeit erhalten in Cressys Lesart seiner Quellen größere Handlungsspielräume. Agnes Bowker bestimmte beispielsweise selbst den Diskurs, in dem ihre "unnatürliche Geburt" verhandelt wurde. Und sie bestimmte die weiteren Akteure des Dramas: Die Hebamme, die für sie aussagte, und weitere Frauen, die in der Angelegenheit gehört wurden. Frauen wussten sich vor Gericht zu verteidigen und konnten selbst gerichtliche Maßnahmen anrufen, wenn sie ihrer Sache dienlich waren.

Die vierzehn Aufsätze, von denen elf auf Vorträge zurückgehen, die Cressy in den letzten zehn Jahren zu verschiedenen Anlässen gehalten hat, sind von unterschiedlicher Länge und analytischem Gehalt. Dabei geht der Autor in seinem Bemühen, die Akteure selbst sprechen zu lassen, in einige Fällen doch etwas zu weit. "Rose Arnold's confession" beispielsweise besteht in der Tat nur aus selbiger: Zwei der insgesamt nur dreieinhalb Seiten dieses Kapitels umfassen die wörtliche Abschrift ihrer Gerichtsaussage (in ihrem Prozess als mögliche Kindsmörderin). Es wundert deshalb auch nicht, dass Cressy in seiner Interpretation einzig ihre Sprachhandlungen hervorhebt und den Leser über alles Weitere dieser Geschichte im Dunkeln lässt.

Insgesamt wird Cressy allerdings seinem Anspruch gerecht: Er unterhält und fesselt den Leser mit seinen "Tales". Und er wirft neues Licht auf die englische Volkskultur des 16. und 17. Jahrhunderts im Allgemeinen und auf das Verhältnis zwischen Klerus und Laien im Besonderen. Es liegt in der Natur seiner theoretischen Vorgaben, dass das Gesamtbild, das Cressy hier entwirft, vielfältig und vielschichtig bleibt und sich einem eindeutigen Resümee bewusst entzieht.

Redaktionelle Betreuung: Ute Lotz-Heumann

Empfohlene Zitierweise:

Raingard Eßer: Rezension von: David Cressy: Travesties and Transgression in Tudor and Stuart England, Oxford: Oxford University Press 2000, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 5, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=160>

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