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Franz Heiler: Bildung im Hochstift Eichstätt zwischen Spätmittelalter und katholischer Konfessionalisierung. Die Städte Beilngries, Berching und Greding im Oberamt Hirschberg (= Wissensliteratur im Mittelalter; Bd. 27), Wiesbaden: Reichert 1998, 362 S., mehrere Abb. und Grafiken sowie 2 Karten, ISBN 3-89500-029-9, DM 78,00

Rezensiert von:
Stefan Ehrenpreis
Institut für Geschichtswissenschaft, Humboldt-Universität, Berlin

Nach der vier Jahre zuvor erschienen herausragenden Studie von Reinhard Jakob über das spätmittelalterliche Schulwesen in Franken und der Kuroberpfalz liegt in der Schriftenreihe des SFB 226 nun eine zweite schulgeschichtliche Detailuntersuchung vor. Im eher philologisch bestimmten Rahmen des Gesamtprojekts "Wissensliteratur im Mittelalter" wollte das Eichstätter Teilprojekt um Harald Dickerhof und Rainer A. Müller mit der Untersuchung der institutionellen Basis von Wissensvermittlung anhand der vier Bistümer Bamberg, Eichstätt, Regensburg und Freising Beispiele für die Entwicklung des Bildungssystems in der Zeit der "Bildungsexplosion" des 14. bis 16. Jahrhunderts darstellen - ein Unternehmen, das schon jetzt, obwohl noch nicht alle Ergebnisse vorliegen, als gelungen bezeichnet werden kann.

Reinhard Jakob konnte zur Erforschung seiner Untersuchungsregionen auf reichhaltige Quellenbestände zurückgreifen, die sich aus der zentralen Überlieferung ergaben. Heiler wählt einen stärker mikrohistorischen Zugriff, konzentriert sich auf die kleinere Region des Bistums Eichstätt und grenzt seine Untersuchung darüber hinaus noch auf die drei im Titel genannten Kleinstädte ein. Gegenüber Jakob, der seinen Untersuchungszeitraum 1520 enden lässt, beschreibt Heiler die Entwicklung bis an die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert und schließt damit die Epoche ein, die in der neueren Forschung als katholische Konfessionalisierung bezeichnet wird.

Auf Grund der - besonders für die ältere Zeit - mangelnden Quellenlage wendet Heiler ein im Eichstätter Teilprojekt entwickeltes Verfahren zum Nachweis der Bedeutung spätmittelalterlicher lokaler Schulwirklichkeit an: die Auswertung der Immatrikulationsangaben aus Universitätsmatrikeln und anderen Personenverzeichnissen von 34 Hochschulen Deutschlands, Frankreichs und Italiens. Die dabei gewonnenen ca. 50.000 Datensätze über Personen, deren Herkunft aus den erwähnten vier fränkischen Bistümern nachweisbar ist, werden mit Quellenangaben zum Schulwesen der Herkunftsorte korreliert und lassen nach Meinung der Forschergruppe Aussagen über Schulwirklichkeit auch an den Orten zu, wo lokale Quellen fehlen. Es ist bedauerlich, dass der Autor diese methodischen Überlegungen in die Einleitung verbannt - so können die Implikationen dieser Auswertung, die im April 2001 auf einer von Rolf Kießling veranstalteten Tagung in Weißenburg/Bayern diskutiert wurden, nur unvollkommen dargestellt werden. Es wäre etwa zu fragen, ob von der Herkunftsbezeichnung eines Studenten immer auf seine öffentliche Schulausbildung an diesem Ort geschlossen werden kann. Allerdings werden die quellenkundlich-statistischen Probleme bei der Auswertung detailliert diskutiert. Der Verfasser kann interessante Entwicklungen der örtlichen und zeitlichen Verteilung der Herkunftsdaten festmachen, die seine vorsichtigen Interpretationsergebnisse stützen.

Die Studie beginnt mit einer knappen, aber instruktiven Zusammenfassung der städtischen Rahmenbedingungen (Größe, Rat und Bürgerschaft, Kirche, Wirtschaft) im Spätmittelalter. Der anschließende Teil zum 16. Jahrhundert konzentriert sich auf die konfessionspolitischen Veränderungen im Hochstift zwischen Reformation und Konfessionalisierung. Hier kann bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts eine Ausbreitung protestantischer Strömungen konstatiert werden, bis Bischof Martin von Schaumburg mit der Gründung des ersten tridentinischen Seminars nördlich der Alpen 1564 gegen den Widerstand des Domkapitels energische Maßnahmen zur katholischen Reform einleitete. Gerade dem Schulwesen und dem Katechismusunterricht galten landesherrliche Mandate. Den bildungsgeschichtlich folgenreichsten Umbruch identifiziert der Autor mit der Etablierung der zahlreichen Jesuitengymnasien im schwäbisch-fränkisch-bayerischen Raum um 1600.

Das folgende ausführliche Kapitel hat einen Vergleich des Schulwesens der drei Städte und der Schule der Benediktinerabtei Plankstetten im Untersuchungszeitraum zum Gegenstand. Hier geht es um Gründungsdaten, Schulbauten, Lehrerverhältnisse, Kontrollkompetenzen, Schulstiftungen und Schülerzahlen, aber auch um Bibliotheken. Es zeigt sich, dass die drei Städte im Spätmittelalter wie andernorts die Schulhoheit aus kirchlichen Händen lösten und in die eigene Kontrolle überführten. Heiler bezeichnet es als typisch für das hochstiftische Territorium, dass dies in keiner der drei Kleinstädte vollständig gelang, sondern der lokale kirchliche Einfluss mit Unterstützung des Landesherrn um 1600 sogar wieder zunahm. Auch das Finanzierungsproblem stellte sich im 16. Jahrhundert erneut. Es wurde versucht, der Krise der kleinstädtischen Lateinschulen mit der Übertragung von Messstiftungen an die Lehrer zu begegnen. In Beilngries war man hier relativ erfolgreich, in Greding hingegen musste um 1600 erneut die Zusammenlegung des Schulmeister- mit dem Stadtschreiberamt vorgenommen werden. Insgesamt gesehen bestätigt Heiler die Ergebnisse der neueren historischen Bildungsforschung zur Frühen Neuzeit (Neugebauer, Bruning etc.), dass lokale Verhältnisse wesentlich mehr Einfluss auf die Schulentwicklung hatten als die landesherrliche Schulpolitik, von der ohnehin erst ab 1570 überhaupt gesprochen werden kann. Ähnliche Grundstrukturen ergeben allerdings nicht auch gleiche Schulentwicklungen. Ausschlaggebend ist nach Heiler vielmehr der Stellenwert, den das Stadtbürgertum der Bildung einräumte.

Nach einem kurzen Überblick zu vier Studienstiftungen des 16. und 17. Jahrhunderts widmen sich drei weitere Kapitel der Auswertung der 355 Immatrikulationen aus dem Oberamt Hirschberg; aus den Angaben werden - soweit möglich - Aussagen zum sozialen Status und zur späteren Berufstätigkeit gewonnen. Zunächst ist an den Zahlen der bekannte Niedergang der Bildungsbestrebungen in den ersten beiden Jahrzehnten nach der Reformation abzulesen; der Verfasser spricht von einem "regelrechten Kollaps der Immatrikulationszahlen" (152). Heiler weist hier außerdem für die weiteren Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts einen Niedergang der kommunalen Lateinschulen zugunsten der "neuen Großgymnasien" der Jesuiten nach. Der Höhepunkt der Immatrikulationszahlen aus dem Untersuchungsgebiet lag um 1500, woran auch die Verpflichtung der studierenden Landeskinder auf die Universität Ingolstadt im 16. Jahrhundert nichts änderte. Der Großteil der Studenten entstammte der kleinstädtischen Oberschicht, deren Familien auch im bäuerlichen Umland begütert waren, sowie der "funktionalen Bildungselite" von bischöflichen Beamten und Stadtschreibern. Von ca. einem Viertel der Studenten ist der spätere Berufsweg rekonstruierbar: die meisten haben eine Tätigkeit im niederen Klerus ausgeübt, einige wenige sind Stadtschreiber, Schulmeister oder landesherrliche Amtsträger geworden.

Die Zusammenfassung vergleicht noch einmal konzentriert die Entwicklung des vorreformatorischen und des konfessionalisierten Schulwesens und betont die Rolle der Zentren Eichstätt (Politik), Nürnberg (Wirtschaft) und Ingolstadt (Universität) für die Region. Eine Konfessionalisierung des Universitätsbesuchs wird nach 1560 konstatiert. Die vom Verfasser gekennzeichnete "Schlüsselrolle" des Bildungssektors im Konfessionalisierungsprozess des Hochstifts Eichstätt macht er vor allem an der "Entdeckung" der Schulpolitik durch die Landesherrschaft fest, etwa durch die Kontrolle der Lehrer auf ihre Rechtgläubigkeit (265). Diese Interpretation steht jedoch in einem gewissen Gegensatz zur ansonsten konstatierten relativen Unabhängigkeit der Stadtschulen von der bischöflichen Regierung. Andere Aspekte, beispielsweise Unterrichtsinhalte oder die Verwendung von Schulbüchern und Katechismen der katholischen Reform, die hier weitergeholfen hätten, kann er mangels Quellen nicht berücksichtigen und verweist hier lediglich auf den Rückgang der Bedeutung des Gesangs als Anzeichen gestiegener bürgerlicher Ansprüche auf Praxisnähe. Wichtiges Ergebnis ist aber besonders die Rolle der mentalen Einstellung des Bürgertums zur Bildung für den langfristigen Entwicklungsgang. Die "educational revolution" (Lawrence Stone) im Oberamt Hirschberg ging von den Kommunen aus und lag im 15. Jahrhundert.

Die Studie schließt mit einem Quellenanhang zu den Studienstiftungen sowie umfangreichen Listen zu den ermittelten Studenten aus den drei Untersuchungsorten, aus Plankstetten und den umliegenden Kleinstädten Dietfurt, Ornbau und Abenberg.

Insgesamt liegt mit der Studie Heilers eine methodisch reflektierte und inhaltlich innovative Untersuchung vor, die eigene lokalbezogene Ergebnisse durch die eingestreuten Vergleiche auf eine allgemeinere Ebene zu bringen vermag. Sowohl zur Bildungsgeschichte als auch zur Geschichte der Kleinstädte erbringt die Arbeit reichen Ertrag. Die Kenntnis der Schulentwicklung im Übergang vom Spätmittelalter zur Neuzeit, die Offenlegung wichtiger Grundvoraussetzungen und der Nachweis bildungshistorisch relevanter örtlicher Traditionen für den Ausbau eines nachreformatorischen Schulwesens erweitern unseren Blick auf "moderne" Phänomene wie Bildungssysteme, Karrierewege, institutionelles Lernen und Literalisierung. Die restlichen Studien des Eichstätter Teilprojekts darf man gespannt erwarten.

Redaktionelle Betreuung: Ute Lotz-Heumann

Empfohlene Zitierweise:

Stefan Ehrenpreis: Rezension von: Franz Heiler: Bildung im Hochstift Eichstätt zwischen Spätmittelalter und katholischer Konfessionalisierung. Die Städte Beilngries, Berching und Greding im Oberamt Hirschberg, Wiesbaden: Reichert 1998, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 5, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=162>

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