header

P.G. Maxwell-Stuart (Hg.): Martín Del Rio: Investigations into Magic (= Social and Cultural Values in Early Modern Europe; Bd. 4), Manchester / New York: Manchester University Press 2000, 290 S., ISBN 0-7190-4976-8, £ 45,00

Rezensiert von:
Johannes Dillinger
Fachbereich III, Fach Geschichte, Universität Trier

P.G. Maxwell-Stuarts Ausgabe der "Disquisitionum magicarum libri sex", Martín Del Rios großem Werk über Magie und Hexenprozesse, ist keine Edition nach MGH-Standards, sondern eine stark gekürzte Übersetzung ins Englische. Maxwell-Stuart will die "Disquisitiones" zugänglich machen. Dem Leser soll es ermöglicht werden, zu einer "fair notion of both the argument and the tone of the work as a whole" (24) zu kommen. Den Text Del Rios neu vorzulegen, ist ein wichtiges Vorhaben, das große Aufmerksamkeit verdient: Obwohl es seit Mitte des 18. Jahrhunderts keine Auflage mehr erlebt hat, ist dieses Buch eine der zentralen Quellen der frühneuzeitlichen Hexereidebatte. Der Übersetzung zugrunde gelegt werden die "Disquisitiones" in der Auflage Louvain 1608, weil diese als letzte von Del Rio selbst noch durchgesehen wurde. Inwieweit sich der Text von der ersten Auflage 1599 bis zum Jahr 1608 verändert hat, wird im Editionsteil nicht deutlich, die Einleitung streift das Problem in einer Fußnote (5).

Im Inhaltsverzeichnis der Edition erscheinen nur die sechs Bücher der "Disquisitiones". Die zahlreichen Kapitel, Questiones und Sectiones, in die Del Rio sein umfangreiches und komplexes Werk eingeteilt hat, finden sich nicht wieder. Statt dessen führt Maxwell-Stuart in der Einleitung fast nach Art barocker Inhaltsangaben seitenlang in Stichworten und kurzen Sätzen die Themen der einzelnen Bücher an. Da dieser langen Auflistung keine Seitenzahlen beigegeben sind, ist dieser Service für den Benutzer der Edition nur eingeschränkt nutzbar.

Zur Einführung wird eine kompakte und sehr informative Biografie Del Rios geboten. Die Darstellung der "Disquisitiones" selbst gibt einen kritischen Überblick über ihren Inhalt und verortet sie in der zeitgenössischen Diskussion. Wichtige Fragen bleiben aber offen. Der Herausgeber stellt fest, dass Del Rios Werk zwischen 1599 und 1747 "at least twenty-four times" (8) aufgelegt worden ist, Ort und Jahr dieser Ausgaben werden jedoch nicht aufgeführt. Die Ausgabe Venedig 1747 wird ausdrücklich als die jüngste Auflage der "Disquisitiones" bezeichnet, der in Köln 1755 verlegte Abdruck mit Schweigen übergangen. [1] Die französische Fassung von 1611 [2] bleibt ebenfalls unerwähnt. Das ist insofern bedauerlich, als man in dieser frühen Übertragung in eine Volkssprache möglicherweise Hinweise für die Übersetzung von Del Rios sehr differenziertem lateinischen Ausdruck, die an anderer Stelle richtig als Problem angesprochen wird (24-25), hätte finden können. Die wichtigen Beiträge Petra Nagels zur Del-Rio-Forschung, die nicht nur das fünfte Buch der "Disquisitiones" ins Deutsche übersetzte, sondern auch kritisch deren Bedeutung für die juristische Debatte um das Hexereidelikt insgesamt darstellte, werden ignoriert. [3] Über die Veränderungen, die der Text der "Disquisitiones" nach Del Rios Tod erfuhr, erfahren wir ebensowenig wie über ihre Wirkungsgeschichte.

Die Übersetzung ist sowohl flüssig als auch nahe am lateinischen Text. Das im Original über 1000 Seiten starke Buch Del Rios hat Maxwell-Stuart auf das handliche Format von knapp über 250 Seiten gekürzt. Diesen massiven Eingriff versucht der Herausgeber dadurch abzumildern, dass - abgesehen von wenigen Sätzen geringer inhaltlicher Bedeutung - keine Passage vollständig gestrichen wurde. In Klammern erscheinen kurze Zusammenfassungen der herausgelassenen Textteile, oft wenige Sätze für mehrere Seiten. Del Rios Argumentation bleibt so trotz der umfangreichen Streichungen verständlich. Häufig reduziert sich damit jedoch der Text der Edition auf wenig mehr als ein bloßes Inhaltsverzeichnis: Wer Antworten auf spezifische Fragen sucht, wird anhand von Maxwell-Stuarts Text rasch die relevanten Passagen in Del Rios magnum opus lokalisieren können. Nachlesen muss man diese dann aber nach wie vor im Original. Kürzungen sind bei einem so ausufernden Text wie dem der "Disquisitiones" nur schwer zu vermeiden. Dennoch wäre es falsch zu behaupten, dass diese Kürzungen die Benutzbarkeit der Edition nicht empfindlich einschränkten. Viele der von Del Rio zitierten Werke führt Maxwell-Stuart in Anmerkungen auf und versieht sie mit biografischen Kurzinformationen zum jeweiligen Autor. Zahlreiche andere Hinweise Del Rios auf die von ihm benutzte Literatur werden jedoch ersatzlos gestrichen. Eine rechts- und theologiehistorische Auswertung des Textes wird damit schwierig. Problematisch erscheint diese editorische Praxis insbesondere, weil der Herausgeber gerade Del Rios souveräne Vertrautheit mit juristischer und theologischer Literatur als eine der Stärken der "Disquisitiones" hervorhebt (1, 21). Am schwersten dürfte die Motivforschung unter den Kürzungen leiden. Maxwell-Stuart hat einen großen Teil von Del Rios Exempla entfernt. Damit scheint das Ziel der Edition, dem Leser "a fair notion of both the argument and the tone of the work as a whole" (24) zu vermitteln, gefährdet. Der große Reichtum an Exempelerzählungen und detaillierten Schilderungen ist eines der Charakteristika der "Disquisitiones". Auch wenn Streichungen in diesem Bereich unerlässlich sind, hätte doch jeweils in einer Anmerkung auf die einschlägigen Passagen in Edda Fischers Buch zu Del Rios Exempelerzählungen, das Maxwell-Stuart an anderer Stelle zitiert, hingewiesen werden können. [4]

Dem Band ist ein umfangreiches und zuverlässiges Sach- und Personenregister beigegeben. Eine kurze Literaturliste führt großenteils neueste Publikationen zu Martín Del Rio und seinem Umfeld im Jesuitenorden an. Ein Verzeichnis der von Del Rio zitierten Literatur fehlt.

Das Konzept der Neuausgabe der "Disquisitiones" ist problematisch. Das riskante Unternehmen einer gekürzten Übersetzung auf sich genommen zu haben ist zweifellos ein großes Verdienst des Herausgebers. Zur Orientierung und um die dämonologische Debatte an einem ihrer wichtigsten Texte kennenzulernen, ist Maxwell-Stuarts Ausgabe von Del Rios Hauptwerk zu empfehlen. Die Forschungsdiskussion um den prominenten, aber vernachlässigten Autor Martín Del Rio hat einen großen Anstoß erhalten.

Anmerkungen:

[1] Martin Del Rio: Disquisitionum magicarum libri sex: quibus continetur accurata curiosarum artium & vanarum superstitionum confutatio, utilis theologis, iuris-consultis, medicis, philologis, Köln 1755. Diese Ausgabe wurde verlegt bei Huisch. Exemplare in der Bayerischen Staatsbibliothek, der UB München und der UB Augsburg.

[2] Martin Del Rio: Les controuerses et recherches magiques ... traduit ... par André du Chesne, 2 Bde., Paris 1611.

[3] Petra Nagel: Die Bedeutung der "Disquisitionum magicarum libri sex" von Martin Delrio für das Verfahren in Hexenprozessen, Frankfurt a. M. 1995. Übersetzung des fünften Buches 'De officio iudicum', 161-353.

[4] Vgl. Edda Fischer: Die 'Disquisitionum magicarum libri sex' von Martin Delrio als gegenreformatorische Exempelquelle, Diss. masch. Frankfurt a. M. 1975.

Redaktionelle Betreuung: Gudrun Gersmann

Empfohlene Zitierweise:

Johannes Dillinger: Rezension von: P.G. Maxwell-Stuart (Hg.): Martín Del Rio: Investigations into Magic, Manchester / New York: Manchester University Press 2000, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 5, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=166>

Bitte setzen Sie beim Zitieren dieser Rezension hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse ein.

footer