header

Jürgen-Michael Schmidt: Glaube und Skepsis. Die Kurpfalz und die abendländische Hexenverfolgung 1446-1685 (= Hexenforschung; Bd. 5), Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2000, 510 S., 1 Karte, ISBN 3-89534-318-8, DM 88,00

Rezensiert von:
Walter Rummel
Landeshauptarchiv Koblenz

Darauf haben wir gewartet: Auf eine Untersuchung zum Thema Hexenverfolgung, die einmal vom umgekehrten Ende her ansetzt, nämlich mit der Frage, ob die Kurpfalz denn wirklich inmitten einer Zone dichtester Hexenverfolgungen davon weitgehend frei geblieben ist, und, wenn ja, warum dies möglich war. Die Antwort wird mit Spannung erwartet: Denn wenn der Nachweis erbracht wird, dass Hexenprozesse trotz der Wucht des Dogmas im großen Stil verhindert werden konnten, muss dies die Behauptung erschüttern, dass alle, die damals für Verfolgungen eintraten, gleichsam historisch im Recht waren, während noch der mit den Opfern sympathisierende Historiker sich dem Vorwurf ausgesetzt sieht, ahistorisch zu argumentieren.

Jürgen Michael Schmidt ist beides gelungen: Mittels akribischer Spurensuche und -auswertung die Feststellung, dass die Kurpfalz nach anfänglicher Vorreiterrolle im 15. Jahrhundert dann in den klassischen Verfolgungsperioden des späten 16. und 17. Jahrhundert trotz heftigster Impulse von außen und innen von Hexenprozessen frei geblieben ist, und zum zweiten mittels einfühlsamer Interpretation der Nachweis, dass diese Abstinenz einer grundsätzlichen Entscheidung - mit freilich komplexer Motivation - zu verdanken war. Doch was bedeutet es im Einzelnen?

Zum ersten: Jeder Versuch, sich der Frage zu nähern, in welchem Ausmaß die Kurpfalz von Hexenprozessen betroffen war, steht dem Problem der Quellenlage gegenüber. Diese wirft mit ihrer ganzen Dürftigkeit die grundsätzliche Frage auf, ob das Wenige, was noch an Hinweisen feststellbar ist, überhaupt repräsentativer Spiegel damaliger Verhältnisse ist oder vielleicht nur ein Teil einer verloren gegangenen Dokumentation, welche als Ganzes das genaue Gegenteil belegen könnte, wenn es sie nur gäbe. Für Kurtrier etwa kann aus der Qualität der wenigen Überbleibsel eben dieser Schluss gezogen werden; für die Kurpfalz gelingt Schmidt überzeugend der Nachweis des Gegenteils: dieses Territorium war ein weitgehend verfolgungsfreies Gebiet. Das zeitgenössische Lob, welches der große Kritiker Johann Weyer der Kurpfalz schon 1564 in der 2. Auflage seines Werkes "De praestigiis daemonum" widmete - hier gelte der Leitspruch, es sei besser, zehn Schuldige ungestraft zu lassen, als einen Unschuldigen zu bestrafen -, bestand offenbar zu Recht!

Letzteres ergibt sich aus der zweiten Befundebene von Schmidts Untersuchung, den spezifischen Inhalten der noch zugänglichen Quellen. Die Kurfürsten von der Pfalz waren spätestens ab Friedrich II. (1544-1556) dezidierte Verfolgungsgegner (im verwandten Haus Pfalz-Zweibrücken ist diese Haltung bereits 1532 vom Reformator Schwebel expressis verbis propagiert worden). Schmidt kann dies aus einer Vielzahl politischer Aktionen, persönlicher Äußerungen und im Umfeld der Herrscher vertretenener Auffassungen (Hofrat und Heidelberger Universität sind hier zu nennen) sowie anhand einer historischen Gegenprobe - Hexenprozesse während der bayerischen Interimsherrschaft des 30jährigen Krieges - so überzeugend heraus arbeiten, dass man sich fast verwundert fragt, warum denn so viele umliegende Territorien angesichts dieser Möglichkeiten zur "anderen" Sichtweise das genaue Gegenteil praktiziert oder zumindest zugelassen haben. Und dabei war die Kurpfalz hinsichtlich Rezeption und Anwendung der neuen gelehrten Hexenlehre des späten 14. und frühen 15. Jahrhunderts führend gewesen, das heißt, sie rückte davon wieder ab, als andere Territorien sich ihr so richtig zu öffnen begannen.

Darum interessiert am meisten, was Schmidt als Ursachen für diese beeindruckend konsequente Haltung der Kurpfalz - und zwar von der Spitze bis herunter zu den meisten ihrer Beamten (Ausnahmen 477) - zu berichten hat. Auf Stichworte gebracht, heißt dies:

- tiefe Einbettung in den religiösen Gesamtdiskurs, in dessen Konsequenz die Verabschiedung von den mosaischen Gesetzen stattfindet, und damit auch von Exodus 22, dem argumentativen Grundaxiom aller Verfolgungsbefürworter (64 f.);
- kräftiges Nachwirken einer humanistischen Tradition, welche in ihrer Anwendung auf das Religiöse zwar nicht den Verzicht auf Disziplinierung bedeutete, aber das Bekenntnis, diese auf dem Wege der Mission und nicht durch Folter und Scheiterhaufen durchzusetzen; hartnäckigen Renitenten drohte schlimmstenfalls der Landesverweis;
- unbeirrbares Festhalten am "processus ordinarius" und damit an einer Rechtsform, welche dem Angeklagten nach den Maßstäben der damaligen Zeit ein Maximum an nicht einschränkbaren Rechten gegenüber einer Anklage einräumte.
- eine förmliche Reihe formidabler Persönlichkeiten, die auf der Basis humanistisch gefärbter Theologie und Jurisprudenz eindeutig gegen Hexenprozesse und andere Formen drakonischer Bestrafung von verwandten Delikten Stellung bezogen: Herrscher, Kanzleivorsteher (Christian Probus), Juristen (Franz Balduin), andere Mitglieder der Universität Heidelberg (am radikalsten der Graecist und Mathematiker Hermann Witekind), deren reformierte Theologen zeitweise durchaus der härteren Richtung folgten, damit eine um so heftigere Behauptung der Juristen hervorriefen, bis dann der reformierte Geistliche Anton Prätorius auch "die Wende in der Kirchenleitung" zustande brachte.

Weiter, weniger spezifisch, sondern auch in Analogie zu anderen Territorien:

- eine fundamentale Kontroverse (zwischen Theologen und Juristen: Hofrat), mit entsprechendem literarischen Niederschlag bzw. Kodifizierung ( Witekind und Prätorius)
- eine durchsetzungsfähige politische Zentrale in Gestalt der Heidelberger Kanzlei bzw. des Oberrats.
- Verwicklung in eine Vielzahl von Streitigkeiten mit verfolgungswütigen Adligen, denen gegenüber die Kurpfalz schon aus Gründen der Staatsräson mit aller Kraft gegenübertrat.

Insgesamt gibt Schmidt der idealistischen Komponente die Ehre, primär den grundrechtlichen Boden zumindest für den alternativen juristischen, religions- und sittenpolizeilichen Umgang mit Hexereianklagen und magischer Praxis konstituiert zu haben. Doch die eben genannten politischen Faktoren (ver)führen den Rezensenten zu einer Überlegung, welche auf einen systemischen Zusammenhang hinter dem kurpfälzischen Sonderweg hinweisen könnte. War der kurpfälzische "Sonderweg" nur die Folge einsichtsvoll und humanistisch wirkender Menschen? Der möglicherweise nahe liegende Vorwurf, der Autor würde ein romantisches Paradigma konstruieren, fiele in sich zusammen, wenn das Politische in der kurpfälzischen Haltung nachzuweisen wäre. Denn es fällt auf, dass eine vergleichsweise große Zahl kurpfälzischer Hexenprozessbetreffe solche Aktionen waren, in denen sich Kurfürst oder Hofrat für kurpfälzische Untertanen engagierten, die sich in den Fängen verfolgungswütiger Adliger benachbarter Herrschaften befanden. So sehr dies die Folge einer grundsätzlich verfolgungsfeindlichen Handlung gewesen sein mag, so sehr könnte ebenso aus jenen Anlässen eine solche sich erst verfestigt haben. Der systemische Zusammenhang, welcher die Elemente spezifischer Denktraditionen mit denen des politischen Interesses einte, wäre demzufolge: Die Kurpfalz war trotz starker Zentrale ein zerrissenes Territorium, umgeben und zum Teil verwoben mit zahlreichen Adelsherrschaften, für deren Inhaber - langfristig die Verlierer im Prozeß der landesherrlichen Verdichtung - Hexenprozesse bekanntlich ein probates Mittel waren, ihre Rechtsposition zu demonstrieren. So betrachtet, hatten Kurfürst, Hofrat und teilweise auch die Amtmänner guten Grund, schon wegen der Staatsräson an jenen großen Traditionen des Territoriums, welche Hexenprozessen ablehnend gegenüberstanden, festzuhalten. Das Festhalten daran, gegen den allgemeinen Trend, wurde ihnen durch das widerspruchsfreie Zusammengehen der einzelnen Diskursebenen möglich gemacht.

Falls eine solche, die 'edlen' Motive der Handelnden etwas zurechtrückende Einschätzung, richtig sein sollte, sie würde nichts daran ändern, dass die kurpfälzische Haltung ein Lichtblick in der Verfolgungsbereitschaft jener Zeiten war. Wenn der zeitweise in kurpfälzischen Diensten tätige Jurist Balduin (1520-1573) gerade von den Richtern größte Vorsicht bei Hexereianklagen forderte, weil sie unter den Bedingungen fanatischer Verfolgungswut die Missachtung von Rechtsregeln förderten und damit verschleierten, dass betrügerische Ankläger mit falschen Indizien ihre persönlichen Feinde auf den Scheiterhaufen zu bringen suchten, dann kann der Historiker dies nicht als bloße Rhetorik abtun, nur um den edlen Wilden vor Verunglimpfung zu schützen.

Wir verdanken Schmidt eine umfassend recherchierte und gut geschriebene Arbeit mit einer Fülle von zeitgenössischen Aussagen, die sich kritisch vom allgemeinen Trend absetzen und die es wert sind, nicht in Vergessenheit zu geraten. Geschichte und Politik ist immer auch das Ringen um die Alternative.

Redaktionelle Betreuung: Gudrun Gersmann

Empfohlene Zitierweise:

Walter Rummel: Rezension von: Jürgen-Michael Schmidt: Glaube und Skepsis. Die Kurpfalz und die abendländische Hexenverfolgung 1446-1685, Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2000, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 5, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=170>

Bitte setzen Sie beim Zitieren dieser Rezension hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse ein.

footer