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Olav Moorman van Kappen / Dieter Wyduckel (Hg.): Der Westfälische Frieden in rechts- und staatstheoretischer Perspektive (= Rechtstheorie 29 (1998); Heft 2), Berlin: Duncker & Humblot 1999, 122 S., ISBN 3-428-09746-7, DM 45,00

Rezensiert von:
Michael Kaiser
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Das 350jährige Jubiläum des Westfälischen Friedens ist zu einem "europäischen Medienereignis" (H. Duchhardt) geworden, das vor allem von Frühneuzeithistorikern begangen wurde. Auch für die Johannes-Althusius-Gesellschaft ist dies ein Anlaß gewesen, sich mit der Bedeutung und den Wirkungen der Friedensschlüsse von 1648 auseinanderzusetzen. Die Beiträge vor allem von Verfassungs- und Völkerrechtlern, die auf einem Dresdner Symposium vom 28./29. November 1997 gehalten wurden, sind im hier anzuzeigenden Band abgedruckt.
Zum Auftakt (S. 141-152) stellt Rudolf Hoke in Fortführung früherer Studien die Bedeutung der reichsständischen Reichspublizistik für den dualistischen Verfassungszustand des Alten Reiches heraus, der weder zugunsten der monarchischen noch der aristokratischen Option aufgelöst, sondern bis zum Ende des Reichs beibehalten wurde. Die Reichspublizistik hat diesem Zustand überhaupt erst eine theoretische Grundlage verschafft, damit aber auch zu seiner Bewahrung beigetragen. Vor allem die Konzeption Limnaeus', gründend auf der Theorie von der realen und personalen Majestät und vor allem von Althusius inspiriert, wird in dieser Hinsicht untersucht.

Thomas O. Hüglin will in seinem Beitrag (S. 153-173) keineswegs nur Licht in das Dunkel des 17. Jahrhunderts bringen. Vielmehr versucht er, in der politischen Theorie des Althusius einen Ansatz für, wie er es nennt, die "spätmoderne" politische Theorie und ihre Gestaltung herauszuarbeiten. Damit stellt er sich gewissermaßen in einen Gegensatz zu dem Jubiläumsanlaß: Der Westfälische Frieden und das sich daraus ableitende "westfälische System" habe vor allem der zentralstaatlichen Entwicklung den Weg gewiesen. Diese sei aber nun in eine Krise geraten; Neuorientierung tue not. Diese bietet nach Hüglin die föderale Konzeption Althusius', die unter den Stichworten des Föderalismus, des Gesellschaftsvertrags und der Volkssouveränität untersucht wird. Ab dem späten 17. Jahrhundert verkörperte Althusius lediglich eine Gegentradition im westlichen politischen Denken, doch erscheinen seine "prä-etatistischen", also noch vor der Durchsetzung des zentralstaatlichen Systems entwickelten Ideen eben auch "post-etatistisch" und können somit für eine "post-westfälische Welt" eine neue Aktualität gewinnen.

Dem Frieden von Münster, also dem Vertragswerk zwischen den Niederlanden und der Krone Spaniens, widmet sich Cornelis G. Roelofsen (S. 175-188). Für die Frage der niederländischen Unabhängigkeit war von Beginn an die konfessionelle Frage von großer Bedeutung. Daß die spanische Krone 1609 den Status einer Garantiemacht für niederländische Katholiken beansprucht hatte, war für die Niederlande mit der angestrebten Souveränität unvereinbar gewesen; 1609 kam daher nur ein "befristeter Frieden" (S. 181) zustande. Genau an dem Punkt der Konfessionsfrage mußte Spanien dann 1648 nachgeben, als sich die Machtkonstellation noch weiter zugunsten der Republik verschoben hatte. Die angestrebte Souveränität wurde somit im Kirchenregiment manifest und öffnete damit den Weg zur Lösung der territorialen Fragen und der wechselseitigen völkerrechtlichen Anerkennung. Roelofsen weist auf die Parallele zur Situation im Reich hin: So wie die Territorien ihre Landeshoheit durch das Kirchenregiment zum Ausdruck gebracht hätten, haben auch die Niederlande das Prinzip des "Cuius regio, eius religio" beansprucht, um ihre völkerrechtliche Souveränität zu verdeutlichen.

Heinhard Steiger untersucht dann (S. 189-209) die Friedenskonzeption des westfälischen Friedensschlusses anhand einer Analyse der den ersten Vertragsartikel eröffnenden Friedensformel "Pax sit christiana, universalis et perpetua" sowie der diesen Passus im weiteren prägenden Kernbegriffe "pax" und "amicitia". Er erkennt darin sowohl eine aus dem Herkommen abgeleitete Begrifflichkeit, die angesichts der europäischen Dimension des Konflikts um den Rückgriff auf einen gemeinsamen Nenner bemüht war (christianitas), kann aber auch ins Neue weisende Elemente wie Sicherheit und Garantie darin feststellen. Der begriffsanalytische Ansatz bezieht neben der Diskussion der westfälischen Verhandlungen selbst vor allem eine Fülle von anderen, früheren Friedensschlüssen mit ein. Ergänzend, weil auch die Wirkungen auf folgende Vertragswerke beleuchtend, sei auf Steigers ausführlichen Artikel im HZ-Beiheft 26 verwiesen.

Dieter Wyduckels Beitrag (S. 211-234) hat einige inhaltliche Überschneidungen mit seinem allerdings sehr viel gedrängteren Aufsatz im Katalog zur Münsteraner Europaratsausstellung. Er ordnet den Westfälischen Frieden in die rechts- und staatstheoretische Entwicklung insgesamt ein, indem er die staatsrechtliche Diskussion der Jahrzehnte vor dem Frieden, die Ergebnisse des Friedensschlusses selbst und die Positionen in der Phase nach 1648 betrachtet. Als Schlüsselbegriff erscheint zunächst der Souveränitätsbegriff, der mit Blick auf die rechtlichen und politischen Strukturen des Reiches nun nicht in der Bodinschen Variante, sondern in der des Althusius von Bedeutung war. Insbesondere mit Blick auf die Lehre von der doppelten Souveränität und der Begrenzung herrschaftlicher Gewalt griff die Reichspublizistik eher auf die Ansätze bei Althusius zurück, dessen Theorie zudem den "föderale(n) Züge(n)" des Reiches (S. 221) entgegenkam. Wyduckel sieht zumindest mittelbaren althusischen Einfluß auch im Vertragswerk von 1648, betont dabei die "in den territorialen Bereich hineinwirkende rechtliche und politische Tiefenwirkung", so daß man den Westfälischen Frieden keinesfalls als nur die fürstliche Landeshoheit begünstigende Ordnung betrachten dürfe (S. 226). Nach 1648 bestimmt die Frage nach dem Status des Reiches die Diskussion, wobei zunächst Pufendorf die Schlagworte lieferte, während die politische Theorie des Althusius ebenso wie die Lehre von der doppelten Souveränität in die Defensive gerieten.

Zum Schluß stellt Ansgar Hense in Auszügen die Vertragstexte vor. Das IPM und IPO werden dabei als ein Friedensschluß behandelt; die Gliederung folgt dabei dem IPO, ohne daß synoptisch die differierenden Artikel- resp. Paragraphenangaben des IPM angegeben sind. Hinzu tritt noch die Dokumentation des Friedens von Münster zwischen den Niederlanden und Spanien (Art. I und LIII). Den lateinischen Originalen ist eine deutsche Übersetzung an die Seite gestellt. Als Textgrundlage wurden die älteren Ausgaben wie Zeumer, Hanns Hubert Hofmann (Freiherr-vom-Stein-Gedächtnis-Ausgabe) und C. Parry, Consolidated Treaty Series, zugrunde gelegt. Für den Westfälischen Frieden sei auf die nun mustergültige Edition des IPO und des IPM verwiesen, die die älteren Ausgaben ersetzt. Sobald ein Dokument nur auszugsweise präsentiert wird, ist die Diskussion über die wirklich relevanten Passagen kaum zu vermeiden. Doch auch wenn man dabei jedem das Recht auf eine eigene Schwerpunktsetzung zubilligt, stellt sich die Frage, warum Art. II IPO (= § 2 IPM) oder Art. XVII § 3 IPO (= § 113 IPM) nicht aufgenommen sind. Denn mit den Prinzipien der Amnestie und der Gültigkeit des Vertragswerks gegenüber früheren, konkurrierenden Rechtstitel fehlen zwei wesentliche Aspekte des Friedensschlusses, die zudem im vorhergehenden Beitrag von H. Steiger behandelt werden (vgl. S. 193 f. und S. 195) und zu denen auch deswegen eine Textdokumentation gut gepasst hätte.

Anders als in den sonstigen Publikationen zum Jubiläum spielen in diesen Beiträgen Leistung und Bedeutung von Hugo Grotius keine dominante Rolle. Dies läßt sich in gewissem Maße damit erklären, daß eben die Althusius-Gesellschaft den organisatorischen Rahmen für diese Arbeiten geschaffen hat. Ohnehin rückt gerade der Blick auf das Reich eher Namen wie Althusius und Limnaeus in den Mittelpunkt. Man kann diese Sichtweise ohne weiteres als berechtigt ansehen, doch lassen andere Aspekte eher Vorbehalte aufkommen. So münden Wyduckels Ausführungen in der Feststellung, daß angesichts der schwindenden staatlichen Souveränität und Steuerungskapazität heutzutage "die komplizierte und widerspruchsvolle rechtliche und politische Struktur des Alten Reiches, die aufs engste mit dem System des Westfälischen Friedens verknüpft ist (...), wieder näher (rückt)" (S. 234). Auch wenn Wyduckel hier analoge Problemlagen sieht, geht er nicht so weit, von einer neuen Aktualität der im Alten Reich zum Ausdruck gebrachten rechtlichen und politischen Struktur zu sprechen. Dies geschieht jedoch noch viel eindeutiger beim Politologen Hüglin, dessen Anliegen es geradezu ist, das althusische Konzept "für die Konzeptualisierung einer post-westfälischen politischen Theorie jenseits des Staates fruchtbar" zu machen (S. 153). Er selbst schränkt seine Ausführungen insofern ein, als daß Althusius' Rolle zunächst in einer "geschichtlichen Versicherung" bestehe, derzufolge es Alternativen zum Etatismus gäbe (S. 167). Auch wenn der Autor also keineswegs eine naive Transformation eines politischen Modells aus dem 17. Jahrhundert vornimmt, bleibt es ein kühnes Unterfangen, daß der explizite Bezugspunkt von Hüglins Ausführungen die Theoriediskussion um die Europäische Union darstellt. Dabei ist ein gewisser Schematismus erkennbar, wie bereits der Begriff des "westfälischen Systems" deutlich werden läßt. Dieser ist für Hüglin das Schlagwort, um die Entstehung und vor allem den Durchbruch der modernen Staatssouveränität nach 1648 zu bezeichnen (und letztlich das etatistische Zeitalter einzuleiten, das nun in eine Krise, wenn nicht an sein Ende gekommen ist). Allerdings ist der Terminus dafür nur bedingt geeignet. Erst kürzlich hat H. Duchhardt seine Bedenken hinsichtlich der Tragfähigkeit dieses Begriffes - auch im Reflex auf die Wissenschaftserträge des Jubiläums - vorgebracht.

Freilich ist dies nicht nur ein (notwendiger) Streit um Begriffe und deren Definition. Vielmehr steht dahinter die Frage, was die Frühneuzeit insgesamt auf aktuelle Fragen für Antworten zu offerieren vermag, und insbesondere das Jubiläum von 1648 scheint in besonderem Maße für einen solchen Brückenschlag in die Gegenwart geeignet zu sein. Doch H. Duchhardt hat an anderer Stelle noch einmal der Friedenskonzeption von 1648 eine Vorläuferrolle etwa für die Europäische Union explizit abgesprochen und überhaupt dem Streben nach einer aktuellen Funktionalisierung des historischen Ereignisses eine Absage erteilt. Andererseits hat gerade vor dem Hintergrund solcher Bemühungen J. Burkhardt für die Frühe Neuzeit das Recht eingeklagt, "politisch interessant zu sein", womit auch das Recht, relevant zu sein, impliziert sein dürfte. Die Gegenposition hat in dem Fall P. Münch eingenommen, der dem Sog des "Euro-Überschwang(s) des ausgehenden Jahrtausends" mit Mißtrauen begegnet. Die warnenden Stimmen Duchhardts und Münchs sind aus (frühneuzeit)historischer Perspektive durchaus berechtigt. So bleibt am Ende die schwierige Frage, ob Ansätze wie die bei Hüglin und auch Wyduckel, die Impulse über das engere Fachinteresse hinaus zu geben und den Stellenwert von historischen Phänomenen in aktuellen Diskussionen zu heben bemüht sind, in besonderem Maße zu unterstützen oder gar aufzugreifen sind.

Empfohlene Zitierweise:

Michael Kaiser: Rezension von: Olav Moorman van Kappen / Dieter Wyduckel (Hg.): Der Westfälische Frieden in rechts- und staatstheoretischer Perspektive, Berlin: Duncker & Humblot 1999, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 2, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=20>

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