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Hubert Wolf (Hg.): Inquisition, Index, Zensur. Wissenskulturen der Neuzeit im Widerstreit (= Römische Inquisition und Indexkongregation; Bd. 1), Paderborn: Schöningh 2001, 320 S., ISBN 3-506-77670-3, € 46,40

Rezensiert von:
Johannes Dillinger
Fachbereich III, Fach Geschichte, Universität Trier

1998 öffnete der Vatikan bekanntlich die Archive der "Hl. Römischen und Universalen Inquisition" und der Indexkongregation. Das DFG Projekt "Römische Inquisition, Indexkongregation und Imprimatur" unter Leitung von Hubert Wolf in Münster und das DFG Forschungskolleg "Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel" [1], geleitet von Johannes Fried in Frankfurt, haben sich die Auswertung der damit neu verfügbar gewordenen Quellen zur Aufgabe gemacht. In dem Band "Inquisition, Index, Zensur. Wissenskulturen der Neuzeit im Widerstreit" werden die Beiträge zu einem Symposium, das vom 15. bis 18. Mai 2000 an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt stattfand, abgedruckt. Sie präsentieren erste und zum Teil richtungsweisende Ergebnisse der beginnenden Aufarbeitung des Schriftguts der kirchlichen Überwachungsbehörden. Die Unterlagen der 1542 eingerichteten römischen Inquisition und der von 1571 bis 1967 tätigen Indexkongregation bergen nicht nur die Chance, Aufbau und Funktion dieser Institutionen selbst zu rekonstruieren. Der Kampf der Inquisition gegen Heterodoxien und der Versuch der Indexkongregation, den explodierenden Buchmarkt zu überwachen, können als Geschichte konflikthafter Wissenskultur und -kontrolle sowie (negativer oder paradoxer) Kommunikationsprozesse betrachtet werden.

Das Programm des Bandes bringt es selbstredend mit sich, dass, obwohl im Untertitel explizit von "Wissenkulturen im Widerstreit" die Rede ist, in den Artikeln nur implizit - und nur aus der Perspektive von Indexkongregation und Inquisition - auch deren Gegner und ihr Kampf gegen die Kontrollbehörden angesprochen werden. Obwohl die Arbeiten sehr unterschiedliche Aspekte der Geschichte von Index und Inquisition beleuchten, zerfasert der Sammelband nicht zu einem Sammelsurium von Texten zu Einzelfragen. Der Band präsentiert einen Überblick über aktuelle Fragestellungen, strukturiert in vier einfache und aufeinander bezogene Rubriken. In der ersten Rubrik, die als Einführung die ersten Beiträge zur Frankfurter Tagung wiedergibt, finden sich neben einer allgemeinen Hinführung von Fried auch knappe Adressen von Kardinal Lehmann und Kardinal Ratzinger. Diese kurzen Bemerkungen durchaus unterschiedlicher Vertreter des katholischen Klerus sind angesichts der Aufmerksamkeit, die die Öffnung des Archivs auch bei historisch nicht Interessierten vorübergehend erregte, als Stellungnahmen der Kirchenleitung auch in einer geschichtswissenschaftlichen Publikation nicht unangemessen.

Hubert Wolf befasst sich in seinem Beitrag mit der Reform des Index im Jahr 1900. Er weist dabei stringent nach, dass die Reformarbeit ihren Ausgang von einer kritischen historischen Darstellung des Index durch den deutschen Altkatholiken Reusch nahm. Diese wurde, als sie ihrerseits zur Zensur der Indexkongregation vorgelegt worden war, durchaus nicht verdammt, sondern als Richtlinie einer umfassenden Neugestaltung des Index akzeptiert. Die Revisoren setzten sich dabei nachdrücklich dafür ein, die Tätigkeit der Indexkongregation endlich offiziell auf die Bewertung theologischer Schriften einzuschränken. Die längst anachronistische Fiktion des katholischen Wissensmonopols wurde fallen gelassen zu Gunsten des allerdings nur wenig realitätsnäheren Anspruchs, Katholiken bei der Benutzung theologischer Publikationen zu reglementieren.

Die zweite Rubrik befasst sich unter der Überschrift "Grundlagen" mit der Überlieferungssituation des Inquisitionsarchivs und dem Personal, das die Institutionen Index und Inquisition funktionsfähig hielt. Diese "Grundlagen" sind hier nicht nur als Basiswissen zu verstehen, das einen leichteren Zugang zu den beiden Behörden und ihrem Schriftgut gewährleisten soll, sondern vielmehr als Grundlagenforschung: Alejandro Cifres befasst sich mit einem zentralen Desiderat, nämlich der Erforschung der Geschichte des Inquisitionsarchivs selbst. Er geht dabei ein auf die gegenwärtigen Bemühungen, trotz wiederholter massiver Störungen der Beständeordnung, trotz der Verluste durch Kassationen und der Verschleppung des Archivs unter Napoleon die Ordnung zu rekonstruieren, die das Archiv im 18. Jahrhundert besaß.

John Tedeschi bietet eine Überblicksauswertung von Inquisitionsarchivalien, die nach der napoleonischen Plünderung auf den Markt gelangt waren und vom Trinity College in Dublin erworben wurden. Es handelt sich bei diesen Unterlagen größtenteils um Aktenmaterial lokaler Inquisitionsgerichte. Hermann Schwedt gibt einen ersten Überblick über den Versuch einer behördengeschichtlichen Einordnung und prosopographischen Erfassung der 3300 Personen, die von 1542 bis zur Einführung des Codex Iuris Canonici 1917 in den römischen Kongregationen von Inquisition und Index arbeiteten. Trotz eines Minimums an festem Personal erzielten beide Gremien hohe Effektivität durch Vergabe von Aufträgen an auswärtige Gutachter und Dienstleister.

In der dritten Rubrik wird die Tätigkeit der Inquisition, des "Sacrum Officium", an konkreten Beispielen untersucht. Peter Schmidt behandelt den Umgang der Inquisition mit Personen, die mit ihrem zentralen Auftrag, der Schaffung eines konfessionell einheitlichen Raumes, direkt in Konflikt gerieten: nicht-katholischen Vertretern internationaler Handelsorganisationen in von der Inquisition überwachten Territorien. Wenn die Protektion der lokalen Herrschaft die Händlerelite nicht von vornherein dem Zugriff der Kirchenbehörde entzog, wendeten diese häufig schlicht dadurch die Aufmerksamkeit der Inquisitoren von sich ab, dass sie sich stillschweigend an ihre katholische Umwelt anpassten. Andere richteten sich unter dem Druck von Inquisition und protestantischem Herkunftsmilieu in einer faktischen Bikonfessionalität ein, die ihren Geschäftsinteressen dienlich war. Große Handelshäuser reagierten auf konfessionelle Repressalien durch eine entsprechende Differenzierung ihrer Struktur: Sie gingen enge Kooperationen mit Partnern der jeweils vor Ort herrschenden Kirche ein.

Massimo Firpo deckt bei seiner Analyse des Inquisitionsverfahrens gegen Pietro Carnesecchi Schwächen der Überwachungsbehörde auf. Der Versuch der Inquisitoren, durch das Verhör Carnesecchis mehr über die "Spirituali" herauszufinden, scheiterte letztlich an ihrem eigenen Bemühen, dessen Aussagen einem schablonenhaften Vorverständnis anzupassen. Die Richtung, in die weitere Ermittlungen gehen konnten, wurde darüber hinaus von politischen Rücksichten des Vatikans diktiert.

Mit dem wohl bekanntesten Inquisitionsverfahren, dem Prozess gegen Galilei, befasst sich Francesco Beretta. Die ungewöhnlich harte Reaktion Roms erklärt Beretta damit, dass Galileis "Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme" die päpstliche Druckerlaubnis unter der Bedingung erhalten hatte, dass die kopernikalische Lehre als Hypothese - ja, mit Blick auf die göttliche Allmacht jedes naturwissenschaftliche Argument als rein hypothetisch - dargestellt würde. Da Galileis Schrift schließlich zur Streitschrift für Kopernikus' Weltbild geriet, das schon 1616 als glaubenswidrig verurteilt worden war, konnte die Anklage wegen Häresie nicht mehr ausbleiben. Urban VIII. nutzte die Gelegenheit, die Macht der Inquisition neu zu inszenieren, indem er anordnete, dass die Verurteilung Galileis allen Mathematikern und Philosophen bekannt zu machen sei.

Rainer Decker befasst sich einmal mehr mit der Rolle der römischen Inquisition bei der Hexenverfolgung. Es gelingt ihm nachzuweisen, dass die vergleichsweise milde, der Rechtssicherheit verpflichtete Hexenprozessordnung der Inquisition bereits um 1600 entstand, also etwa 30 Jahre älter ist als bisher angenommen. Decker kann nachweisen, dass die Instruktion konkreten Einfluss auf Hexenprozesse vornehmlich in Italien, jedoch auch in der Eidgenossenschaft und im Reich bis hin nach Danzig gewann. Albrecht Burkardt befasst sich mit einer Familie von Kräuterheilern, die die Aufmerksamkeit der Inquisition auf sich zogen, da sie von sich behaupteten, ein Heiliger habe ihnen ihre Fähigkeiten verliehen. Burkardts Versuche, diese Familie mit Ginzburgs Benandanti parallel zu setzen, wirken allerdings bemüht und tragen kaum etwas zum Verständnis des Phänomens bei.

Die vierte Rubrik thematisiert schließlich den Index und die Indexkongregation. Jesús Martínez de Bujanda stellt detailliert dar, wie die Aufgabe der Buchzensur jahrzehntelang durch die römischen Institutionen wanderte, bis sie bei der Indexkongregation ihre Heimat fand.

Einer der Höhepunkte des Bandes ist der Beitrag von Ugo Baldini. Baldini untersucht das Verhältnis von Inquisition und Index zu den Naturwissenschaften zwischen 1559 und 1808. Es geht ihm dabei nicht um eine weitere Fallstudie, sondern darum, allgemeine Aspekte und große Entwicklungslinien sichtbar zu machen. Baldini erarbeitet hierzu eine umfassende Definition des noch offenen Begriffs "Naturwissenschaft". Zwei Übersichten verzeichnen chronologisch die 124 konkreten Verbote von wissenschaftlichen Werken oder Fragestellungen sowie die Angriffe der Zensur auf sich neu etablierende große Forschungsfelder. Dass die Indexkongregation selbst Schlüsselautoren, deren Werke ihrer Verbotskasuistik entsprochen hätten, ignorierte, erklärt Baldini nicht nur mit dem Verweis auf den rasch wachsenden Buchmarkt und die unzureichende Organisation der Überwachungsbehörde. Die Indexkongregation versuchte selbst, ihre Maßnahmen in einer Weise zu filtern und dosieren, von der sie sich den größtmöglichen Effekt erhoffte, ohne politische Verwicklungen zu riskieren oder indirekt, wenn die Sinnlosigkeit eines Verbotsversuchs ganz offensichtlich war, die eigene Machtlosigkeit zu demonstrieren.

Baldini provoziert: Das Vorgehen der Zensoren gegen bestimmte naturwissenschaftliche Forschungsrichtungen habe nichts mit einer wissenschaftsfeindlichen Grundhaltung zu tun. Vielmehr habe man wissenschaftliche Schriften indiziert, deren empirische Grundlagen tatsächlich noch zweifelhaft waren oder die versuchten, soziale und religiöse Konsequenzen aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu ziehen.

Maria Passarelli und Claus Arnold liefern Fallbeispiele für die Arbeit der Indexkongregation. Passarelli untersucht textnah die subtile Expurgation von Fornaris Kommentar zum "Orlando Furioso". Arnolds Interesse gilt der Diskussion innerhalb der Indexkongregation, die er an der Zensur der Werke Contarinis und Cajetans untersucht. Es zeigt sich, dass selbst innerhalb der Indexbehörde eine theologische Pluriformität bestand, die die Definition der katholischen Orthodoxie trotz aller Rückgriffe auf "Divus Thomas" mitunter schwierig machte.

Mit der Frage nach der Effizienz von Buchzensur beschäftigt sich Dominik Burkard. Er verweist dabei auf die Bedeutung der bischöflichen Zensur neben der päpstlichen sowie der im Alten Reich tätigen Zensurorgane der Universitäten, der Territorien und des Kaisers. Es zeigt sich dabei, dass die kirchliche Bücherzensur, um wirksam zu werden, auf die Hilfe der weltlichen Systeme angewiesen war, und, zumindest auf Reichsebene, mit diesen eng und effektiv kooperierte. Dass Burkard der Zensur magischen Schrifttums einen aufklärerischen Charakter zubilligt, mag als Provokation stehen bleiben.

Dem Band ist ein Personenregister beigegeben. Dieses ist zwar zuverlässig, bietet dem Leser jedoch kaum einen sinnvollen Service, da die Orientierung in dem aus thematisch jeweils sehr unterschiedlichen Artikeln bestehenden Band ohnehin problemlos ist. "Inquisition, Index, Zensur" wird als erster Band einer von Hubert Wolf herausgegebenen Reihe "Römische Inquisition und Indexkongregation" präsentiert. Wenigstens einige Worte zur Konzeption dieser Reihe im Vorwort hätte sich der interessierte Leser allerdings schon gewünscht.

Alle Beiträge des Bandes bewegen sich auf hohem und höchstem Niveau. Jeder einzelne der Beiträge reißt Themenbereiche an und stellt Zugänge vor, die Monografien füllen könnten. Die römischen Überwachungsbehörden werden gründlich und hoffentlich endgültig entmythologisiert. Wie sehr ihre Tätigkeit durch organisatorische Schwächen und mangelnde politische Durchsetzungskraft eingeschränkt war, wird in Wolfs Band quellennah herausgearbeitet. Sein Ziel, erste Ergebnisse vorzustellen und weitere Arbeiten in den Archiven von Inquisition und Indexkongregation anzuregen, erreicht der Band "Inquisition, Index, Zensur" voll und ganz.

Anmerkung:

[1] www.uni-frankfurt.de/sfb435/

Redaktionelle Betreuung: Gudrun Gersmann

Empfohlene Zitierweise:

Johannes Dillinger: Rezension von: Hubert Wolf (Hg.): Inquisition, Index, Zensur. Wissenskulturen der Neuzeit im Widerstreit, Paderborn: Schöningh 2001, in: PERFORM 3 (2002), Nr. 9, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=201>

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