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Bartolomé Bennassar / Bernard Vincent: Spanien. 16. und 17. Jahrhundert. Das Goldene Zeitalter. Aus d. Franz. von Renate Warttmann, Stuttgart: Klett-Cotta 1999, 288 S., ISBN 3-608-94186-X, DM 78,00

Rezensiert von:
Heinrich Lang
Bamberg

Der Stuttgarter Verlag Klett-Cotta präsentiert mit "Spanien. 16. und 17. Jahrhundert" die von Renate Warttmann vorgelegte Übersetzung des Werks von Bartolomé Bennassar und Bernard Vincent "Le temps de l'Espagne. XVIe - XVIIe siècles" (bei Hachette Littératures, Paris) von 1999 als ein in Hochglanz gedrucktes, mit zahlreichen Abbildungen illustriertes Buch zum "Goldenen Zeitalter" Spaniens. Weitere "Goldene Zeitalter" sind in Bearbeitung. In acht - laut Klappentext "historisch-essayistischen" - Kapiteln stellen sich die beiden etablierten Historiker Bennassar und Vincent der Herausforderung, ihr Wissen zu einer Gesamtdarstellung zusammenzuführen und dabei sowohl eine breitere Öffentlichkeit als auch das Fachpublikum anzusprechen. Diese Unternehmung darf als weithin gelungen betrachtet werden. Die jeweils vier Abschnitte verfassenden Autoren ergänzen einander, wiewohl ihre Beiträge unterschiedlich stark ausfallen und - hierin liegt natürlich eine Gefahr - es zu einigen mnemotechnisch vielleicht nicht unsinnigen, doch für das verstehende Lesen unnötigen Wiederholungen kommt. Zudem erlaubt sich der Rezensent die Feststellung, dass die Kapitel Bennassars argumentierender und mindestens insofern aufschlussreicher sind, wohingegen der oft sehr phänomenologisch reihende Vincent ein feineres kulturhistorisches Gespür offenbart.

Der besondere Reiz von Begriff und Darstellung einer historischen Epoche liegt in der methodischen Frage der Konzeption - sieht man davon ab, dass schlicht marktorientierte Vorgaben der Verlage bei solchen Prachtbänden (auch im Französischen rangiert das Werk unter dem Titel "Les Siècles d'or") zu erfüllen sind. Das Spanien des 16. und 17. Jahrhunderts kann gewiss nicht als spätmodernes oder nationales Staatswesen betrachtet werden, sondern repräsentierte erstens die dynastisch begründeten Besitzungen der spanischen Könige in Europa und der 'Neuen Welt', zweitens die Spanier auf der iberischen Halbinsel und in der "Fremde" sowie drittens schließlich, gerade mit Blick auf Philipp II., "die Summe der Briefe, die beim König eintrafen" (40). Das erste Kapitel von Vincent liefert - Teil 1 "Die Glanzzeit des spanischen Reiches" eröffnend - dementsprechend einen geographisch gegliederten Aufriss, der im Aufbau etwa den Relationen venezianischer Gesandter folgend die verschiedenen Teile des spanischen Königreiches demographisch, ökonomisch und administrativ charakterisiert. In der Zentralverwaltung des spanischen Weltreiches, die ab 1561 in Madrid angesiedelt ist, spiegelt sich die komplexe und vielfältige Zusammensetzung der königlichen Besitzungen durch die diversen Räte wider: für Kastilien, Aragon, Italien, Westindien und seit 1580 auch für Portugal arbeiten je solche Gremien - die Niederlande und die Freigrafschaft Burgund unterstehen dem König als habsburgische Erblande unmittelbar. Zweitens: Die historische Mächtigkeit des spanischen Großsystems erscheint den Autoren - genauso wie den venezianischen Gesandten - messbar: Menge an Bevölkerung, Handelsströme, Konjunkturen der Märkte, Steuereinnahmen und Ausgaben für Militär sowie Krieg konstituieren und veranschaulichen quantitativ die Leistungsfähigkeit, den "Aufstieg" und "Niedergang" von Spanien im "Goldenen Zeitalter". Mit beiden, aufeinander abgestimmten Ansätzen stehen Bennassar und Vincent ganz in der Nähe von Fernand Braudels "Modell Italien" (erstmals 1974 in Einaudis Storia d'Italia, Band 2).

Die Kontinuität des spanischen Königreiches mit dem König als Symbolfigur im Zentrum ist zunächst durch die dynastische Stabilität von Johanna der Wahnsinnigen bis zu Karl II. geprägt. Biographisch untermauert werden die Monarchen, ihre Frauen und ihr wichtigstes Kapital für die Strategie der Heiratspolitik, die Kinder, eingeführt. Bennassar (Kapitel 2) erläutert Herrschaftspraxis und personelle Politik des spanischen Reiches vom dynastischen Verflechtungsinstrumentar bis zur auf die verschiedenen Besitztümer delegierten Macht, von den vertraglichen Regelungen zwischen Zentralregierung und den einzelnen Unter-Königreichen bis zur hohen Administration der spanischen Provinzen. Nüchtern und doch plastisch misst er (Kapitel 3) die "Stärken und Schwächen" des spanischen Weltreiches an der demographischen Entwicklung, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts jenen berüchtigten Einbruch erleidet, an konjukturellen Verläufen und am Finanzsystem. Bereits die zeitgenössischen Theoretiker demaskierten die Grundübel der ökonomischen Konstitution Spaniens: die Forderungen etwa nach einer Nationalbank lassen sich allerdings nicht realisieren.

Die politischen Prioritäten Spaniens seit dem Regierungsantritt Karls V. sind als Politik des 'containments' zu begreifen: die Könige kämpfen um Erhalt und Verwaltung der ererbten Territorien, wobei es ihnen bis zum Ringen mit Frankreich um Katalonien gelingt, den Krieg durch strategisch kluge Fortifikationsmaßnahmen an Küsten oder den Pyrenäen, Einsatz der Flotte, gezielte Interventionspolitik und diplomatische Manöver auf Distanz zum iberischen Kernland zu halten. Bennassar (Kapitel 4) hebt die Bedeutung der Lombardei für Spanien als strategische Drehscheibe und die Rückgratfunktion der 'spanischen Heerstraße' zwischen Oberitalien und den Niederlanden hervor, wobei er diese und die bald einhundertfünfzigjährige militärische Dominanz der spanischen Infanterie unter Berufung auf die Forschungen Geoffrey Parkers beschreibt.

"Verfall und Zusammenbruch" des spanischen Weltreiches skizziert Vincent schlaglichtartig (Kapitel 5) in der Parallelität von kriegsbedingt steigenden Finanznöten und damit einhergehend militärischen Niederlagen, während von ständigen französisch-spanischen Konflikten begleitet nach anfänglichen Erfolgen im Dreißigjährigen Krieg erst die Niederlande (1648), dann Portugal (1668) und endlich die Freigrafschaft Burgund (1678) verloren gehen.

Der zweite Teil "Kultur und Gesellschaft" wird von Vincent mit der Charakterisierung von Bevölkerung und Kirche (Kapitel 6) begonnen. Die reformbereite katholische Kirche in Spanien greift die Ergebnisse des Konzils von Trient eifrig auf und verknüpft die katholische Reform mit spanischen Eigenheiten (theologisch und ikonographisch z.B. die Propagierung der Unbefleckten Empfängnis Mariens): einerseits die tiefgreifende Mission, die von den religiösen Orden sowohl auf der iberischen Halbinsel als auch in der 'Neuen Welt' energisch voran gebracht wird, und die religiös verbrämte Anschauung von der "Reinheit des Blutes", die sich gegen conversos (zum Christentum konvertierte Juden), moriscos (offiziell zum Christentum übergetretenen Moslems) und schließlich Zigeuner richtete. Andererseits wurden religiöse, durch großzügige Stiftungen wohl versorgte Bruderschaften für karitative Aufgaben wie die Armenfürsorge ins Leben gerufen. Für kulturell und gesellschaftlich prägend hält Vincent das urbane Leben (Kapitel 7): Nicht nur ein relativ hoher Anteil von Städten auf der iberischen Halbinsel, sondern auch städtische Grundherrschaft über das Umland und der Einfluss der Städte über die Cortes steigerten Attraktivität und Bedeutung der Städte - darüber hinaus errichten sich viele Adlige prächtige Residenzen in den Städten. Im Laufe des "Goldenen Zeitalters" beginnen königliche Statthalter und Oberschichten mit Stadtplanungsunternehmen im Zeichen von Verschönerung und Kontrolle.

Im abschließenden achten Kapitel unternimmt Bennassar den vielversprechenden Versuch, die umfassende "kulturelle Synthese" (218) im spanischen Weltreich zu beschreiben. Die Verbindung der spanischen Besitzungen ermöglichte dauerhaften kulturellen Austausch. Eine spezifische Ausgestaltung erfährt die Vermittlung kultureller Welten durch die kastilische Sprache als Zirkulationsvehikel, dessen volkssprachliche Grammatik schon 1492 durch den Humanisten Antonio de Nebrija - also noch vor Pietro Bembos epochemachenden Traktat zum italienischen Volgare von 1525 - propagiert wurde. Kultureller Wandel durch Mischung und Verpflanzung: Die Stilmischung wird von niederländischen, italienischen und Künstlern aus der iberischen Halbinsel, die allesamt durch die obrigkeitlichen, spanischen Auftraggeber angezogen werden, generiert. Der zur Mitte des 16. Jahrhunderts wesentlich katholische Dogmen präsentierende Tridentinische Stil lebt als stets politischer Macht nahestehende Barockkultur in Spanien, konfiguriert durch die Kräftefelder der Kunstpatronage im Umfeld des El Escorial, der Weisungen des Konzils von Trient, der spirituellen Bedürfnisse der geistig führenden Orden und der ökonomischen Konjunktur. In Amerika löst sich der Barock von seinen spanisch-europäischen Vorbildern, da er anderen perzeptiven Voraussetzungen genügen muss, will seine christliche Botschaft Gehör finden. Endlich streift Bennassar die spanische Literatur des Siglo d'Oro.

In einer abschließenden Würdigung ist ein insgesamt positives Fazit zu ziehen: man liest ein flüssig geschriebenes und extrem unterhaltsames Gemeinschaftswerk. Eine inhaltlich erhellende Dynamik wird erreicht, indem zwischen den Bedingungen im kastilischen Kernland, den europäischen Besitzungen und alsbald dem amerikanischen Teil des spanischen Königreiches hin- und hergeblendet wird. Auf diese Weise gelingt es Bartolomé Bennassar und Bernard Vincent meisterhaft, ein umfassendes Bild des Spanien im 16. und 17. Jahrhundert zu liefern. Aber bei der Betrachtung langfristiger Entwicklungen, deren Diskussion für die Bewertung der Epoche methodisch sinnvoll und fruchtbar wäre, halten sich die Autoren zurück: die "Militärische Revolution" oder die "Krise des 17. Jahrhunderts" werden zwar behandelt, Vergleichbares unterbleibt indes für die Kommunikationstechnologie (Schlagworte: Druck oder auch die Einführung der Post), die Veränderung der Wahrnehmung der 'Neuen Welt' (etwa die nur sukzessive konzeptionelle Trennung von Ost- und Westindien) oder klimahistorische Faktoren (z.B. Kleine Eiszeit). Ferner hat die Darstellung Spaniens diverse sozial-, alltags- und mentalitätshistorische Mängel: weder werden städtisches und ländliches Leben kontrastiert, noch werden grundlegende sozialhistorische Kategorien diskutiert. Der niedere Adel (Stichwort: hidalguía), das Konzept der onra (Ehre) oder die moralische Doppelgesichtigkeit vornehmlich der kastilischen Gesellschaft als markante Bestandteile der Epoche bleiben unerwähnt. Ebenso kommt die Rezeption Spaniens in Europa und der 'Neuen Welt' eigentümlich kurz, so dass die leyenda negra nur abseits bemerkt wird. Bei den insgesamt sensibel, abwechslungsreich und zum Text passend ausgesuchten Abbildungen, die nicht bloß die allbekannten Dinge zum Zuge kommen lassen, fällt das ungenügende Kartenmaterial unangenehm auf (die Karten sind nur optisch ansprechend, sonst unpräzise - und warum ist als einzige Landmasse Afrika fast so blau wie das Meer?). Leider fehlt diesem preziös gestalteten Band ein Glossar mit den wichtigsten spanischen Termini, wichtige Begriffe wie conversos oder moriscos (auch "Morisken") verschweigt das Register. Obschon Vincent ein ausgewiesener Kenner des Mudejar-Stils ist, mag er dem Leser eine schlichte Definition nicht mitteilen. Dennoch, die Gesamtdarstellung von Bernard Vincent und Bartolomé Bennassar muss an Verständlichkeit und inhaltlicher Stärke erst übertroffen werden.

Empfohlene Zitierweise:

Heinrich Lang: Rezension von: Bartolomé Bennassar / Bernard Vincent: Spanien. 16. und 17. Jahrhundert. Das Goldene Zeitalter. Aus d. Franz. von Renate Warttmann, Stuttgart: Klett-Cotta 1999, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 2, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=21>

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