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Heinz Duchhardt / Matthias Schnettger (Hg.): Reichsständische Libertät und habsburgisches Kaisertum (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abtlg. Universalgeschichte; Beiheft 48), Mainz: Philipp von Zabern 1999, 362 S., ISBN 3-8053-2577-0, DM 58,00

Rezensiert von:
Stefan Ehrenpreis
Institut für Geschichtswissenschaft, Humboldt-Universität, Berlin

Die Herausgeber, denen zur sorgfältigen und schnellen Zusammenstellung des Bandes gratuliert werden kann, beschreiben in ihrer knappen Einleitung die aktuellen Rahmenbedingungen, die zum Entstehen der Beiträge geführt haben: sie präsentieren die Referate, die aus einer 1997 am Mainzer Institut stattgefundenen Tagung im Rahmen der deutsch-österreichischen Historikergespräche hervorgegangen sind. Das Oberthema traf auf eine neuentfachte Diskussion über Anfänge und Ausmaße einer österreichischen. Identität in der Historikerzunft unseres Nachbarlandes. Naturgemäß kommt der Geschichte des Alten Reiches dabei eine wichtige Funktion zu: hier entwickelten sich die österreichischen Territorien zu einer kaiserlichen Hausmacht, die dynastische Verbindung vereinte Österreich mit Böhmen und Ungarn, hier wurden die Grundlagen zum preußisch-österreichischen Dualismus gelegt. Die Diskussionen wurden - so die Herausgeber - durch die unterschiedlichen Sichtweisen geprägt: die österreichischen Teilnehmer hatten stärker die nichtdeutschen Interessen des Kaiserhofes im Blick, die deutschen argumentierten eher mit der Gesamtheit des Reichsorganismus. Diese Interpretationen, die sich in mehreren der Beiträge - mehr oder weniger offen ausgesprochen - wiederfinden, bieten jedoch nicht die einzige Perspektive auf diesen Sammelband.

Das Oberthema, das den Schwerpunkt mehr auf das 16. und 17. Jahrhundert legt, präsentiert jenseits aktueller historiographischer Debatten eine schon ältere Fragestellung zum Funktionieren des Reiches, das seit den letzten 20 Jahren mit dem Begriff des "Reichssystems" charakterisiert wird. Diese Terminologie erlaubt, die Verschiebungen in der politischen Tektonik zwischen Kaiser und Reichsständen nach der Chronologie und nach Fraktionsbildungen zu verfolgen und zu ordnen, ohne das Reich als Ganzes in den Erdbeben schwerer Konflikte verschwinden zu lassen oder abzuwerten, wie es bis 1945 geschah. Eine Reihe von Beiträgen betonen daher die ausserdeutschen Verbindungen des habsburgischen Kaisertums. Christina Lutter (Selbstbilder und Fremdwahrnehmung des habsburgischen Kaisertums um 1500 am Beispiel der venezianisch-maximilianischen diplomatischen Kommunikation, S. 25-42) zeigt dies zunächst anhand einer klassischen Quellengruppe. Christopher F. Laferl (Die Spanier am Hof Ferdinands I., S. 43-56) eröffnet den Reigen zum 16. Jahrhundert mit einem Blick auf die Konstitutionsbedingungen nach dem Tod Karls V. und der Linienteilung. Wie stark die Beziehungen auch später noch waren, demonstriert Friedrich Edelmayer (Das Netzwerk Philipps II. von Spanien im Heiligen Römischen Reich, S. 57-80).
Das konfessionell und politisch geprägte Herrscherbild, das seit der Reformation neu entstand, wird von Manfred Rudersdorf (Patriarchalisches Fürstenregiment und Reichsfriede. Zur Rolle des neuen lutherischen Regententyps im Zeitalter der Konfessionalisierung, S. 309-328) thematisiert. Dem Kaisertum, seiner Bedeutung und Funktion für das Reich und den Folgen der habsburgischen Amtstradition widmet sich Alfred Kohler (Kontinuität oder Diskontinuität im frühneuzeitlichen Kaisertum: Ferdinand II., S. 107-118), der auf die Kosten aufmerksam macht, die die offensichtliche und völlige Preisgabe der Schiedsrichterrolle für das Kaisertum mit sich brachte - eine Erfahrung, die vielleicht längerfristig im 17. und 18. Jahrhundert bei den Habsburgern nachwirkte. Matthias Schnettger (Der Kaiser und die Bischofswahlen. Das Haus Österreich und die Reichskirche vom Augsburger Religionsfrieden bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, S. 213-256) macht auf die kaiserlichen informellen Einflußmöglichkeiten aufmerksam, die besonders in die Reichskirche hineinreichten. Die Seite der habsburgischen Klientel beleuchtet mit einem weiteren Beispiel Berthold Sutter (Kaisertreue oder rationale Überlebensstrategie? Die Reichsritterschaft als habsburgische Klientel im Reich, S. 257-308).

Die alte Frage nach der Entwicklung der Institutionalisierung kann nach wie vor einen Beitrag zur Chronologie leisten, wenn - wie im vorliegenden Band geschehen - das 16. Jahrhundert als Phase der Etablierung begriffen wird, in der wichtige Strukturmerkmale politischer Machtverteilung ausgehandelt werden. Helmut Neuhaus (Von Reichstag(en) zu Reichstag. Reichsständische Beratungsformen von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, S. 135-150) und Johannes Burkhardt (Verfassungsprofil und Leistungsbilanz des Immerwährenden Reichstags. Zur Evaluierung einer frühmodernen Institution, S. 151-184) leisten dies für das sich wandelnde Organ reichsständisch-kaiserlicher Repräsentation, Bernhard Diestelkamp (Reichskammergericht und Reichshofrat im Spannungsfeld zwischen reichsständischer Libertät und habsburgischem Kaisertum (Ferdinand I. bis Leopold I., S. 185-194) für die Judikatur. Die kaiserliche Vertretung des Hauses Österreich wurde im 16. Jahrhundert durch landständische Teilnahme in erheblichem Umfang ergänzt, wie Günther R. Burkert-Dottolo (Die Landstände der österreichischen Erbländer auf dem Weg ins "Reich". Die Entsendung ständischer Gesandtschaften zu Reichstagen, S. 3-24) nachweist.

Zentrale Aspekte bieten einige Beiträge, die den Zusammenprall kaiserlicher und reichsständischer Interessen direkt in den Blick nehmen. Besonderes Gewicht kommt dabei der quellennahen Untersuchung Albrecht P. Luttenbergers zu (Kaisertum und Ständetum im politischen Denken des Reichspfennigmeisters Zacharias Geizkofler, S. 81-106), der zeigen kann, wie stark im Umfeld des Kaiserhofes die Krise des Reiches um 1600 thematisiert und Lösungsvorschläge entwickelt wurden, die ein austariertes Gleichgewicht der konfessionellen und politischen Kräfte unter kaiserlicher Führung propagierten. Ergänzend konstatiert Winfried Schulze (Kaiserliches Amt, Reichsverfassung und protestantische Union, S. 195-209) dies auch für den Verbund protestantischer Oppositionskräfte. Beide Seiten machten Kompromißvorschläge, auf die in den Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück zurückgegriffen werden konnte. Rudolf Hoke (Prokaiserliche und antikaiserliche Reichspublizistik, S. 119-132) verweist jedoch auf die öffentliche Debatte um den Charakter des Reiches, der von dualistisch-antagonistischem Denken bestimmt war und einen Kontrapunkt bildete.
Zum Abschluß greift Georg Schmidt (Angst vor dem Kaiser? Die Habsburger, die Erblande und die deutsche Libertät im 17. Jahrhundert, S. 329-348) die Frage nach der Gesamtinterpretation des Reiches als politischem Verband auf. Er sieht im Laufe des 17. Jahrhunderts Österreich immer stärker aus dem Reich austreten und beschreibt das von ihm jüngst entworfene Bild des "komplementären Reichs-Staats". Seine fulminante These vom Alten Reich als politischem Staatsraum der Deutschen wird sich an den im vorliegenden Band versammelten Problemstellungen messen lassen müssen. Ob dabei die außerdeutschen Beziehungen der Habsburger und ihre Folgen für das Reich, die wechselnden Parteiungen und Klientelbildungen zwischen Kaiser und Reichsständen und der Charakter der Institutionalisierung genügend gewürdigt sind, muß weiter diskutiert werden, wozu der Band ausreichend Material bietet. Ein Personenregister beschließt den auch formal ansprechenden Band, der zudem auch noch zu einem vergleichsweise günstigen Preis erworben werden kann.

Empfohlene Zitierweise:

Stefan Ehrenpreis: Rezension von: Heinz Duchhardt / Matthias Schnettger (Hg.): Reichsständische Libertät und habsburgisches Kaisertum, Mainz: Philipp von Zabern 1999, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 2, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=22>

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