Claire Gantet: La paix de Westphalie (1648). Une histoire sociale, XVIIe-XVIIIe siècles (= Histoire et Société. Essais d'Histoire Moderne), Paris: Éditions Belin 2001, 448 S., ISBN 2-7011-2977-x, FF 149,00
Rezensiert von:
Stefan Römmelt
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München
Das Jubiläum des Westfälischen Friedens im Jahre 1998 hatte eine bemerkenswerte Intensivierung der Beschäftigung mit diesem zentralen Ereignis der frühneuzeitlichen Geschichte Europas zur Folge. Das im Folgenden vorgestellte Werk, das mit Unterstützung der Mission Historique Française en Allemagne erschien, beschäftigt sich nicht mit dem Frieden selbst, sondern mit der Rezeption des Friedens im 17. und 18. Jahrhundert. Die Autorin, eine Schülerin Etienne François', der mit seiner Arbeit über die Augsburger Bikonfessionalität eine Epoche machende konfessionsgeschichtliche Studie vorlegte, hat bereits in einem 2000 erschienen Sammelband über das Augsburger Friedensfest Einzelheiten zu den Friedensfesten im süddeutschen Raum vorgestellt und den Artikel über den Westfälischen Frieden für den ersten Band der "Deutschen Erinnerungsorte" verfasst.
Jetzt liegt mit der detailreichen Studie Gantets ein Werk vor, das die Wege des Friedens in das Gedächtnis vornehmlich der süddeutschen Reichsstädte beschreibt. Grundlage der Studie ist eine Thèse, welche die Autorin im Januar 1999 an der Université Paris I vorgelegt hatte. Ihre Intention charakterisiert Gantet folgendermaßen: "Ce livre se réclame d'une nouvelle histoire de la pratique et des représentations politiques, il se veut une contribution à l'idée d'Empire aux XVIIes et XVIIIes siècles" (13). Zugleich will Gantet einen Beitrag zum Verhältnis zwischen Erinnerung, Geschichte und deren "reprèsentations" leisten. Hierfür verwertet sie neben archivalischem Material zu den Friedensfesten auch literarische Quellen wie Predigten und die zeitgenössische Bildpublizistik.
Nachdem die Autorin in der Einleitung die Rezeption des Westfälischen Friedens bis zur Gegenwart skizziert hat, geht sie in der Untersuchung dessen Memoria nach. Die Struktur des Buches lässt sich als dreiteilig bezeichnen: Die drei Hauptteile setzen sich jeweils aus einer Einleitung, welche die Verortung des Friedens in der Erinnerung einer Stadt (Augsburg, Nürnberg, Dinkelsbühl) beschreibt, (insgesamt acht) Kapiteln und einer Zusammenfassung, die Chronologie und Systematik verbindet, zusammen.
Der erste Hauptteil, "La quête de la paix", umfasst den Zeitraum von 1618 bis 1648 und beschäftigt sich nicht mit dem Westfälischen Frieden selbst, sondern mit dessen "Vorgeschichte", dem Dreißigjährigen Krieg. Das Augsburger Rathaus wird in der Einleitung als suprakonfessionelles Monument interpretiert, das die Erinnerung an die innerstädtischen konfessionellen Konflikte neutralisieren sollte. Im Anschluss an die Vorstellung der Entwicklung des Friedensbewusstseins, das sich erst allmählich entwickeln konnte, nachdem der Krieg anfänglich als gerechter Krieg wahrgenommen worden war, skizziert Gantet die Spiegelung der Kriegsereignisse von 1618 bis 1635 in der Erinnerung und die zunehmende Verdunkelung des Kriegsbildes in der Rezeption der Zeitgenossen, wo nun die Schrecken der Kriegsereignisse überwogen. Das vierte Kapitel ist dem Friedensschluss gewidmet; die literarische Umsetzung des Friedens und dessen Darstellung im Bild stehen hier im Mittelpunkt.
Die Feiern des Friedens von 1648 bis 1660 thematisiert "La célébration de la paix", der zweite Hauptteil. Im Anschluss an die Einleitung, die sich mit der Verherrlichung des Friedens im politischen Fest in der Reichsstadt Nürnberg beschäftigt, entwirft Gantet eine Karte des Friedens, der vornehmlich in Süddeutschland gefeiert wurde. Die Dynamik des Festes, Zeit und Raum und der katholische "blanc" werden hier vorgestellt. Im Gegensatz zu der protestantischen Erinnerung, welche den Aspekt des Religionsfriedens hervorhob, thematisierte die katholische Memoria den Abzug der feindlichen Truppen. Zugleich erinnerte man sich des katholischen Triumphes in der Schlacht am Weißen Berg. Manifest wurde dies in den zahlreichen Kopien der "Casa santa" von Loreto und in den Mariensäulen in München, Prag und Wien.
Ergänzend fragt Gantet nach der Umsetzung des Friedens. Die entsprechenden Kapitel beschäftigen sich mit den Riten des Friedens, mit juristischen "Investissements", die unter anderem zur Etablierung der konfessionellen Parität in Augsburg führten und mit der Reaktion der katholischen und protestantischen Geistlichkeit in Form von Predigten und der "ajustements civils" der Friedensbestimmungen. In diesem Kontext geht Gantet auch auf das erstmals 1650 gefeierte Augsburger Friedensfest ein. Resümierend stellt die Autorin fest: "La parité, à Augsbourg comme dans l'Empire, transforma le conflit religieux en une dispute judiciaire" (274). Der Erinnerung kam in diesem Kontext die Aufgabe zu, die politische Einheit eines konfessionell gespaltenen Gemeinwesens mittels des Vergessens der Gewalt und der Erinnerung an das Verzeihen zu ermöglichen.
Der dritte Hauptteil, "L'institutionnalisation de la paix", geht der Institutionalisierung des Friedens von 1650 bis zum Ende des Alten Reiches nach. Das Beispiel der Dinkelsbühler Kinderzeche, deren Entwicklung von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert in der Einleitung skizziert wird, verdeutlicht die Bedeutung der Obrigkeit für die Entwicklung der protestantischen Erinnerungskultur in einer bikonfessionellen Reichsstadt. Der Erfolg der Kinderzeche forderte die katholische Gegenseite zu einer Reaktion heraus, dem "Dinkelbauerumzug", der Ende des 17. Jahrhunderts ebenfalls eine große Zahl von Zuschauern anzog.
Die folgenden zwei Kapitel beschäftigen sich mit der Formung der Erinnerung und der Stellung des Friedens zwischen Politik und sakralem Charakter. Die Augsburger Form der Erinnerung an den Frieden dient hier als hauptsächlicher Bezugspunkt. Die Obrigkeit überließ die Erinnerung an den Frieden nicht dem individuellen Belieben der Bürger, sondern trug mittels einer "pédagogie de la mémoire" dafür Sorge, dass das Bewusstsein des Friedens eine einheitliche Färbung erhielt. Die Erinnerung an den Frieden verdichtete sich im Augsburger Friedensfest, das bis heute in der Lechstadt als Feiertag am 8. August begangen wird. Die katholische Antwort auf das Friedensfest erfolgte, indem katholische Feste in dessen unmittelbarer zeitlicher Nachbarschaft abgehalten wurden. Das Medium der Friedensgemälde, die ab 1650 am Friedensfest an die Augsburger Schulkinder verteilt wurden, kann als Seismograf der Sakralität der Erinnerung an den Frieden gelten, was sich im Kapitel "Décharges et recharges sacrales" zeigt. Faktisch oszillierte die Erinnerung des Friedens zwischen Zeitgeschichte und heilsgeschichtlicher Interpretation. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts verdichtete sich im Friedensfest die religiöse Kontroverse, und der Religionsfriede diente als Anlass des "combat clerical" (359). Die abschließende Conclusion fasst die Ergebnisse der Untersuchung prägnant zusammen.
Gantet ist es mit der vorliegenden Arbeit gelungen, den Platz zu verdeutlichen, den der Westfälische Friede in der (süddeutschen) Erinnerung des 17. und 18. Jahrhunderts besaß, und auf diese Weise einen weiteren Baustein zur Rehabilitierung der ersten europäischen Friedensordnung zu liefern. Eine baldige deutsche Übersetzung des Bandes wäre wünschenswert.
Redaktionelle Betreuung: Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Römmelt: Rezension von: Claire Gantet: La paix de Westphalie (1648). Une histoire sociale, XVIIe-XVIIIe siècles, Paris: Éditions Belin 2001, in: PERFORM 3 (2002), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=225>
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