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Paul Richard Blum: Philosophenphilosophie und Schulphilosophie. Typen des Philosophierens in der Neuzeit (= Studia Leibnitiana; Sonderheft 27), Stuttgart: Franz Steiner 1999, 302 S., ISBN 3-515-07201-2, DM 88,00

Rezensiert von:
Markus Friedrich

Der Titel des anzuzeigenden Buches verspricht Großes: Zwei ‚Typen des Philosophierens' sollen vorgestellt werden, ‚Philosophenphilosophie' und ‚Schulphilosophie'. Schlägt man das Inhaltsverzeichnis des Bandes auf, sieht man sich einer in fünf Kapitel geordneten Schau diverser Themen, Namen und Metaphern gegenüber: Die Rede ist von Gestalten wie Descartes, Ficino, Cusanus, Bruno, Magni, Bernardus a Sancta Teresia, Cornaeus, Losada, Andreas Gordon, Franz Jakob Clemens; von Themen wie der ratio studiorum der Jesuiten, dem Humanismus, den Curricula der Ordensschulen. Das erste und das vierte Kapitel greifen die beiden Typen des Titels explizit wieder auf, das letzte - fünfte - ist erklärtermaßen eine Art Nachgeschichte, es behandelt die beiden Arten des Philosophierens "nach der Scholastik".
Wendet man sich zunächst diesen - nach Ausweis der Vorbemerkung bereits zum großen Teil veröffentlichten - Einzelstudien zu, so ist eine ebenso breite thematische wie methodische Vielfalt hervorzuheben. Von der Analyse altbekannter ‚großer' Texte unter neuen Gesichtspunkten (Ficino, Bruno) über die serielle Auswertung ähnlicher (und zumeist unbekannter) Texte bis hin zu detaillierten Archivrecherchen zum Entstehungskontext einzelner obskurer Bücher (Bernardus a Sancta Teresia) fand ein breiter Bogen an Analysemöglichkeiten Anwendung. Die Zahl und Bandbreite der behandelten Autoren ist kaum weniger beeindruckend. Besonders in den Teilen, die der frühneuzeitlichen Schulphilosophie gewidmet sind, ist hier teilweise quellenerschließende Pionierarbeit geleistet worden. Immer wieder werden Autoren herangezogen, die selbst die einschlägigen älteren Standardwerke nicht kennen.

Den Anfang bildet eine Exposition dessen, was im folgenden ‚Philosophenphilosophie' genannt werden solle, die im zweiten Kapitel an ihren Schöpfungsheroen Descartes angebunden wird. Diesem Mythos zufolge gilt der Franzose als Verkörperung "der Dissoziation von philosophischer Gewißheit und historischer Genese, d.h. von systematischer und historischer Philosophie" (28). Philosophenphilosophie stellt sich demnach als Typ von Denken dar, der seine Legitimität ausschließlich aus der subjektiven Leistung eines benennbaren Subjekts beziehen will. Genauer eingehend auf die tatsächlichen Wurzeln des cogito!, dieses "Fanals der neueren Philosophie" (27), stellt Blum zunächst heraus, dass die Generation der jesuitischen Lehrer des Descartes keineswegs eindeutig auf die vermeintlichen Alternativen von Humanismus oder Scholastik festzulegen sind. Doch - und dies ist aus Sicht Blums das Interessanteste - auch die so enttarnten ‚reinen Scholastiker' legten keine Rechenschaft ab über diese (unliebsamen, weil antischolastischen) Einflüsse humanistischer Art. So gesehen mag Descartes gerade das Schweigen über seine eigenen Quellen als entscheidendes Erbe seiner Lehrer verstanden haben.
Der Fokussierung des gesamten Buches auf die katholische Schulphilosophie entsprechend schließen nun zwei Fallstudien zu dieser Verschmelzung humanistischer und scholastischer Traditionen an, die sich mit Exponenten der katholischen Ordensphilosophie beschäftigen. Herausgestellt wird deren starke Finalisierung allen Wissens auf Gott, was am Ende zu einer "wissenschaftlichen Individualität" führe (50), die strukturell der cartesischen gleiche. Zur größeren Ehre Gottes war - so Blums These über die ratio studiorum - im merkwürdig unpräzise gestalteten Raum zwischen allgemeinster Zweckbestimmung der Wissenschaft (Seelenheil) und der strikten Durchorganisation lernenden Alltags der Schulen das Eindringen verschiedenartigster Traditionen und Elemente ermöglicht, die diesem generellen Ziele dienen konnten und wollten. Und dies gebar die Verschmelzung humanistischer und scholastischer Traditionen zum Nutzen Gottes, ohne dass hierüber je Rechenschaft abgelegt worden sei. So mag man Descartes am Ende dieses zweiten Abschnitts als Fortsetzer einer Tradition sehen, die selbst gegen das behauptete Homogenitätsideal verstoßen hatte.

Unter dem Titel ‚Platonisierende Philosophen' schließt sich der dritte Abschnitt an, der - explizit nicht in genetischer Absicht - an ausgewählten Beispielen die "systematischen Anstrengungen" (65) aufzeigen will, die frühneuzeitliche Philosophen zu leisten hatten, die sich und ihr Tun selbst zum Gegenstand ihrer Reflexion machen wollten. Dieser Verzicht auf die genetische Zuordnung macht es nun schwer, den Platz dieses Abschnitts in der Gesamtargumentation des Buches auszumachen. An Ficino wird vielleicht am glücklichsten illustriert, wie der Philosoph und sein Tun - durch Analogieschluß von der Selbstreferenzialität der Liebe auf die Philosophie - grundlegend geprägt ist durch die "triadische Struktur des Aus-sich-Herausgehens, Zurückwendens und reflexiv, reduplikativ oder selbstreferentiell Konstituierens" (71). Bemerkungen zu Cusanus und Bruno, sowie zu Valerian Magni folgen.
Die zweite Hälfte des Buches ist anschließend der Schulphilosophie gewidmet, sie scheint mir der gelungenste Teil des Buches zu sein. Unmöglich ist es, hier alle Details und Ansatzweisen auch nur anzuführen, die Blum vorbringt. Grundsätzlich wird diese Art des Philosophierens beschrieben als eine tendenziell von den denkenden Personen abgelöste, an objektiver Wahrheit und der sie beinhaltenden Tradition orientierte Denkweise. Durchgeführt wird die Untersuchung derselben an der katholischen Ordensphilosophie der nachtridentinischen Zeit. Organisiert ist dieses Kapitel um das Zentrum des spezifischen Philosophiebegriffs herum, der der Studienanleitung Guilio Clemente Scottis (1602-1669) und der ratio studiorum des Jesuitenordens entnommen wird. Philosophie wird dabei grundsätzlich als lehr- und lernbar verstanden, deren Inhalte gerade nicht das Ergebnis besonderer subjektiver Originalität des Denkers ist. Vielmehr geht es um die Aufnahme und ggf. erneute Darstellung bereits vorhandener und zumindest partiell immer schon gewußter Wahrheiten. Deshalb versteht sich diese Philosophie grundsätzlich als Eine und Einheitliche, die zudem an der einen Wahrheit orientiert ist, die die jeweiligen Autoritäten erkannt und formuliert haben. Diese schon vorhandene, gerade nicht eine selbst zu schaffende Philosophie ist es, die schulmäßig vermittelt und gelehrt werden kann und darf: Alles läuft somit auf eine "Kongruenz von Einheit, Wahrheit und Autorität" hinaus (155). Das so konstruierte Ideal wird von Blum nun an verschiedenen Orten hinsichtlich seiner historischen Umsetzungen aufgesucht. Dabei stellen sich u.a. folgende Fragen: Welcher Art war die beschworene Autorität? Konkret heißt das, nach dem Verhältnis der jesuitischen Schulphilosophie zu Aristoteles zu fragen, dessen Leitfunktion grundsätzlich festgeschrieben wurde. Folgt man der Frage nach dem Aristotelismus weiter, so stellt sie sich neu: Wie konnten die Jesuiten des fortschreitenden 17. Jahrhunderts mit neuen naturphilosophischen und -wissenschaftlichen Ergebnissen umgehen? Am Beispiel des Melchior Cornaeus (1598-1665) ergeben sich Einblicke in eine faktisch weitreichende Abkehr vom Aristotelismus, was aber - Blum legt hierauf besonderen Wert (192) - nicht als willentliche Zerstörung der alten Tradition verstanden werden dürfe. Vielschichtig wird verfolgt, wie mit Differenzierungen im Gebäude der Wissenschaften (Beibehaltung der aristotelischen Metaphysik bei Aufbau einer gänzlich unaristotelischen speziellen Physik) oder mit waghalsigen Identifikationen philosophischer Traditionen (philosophia nova-antiquo) Ansprüche schulphilosophischer Programmatik gerettet werden sollten.
Auf diese Weise führt Blum den Leser bis an die Schwelle des 19. Jahrhunderts, dem sich schließlich das fünfte und letzte Kapitel zuwendet, um nochmals den spezifisch schulphilosophischen Begriff von Philosophieren und - damit verbunden - von Fortschritt in der Philosophie, sowie die Eigentümlichkeit ihres Blicks auf die philosophiegeschichtliche Vergangenheit herauszustellen. Hierzu wird das Werk Franz Jakob Clemens' herangezogen, das verkörpert, wie sich Schulphilosophie selbst versteht als kollektive Arbeit an einer vorgegebenen Wahrheit, die es eigentlich nur an den objektiv vorgegebenen Gegenständen zu erheben gilt. Philosophiegeschichtlich fand diese Position ihren Ausdruck in einem hier von Blum ausführlich herangezogenen Buch Clemens' über Bruno und Cusanus, deren Deutung durch schulphilosophische Haltungen begründet war.

Ein breites Panorama an Themen und Gestalten der neuzeitlichen Philosophiegeschichte hat der Leser betrachtet, ist er am Ende des Werks angekommen. Wenn mir auch nicht alle Abschnitte von gleicher Evidenz zu sein scheinen -am Ende ergibt sich das überzeugende Bild zweier Arten und Weisen, Philosophie zu betreiben. Beide erscheinen als Ergebnis der neuzeitlichen Entwicklungen. Für einen Rezensenten, der Historiker ist, wäre es nun ein Leichtes, beispielsweise auf das Fehlen einer historischen Erklärung für das Entstehen beider Typen hinzuweisen oder anzumahnen, die diversen sozialen, institutionellen und sonstigen Praktiken nachzuliefern, die mit beiden Typen verbunden waren, diese vielleicht als (gesellschaftliche) Wirklichkeit erst konstituierten. Zudem wäre den unterschiedlichen realen Umsetzungen in den Lebensweisen der Philosophen, also ihrem sozialen Erscheinungsbild, nachzugehen. Man könnte ferner das Anliegen formulieren, die Genese der beiden Typen stärker wechselseitig aufeinander zu beziehen, ja dies vielleicht geradezu zum Kern weiterer Untersuchungen zu erheben. Dann wären die Polemiken zwischen beiden Lagern stärker in den Blick zu nehmen. Schließlich bliebe unter historischer Perspektive die Frage nach den Gründen für den (weitgehenden) Sieg der Philosophenphilosophie. Und natürlich ließe sich die Frage nach dem Verhältnis katholischer zu protestantischer Schulphilosophie stellen.
Doch all diese zweifellos berechtigten Anliegen weiterer Forschung werden Blums Abhandlung nichts anhaben, denn es geht ihm um das philosophische Selbstverständnis frühneuzeitlicher Philosophen, genauer noch: um die systematischen Leitlinien des Denkens, an denen entlang sich frühneuzeitliche Reflexion vollzog, um die Frage: Wie denkt man richtig, wenn man Schulphilosophie oder Philosophenphilosophie betreibt? Aspekte des gesellschaftlichen Habitus' oder der historischen Genese stellen hier wünschenswerte, doch eben anders geartete Untersuchungsweisen dar. Diesen ein systematisches Zentrum, eine Grundlage hinsichtlich dessen, was philosophisch zu denken hieß, gegeben zu haben, kann man als das grundsätzliche Verdienst Blums ansehen.

Empfohlene Zitierweise:

Markus Friedrich: Rezension von: Paul Richard Blum: Philosophenphilosophie und Schulphilosophie. Typen des Philosophierens in der Neuzeit, Stuttgart: Franz Steiner 1999, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 2, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=25>

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