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Helmut Bräuer / Elke Schlenkrich (Hg.): Die Stadt als Kommunikationsraum. Beiträge zur Stadtgeschichte vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Festschrift für Karl Czok zum 75. Geburtstag (= Colloquia Augustana), Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2001, 868 S., 15 Abb., ISBN 3-934565-72-7, € 50,11

Rezensiert von:
Thomas Weller
SFB 496, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster

Der Begriff "Kommunikation" hat derzeit Konjunktur in den Geisteswissenschaften, was sich an der wachsenden Zahl einschlägiger Veröffentlichungen ebenso ablesen lässt wie an neuen Forschungsprojekten und Studiengängen, die allerorts aus dem Boden schießen. Dabei kann man sich des Eindrucks nicht immer erwehren, dass nicht zuletzt von der Vielschichtigkeit des Kommunikationsbegriffs ein besonderer Reiz ausgeht, erlaubt dieser es doch, mitunter höchst Disparates unter einen (vermeintlich) gemeinsamen Nenner zu bringen.

Unter der losen begrifflichen Klammer "Die Stadt als Kommunikationsraum" versammelt auch der hier anzuzeigende Sammelband Beiträge zu zum Teil höchst unterschiedlichen Gegenständen, was bei einer Festschrift natürlich durchaus keinen Makel darstellt, entspricht doch auch in diesem Fall die thematische Vielfalt der Breite der Forschungsinteressen des Jubilars. Um so bedauerlicher ist es aber, dass die Herausgeber des vorliegenden Bandes nicht nur auf eine Klärung des Leitbegriffs "Kommunikation" verzichteten, sondern überhaupt auf jegliche thematische Einführung, die die Beziehung der einzelnen Beiträge untereinander und den Bezug zum Oberthema klarer hätte hervortreten lassen. Auch unterließ man es, die insgesamt 34 Einzelbeiträge nach Unterthemen zu gliedern, und entschied sich stattdessen für eine alphabetische Ordnung.

Gleichwohl lassen sich innerhalb des Bandes durchaus eine Reihe von thematischen Schwerpunkten erkennen, auf die im Folgenden kurz eingegangen werden soll, wobei auf Grund des enormen Umfangs nicht jeder Einzelbeitrag entsprechend gewürdigt werden kann.

Mit dem Themenkomplex Adel und Stadt beschäftigen sich Rudolf Endres, Wieland Held und Katrin Keller. Am Beispiel der Stadt Nürnberg kann Rudolf Endres zeigen, wie die Stadt im Rahmen von Turnieren und Gesellenstechen im Spätmittelalter zum Schauplatz adeliger Repräsentation und sozialer Abgrenzung wurde. In den Turnierordnungen des 15. Jahrhunderts kam es zu einem zunehmenden Ausschluss des Stadtadels und des Patriziats von der adeligen Turnierpraxis, was die alten Nürnberger Geschlechter jedoch nicht davon abhielt, auch weiterhin ihrerseits Gesellenstechen auszurichten und damit adelige Festgewohnheiten nachzuahmen. Wieland Held untersucht kursächsische Adelstestamente aus dem 16. und 17. Jahrhundert im Hinblick auf Wirtschaftskontakte und andere Beziehungsfelder zwischen Landadel und Stadt. Gewissermaßen mit einem Spezialfall solcher Art von Kontakten beschäftigt sich Katrin Keller am Beispiel der frühneuzeitlichen Adelstänze in sächsischen Kleinstädten. Wohl in der Tradition spätmittelalterlicher adeliger Geselligkeit bot die Stadt hier den Rahmen für exklusive adelige Zusammenkünfte, die der Pflege sozialer Kontakte, der Versicherung adeliger Gemeinsamkeit und der Repräsentation nach außen, aber auch der politischen Kommunikation dienten. Ende des 16. Jahrhunderts kam es im Umfeld der Adelstänze vermehrt zu gewaltsamen Konflikten zwischen Adeligen und Stadtbürgern, bis die Adelstänze im 17. Jahrhundert schließlich ganz verschwanden. Keller deutet dies als Zeichen einer wachsenden sozialen und kulturellen Kluft zwischen den wirtschaftlich aufstrebenden Städten und dem Landadel, der sich, teilweise in finanzieller Bedrängnis, auf seine Güter zurückzog oder aber stärker auf den Hof hin orientierte.

Einen weiteren thematischen Schwerpunkt innerhalb des Bandes bildet der Bereich Armut und Armenfürsorge, wobei allerdings der kommunikative Aspekt des Phänomens nicht bei allen Beiträgen gleichermaßen im Vordergrund steht. Helmut Bräuers Untersuchung über Almosenausteilungsplätze als Kommunikationsorte stellt diesbezüglich eine Ausnahme dar. Der Verfasser hebt dabei vor allem die asymmetrische Kommunikationssituation zwischen Almosengebenden und -nehmenden hervor.

Unterschiedlichen Kommunikationsorten innerhalb der Stadt sind die auch die Beiträge von Herwig Ebner, Susan C. Karant-Nunn und Katharina Simon-Muscheid gewidmet. Ebner streicht die von der Forschung bislang kaum zur Kenntnis genommene Funktion des mittelalterlichen Friedhofs als Beurkundungsort heraus. Karant-Nunn gibt einen kurzen Abriss über weibliche Kommunikationsorte in der spätmittelalterlichen Stadt, wozu sie vor allem den den Frauen zugewiesenen Raum in der Kirche, Waschhäuser sowie die Geburtskammer zählt. Orte exklusiver weiblicher Kommunikation stießen nicht selten auf männliche Missbilligung und wurden im Verlauf der Frühen Neuzeit zunehmend zur Zielscheibe obrigkeitlicher Kontrolle. Die zentrale Funktion von Brunnen innerhalb der mittelalterlichen Stadt und deren Einbettung in vielfältige Kommunikationsprozesse untersucht Katharina Simon-Muscheid. Wohl auch auf Grund ihrer überlebenswichtigen Bedeutung für die Trinkwasserversorgung waren Brunnen zentrale Kommunikationsknotenpunkte innerhalb der Stadt, erfüllten aber auch repräsentative Funktionen und dienten als Hoheitszeichen und Orte der Rechtsprechung. Die positive Konnotation des Brunnens als Symbol des Lebens, der Prosperität und des guten Regiments konnte im meist gegen Juden gerichteten Vorwurf der Brunnenvergiftung eine Umkehrung erfahren.

Eine weitere Gruppe von Autoren widmet sich Kommunikationsvorgängen über die Stadtgrenzen hinaus, etwa im Bereich des Handels und Verkehrs; so zum Beispiel Gerhard Fouquet, der die Korrespondenz eines Nürnberg-Lübecker Kaufmanns aus dem 16. Jahrhundert untersucht, oder Manfred Straube und Manfred Unger, die sich mit Handelsreisenden von und nach Leipzig beziehungsweise mit der Bedeutung der Via Regia befassen, jener zentralen Ost-West-Achse, die in ihrer Eigenschaft als Fernhandelsstraße nicht unwesentlich zum wirtschaftlichen Aufstieg Leipzigs beitrug. Die mitunter komplexen Kommunikationsvorgänge im Bereich der überlokalen Rechtsprechung untersucht Rainer S. Elkar am Beispiel eines frühneuzeitlichen Rechtsstreits unter Handwerkern, in den die Räte gleich mehrerer oberdeutscher Städte hineingezogen wurden.

Nur zwei Autoren befassen sich mit der Bedeutung der Stadt nicht als Ort, sondern als Objekt von Kommunikationsprozessen: Frank-Dietrich Jacob und Gerhard Jaritz widmen sich historischen Stadtdarstellungen, wobei Jacob primär der Wandel des Genres interessiert, wohingegen Jaritz die Semantik einzelner Bildmotive untersucht, deren additive Verwendung typisch für spätmittelalterliche Stadtdarstellungen war.

Auch wenn nicht alle Einzelbeiträge einen engen Bezug zur Thematik aufweisen, beeindruckt der Band nicht nur durch seinen Umfang. Auf fast 900 Seiten entfaltet sich ein äußerst facettenreiches Bild der Stadt als Ort, Knotenpunkt und Medium von Kommunikationsprozessen. Dabei bietet sich dem kommunikationsgeschichtlich oder gar -theoretisch interessierten Leser zwar nur wenig Neues. Insgesamt überwiegen letztlich vertraute Themen und Fragestellungen, meist mit regionaler Zuspitzung. Dennoch trägt der vorliegende Sammelband ganz zweifellos dazu bei, unser Bild von der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt um eine Reihe interessanter Aspekte und so manches Detail zu erweitern.

Redaktionelle Betreuung: Michael Kaiser

Empfohlene Zitierweise:

Thomas Weller: Rezension von: Helmut Bräuer / Elke Schlenkrich (Hg.): Die Stadt als Kommunikationsraum. Beiträge zur Stadtgeschichte vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Festschrift für Karl Czok zum 75. Geburtstag, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2001, in: PERFORM 3 (2002), Nr. 3, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=256>

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