Stefan Bildheim: Calvinistische Staatstheorien. Historische Fallstudien zur Präsenz monarchomachischer Denkstrukturen im Mitteleuropa der Frühen Neuzeit (= Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften; Bd. 904), Frankfurt a.M. / Berlin / Bern: Peter Lang 2001, 405 S., ISBN 3-631-37533-6, 60,30
Rezensiert von:
Andreas Pečar
Historisches Institut, Universität Rostock
Die Herrschaftsauffassung der "Monarchomachen" und deren Wirkung in den konfessionell-politischen Konflikten in den Niederlanden und im Alten Reich ist Gegenstand von Bildheims Untersuchung. Dabei beschränkt sich Bildheim auf die calvinistischen Monarchomachen, im Einzelnen auf die Schriften von Jean Calvin, François Hotman, Théodore de Bèze, schließlich die 'Vindiciae contra Tyrannos', die unter dem Pseudonym Stephanus Junius Brutus erschienen sind, sowie das Werk von Johannes Althusius. Im ersten Teil der Arbeit werden die Schriften dieser Autoren in ihren Grundzügen vorgestellt. Im zweiten Teil versucht Bildheim, die Wirkungsgeschichte der monarchomachischen Lehren anhand von einzelnen Konflikten und Territorien des Reiches im 16. und frühen 17. Jahrhundert nachzuzeichnen.
Der Streifzug durch die Schriften der calvinistischen Monarchomachen fasst die Positionen der einzelnen Autoren zum Widerstandsrecht zusammen. Ausgangspunkt ist die Hauptschrift Jean Calvins, die "Institutio religionis christianae". Hier wird die Notwendigkeit eines christlich eingerichteten Gemeinwesens dargelegt, das der absoluten Souveränität Gottes Genüge leistet, seinen Geboten verpflichtet ist und überhaupt den Staat als Reich Christi auf Erden ansieht. Daraus resultieren bestimmte Pflichten für alle am Gemeinwesen Beteiligten, für den Fürsten ebenso wie für die ständischen Zwischengewalten (die 'magistratus'), insbesondere die Unterordnung unter das Gesetz. Sollte der Fürst gegen das Gesetz verstoßen, so stünde den Magistraten, das heißt der Gesamtheit der Stände, nicht aber den Privatleuten, ein Widerstandsrecht zu. Privatleute dürften nur dann das Recht für sich in Anspruch nehmen, gegen die Obrigkeit zu handeln, wenn sie direkt von Gott zu diesem Handeln inspiriert worden sind.
Bildheim führt anschließend vor, wie sich die Auffassung vom legitimen Widerstand gegen den Fürsten im Zuge der folgenden Religionsauseinandersetzungen insbesondere in Frankreich zunehmend radikalisierte: In den 'Vindiciae contra tyrannos' wird das Widerstandsrecht nicht nur den Ständen zugebilligt, sondern bereits einzelnen niederen Magistraten, zum Beispiel einzelnen Städten. Das 'Volk' - verkörpert in den Ständeversammlungen und Magistraten - rückt immer stärker in die Rolle einer Kontroll- und Aufsichtsinstanz gegenüber dem Fürsten, abgeleitet aus dem Herrschaftsvertrag zwischen König und Volk und dem Bund Gottes mit den Menschen. Dies kulminiert schließlich bei Johannes Althusius in einer Herrschaftsauffassung, in der auch nach einem Herrschaftsvertrag die "jura maiestatis et regni" dem Gesamtvolk zustehen, nicht dem regierenden Fürsten. Die Aussagen Bildheims über die Entwicklung der calvinistischen Staatslehre decken sich mit den Aussagen bisheriger Untersuchungen zur politischen Theorie im 16. Jahrhundert. Worin das Spezifikum calvinistischer Herrschaftsauffassung besteht, wird bei Bildheim leider nicht hinreichend deutlich. Zahlreiche, hier als calvinistisch benannte Auffassungen lassen sich durchaus auch bei anderen protestantischen Autoren finden, bei Bucer, Zwingli, aber auch bei Anhängern der Lehre Luthers.
Auch bleiben Bildheims Äußerungen über den Grund der von ihm beschriebenen Radikalisierung des calvinistischen Staatsdenkens reichlich unbestimmt. Auf Grund der Bartholomäusnacht sowie der Ermordung der hochadligen Hugenottenführer "mußten sich die Hugenotten zwangsläufig und ähnlich, wie es zuvor die Magdeburger getan hatten, von den zurückhaltenden Widerstandsgedanken ihres Reformers nachhaltig lösen und den veränderten Gegebenheiten anpassen sowie auf eine neue theoretische Basis stellen" (38). Soll damit ausgesagt werden, dass die politische Staatslehre stets in Abhängigkeit von politischen Ereignissen entstanden ist? Das Wechselverhältnis von politischer Theorie und Praxis dürfte sich wohl kaum auf eine so einfache Formel bringen lassen. Eine tiefer gehende Erörterung des Verhältnisses von politischem Denken und Handeln sucht man leider vergebens, ebenso wie auch das Wechselverhältnis von Theologie und Politik nicht eigens untersucht wird.
Im zweiten Teil bemüht sich Bildheim darum, die Theorie des Widerstandsrechts in den Kontext der reichshistorischen Ereignisse von 1570 bis1630 einzubetten. Im Einzelnen lässt sich erfahren, wie die monarchomachische Lehre in verschiedenen Reichsterritorien gefördert wurde, so in der Kurpfalz, in der Landgrafschaft Hessen, den Grafschaften Wittgenstein und Nassau-Dillenburg sowie in der ostfriesischen Stadt Emden. Die Gründung der "Hohen Schule" in Herborn kommt in einem eigenen Kapitel zur Sprache. Welche Bedeutung der Widerstandsrechtslehre der Monarchomachen für die aktive Verweigerung und Infragestellung von Herrschaft zukam, wird anhand des Niederländischen Aufstandes sowie des Böhmisch-pfälzischen Krieges untersucht. In einem letzten Kapitel wendet sich Bildheim schließlich noch der Reichspublizistik zu, wobei hier vor allem die zustimmenden und ablehnenden Äußerungen staatsrechtlicher Autoren des späteren 17. sowie des 18. Jahrhunderts zur 'Politica methodice digesta' des Johannes Althusius aufgezählt werden.
Eine etwas versteckt aufzufindende Aussage Bildheims lässt sich als Fazit des Buches lesen. Bei den meisten im Dreißigjährigen Krieg involvierten calvinistischen Fürsten, so Bildheim, könne "eine prägende und ausschlaggebende monarchomachische Gesinnung" kaum ernstlich bestritten werden (327). Dies resultiere aus den vielfältigen persönlichen Beziehungen und Korrespondenzen der Protagonisten untereinander, die unter dem maßgeblichen Einfluss der calvinistischen Staats- und Widerstandsrechtstheoretikern gestanden hätten. Eine argumentative Absicherung dieser These gelingt Bildheim aber nur eingeschränkt. So vermag er in vielen Fällen auf die bestehenden persönlichen Beziehungen zwischen Fürsten, Räten und Gelehrten hinzuweisen (149). Doch sind solche Kontakte bereits ein hinreichender Beleg für weitreichenden Einfluss monarchomachischen Denkens auf politische Entscheidungsträger? Lässt sich ferner auf Grund von zahlreichen Neuauflagen mancher monarchomachischer Traktate neben einer breiten Rezeption dieser Schriften bereits auf politische Wirksamkeit schließen (159; 162; 166)?
Diese Fragen hätten zur Klärung einer Wirkungsgeschichte monarchomachischer Widerstandslehren gestellt und beantwortet werden müssen. Stattdessen erfährt der Leser viel über historische Ereignisse und Akteure, was den Stand der historischen Forschung im Wesentlichen - und unter Zuhilfenahme einer Unmenge von Zitaten aus der Sekundärliteratur - zusammenfasst. Für eine künftige Untersuchung zur Wirkungsgeschichte calvinistischer Widerstandslehren mag dies von Vorteil sein.
Redaktionelle Betreuung: Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Pečar: Rezension von: Stefan Bildheim: Calvinistische Staatstheorien. Historische Fallstudien zur Präsenz monarchomachischer Denkstrukturen im Mitteleuropa der Frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. / Berlin / Bern: Peter Lang 2001, in: PERFORM 3 (2002), Nr. 12, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=269>
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