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Sven Externbrink: Le coeur du monde. Frankreich und die norditalienischen Staaten (Mantua, Parma, Savoyen) im Zeitalter Richelieus 1624-1635 (= Geschichte; Bd. 23), Münster: LIT 1999, 406 S., ISBN 3-8258-4390-4, DM 49,80

Rezensiert von:
Matthias Schnettger
Institut für Europäische Geschichte, Mainz

Nur wenige frühneuzeitliche französische Staatsmänner haben - nicht zuletzt auch von deutscher Seite - in der Geschichtswissenschaft so viel Beachtung gefunden wie Armand Jean du Plessis, Kardinal de Richelieu, und sind so kontrovers beurteilt worden, vom Machiavellisten reinsten Wassers im Gewande des Kirchenfürsten bis hin zum Visionär eines europäischen Systems kollektiver Sicherheit. Dabei hat sich vor allem die deutsche Forschung, aber nicht nur diese, zumeist auf die Deutschlandpolitik des Kardinals konzentriert, unter weitgehender Ausklammerung der französischen Beziehungen zu den Staaten der Apenninenhalbinsel.

Einen Beitrag, diese Forschungslücke zu schließen, leistet die Marburger Dissertation Sven Externbrinks, die mehr sein will als traditionelle Diplomatiegeschichte, sondern stattdessen eine Analyse eines Teilbereichs des europäischen Staatensystems unter Berücksichtigung der politischen, gesellschaftlichen und geistesgeschichtlichen Rahmenbedingungen anstrebt. Nach einer allgemeinen Einleitung legt Externbrink unter der Überschrift "Frankreich und Italien im 17. Jahrhundert" ausführlich die Voraussetzungen für die Italienpolitik Richelieus dar. Nach einer Verortung Italiens und der einzelnen italienischen Staaten im europäischen Staatensystem im Jahrhundert nach Cateau-Cambrésis wendet sich Externbrink der Perzeption Oberitaliens in Frankreich im Zeitalter Richelieus und den außenpolitischen Zielen Richelieus und Ludwigs XIII. zu - wobei der König, der für den Verfasser ausdrücklich kein "willenlose[r] Schwächling" ist (S. 52), wie insgesamt in der Studie deutlich im Schatten des großen Kardinals steht. In die unmittelbare Vorgeschichte von dessen Italienpolitik leitet die Schilderung der Konflikte über, die mit dem ersten Mantuanischen Erbfolgekrieg und dem Kampf um das Veltlin (der savoyisch-genuesische Krieg von 1625 spielt für Externbrink nur eine Nebenrolle) die Halbinsel seit 1612 erschütterten.
Den eigentlichen inhaltlichen Kern der Studie bildet die französische Politik im (zweiten) Mantuanischen Erbfolgekrieg (1627-1631) und in den diesen abschließenden Verträgen von Cherasco. Richelieu gelang es, einerseits die Nachfolge des französischen Prätendenten Karl von Gonzaga-Nevers in Mantua durchzusetzen und andererseits in geheimen Verhandlungen mit der Festung Pinerolo erstmals seit der Abtretung Saluzzos (1588/1601) eine französische Bastion jenseits der Alpen zu gewinnen, für Externbrink "ein Meisterstück französischer Diplomatie" (S. 186 f.). Leserfreundlich ist besonders in diesem Kapitel das Vorgehen Externbrinks, der, bevor er sich an die teilweise minutiöse Darstellung der verwickelten diplomatischen Verhandlungen und Projekte macht, einen Abriss der dem deutschen Publikum wohl nicht allzu vertrauten Ereignisse um den Mantuanischen Erbfolgekonflikt und dessen Folgen gibt.
Auch das folgende Kapitel, das die französische Italienpolitik 1632-1635, bis zum offiziellen Eintritt in den Krieg gegen Spanien, behandelt, beschäftigt sich zu einem guten Teil mit den Folgen der Verträge von Cherasco, indem es sich in seinem ersten Abschnitt den Beziehungen Frankreichs zu Savoyen und Mantua widmet und damit den Bemühungen, die Erfolge von 1631 zu sichern und auszubauen. In diesen Kontext gehören aber auch die Bestrebungen zur Errichtung einer italienischen "Liga" seit 1630, die im zweiten Teil dieses Kapitels erörtert werden. Die Studie schließt mit einem Ausblick auf die Italienpolitik Richelieus nach dem Kriegsausbruch 1635 und einer Zusammenfassung der Ergebnisse.

Auch wenn Externbrink - schon allein wegen der fehlenden Vorarbeiten - nicht um einige Passagen herumkommt, die sich auf den ersten Blick in klassischer Diplomatiegeschichte zu erschöpfen scheinen, kann er sein Versprechen, er wolle einen Beitrag zur Analyse der Geschichte der internationalen Beziehungen leisten, über weite Strecken einlösen: Die Hauptthemen mantuanische Erbfolge, Pinerolo/Passagenpolitik, Liga werden nicht nur aufs Ausführlichste geschildert, sondern eben auch überzeugend in einen weiteren Kontext eingeordnet. So wird die Italienpolitik Richelieus im Gesamtzusammenhang der antihabsburgischen, primär antispanischen Außenpolitik des Kardinals gesehen, aber auch in der Tradition der französischen Italienpolitik der Valois verortet. Die Schilderung der Ligapolitik wird in eine Analyse der frühneuzeitlichen Diskurse über das Wesen von Bündnissen und über die Freiheit Italiens ("libertà d'Italia") eingeordnet (S. 251 ff.) - dieser Aspekt der Italienpolitik Richelieus erhält zusätzliches Gewicht dadurch, dass ihm ein Quellenanhang gewidmet ist. Angesichts der lehnsrechtlichen Anbindung der meisten oberitalienischen Staaten, des sogenannten Reichsitalien, an Kaiser und Reich betont Externbrink zu Recht auch "die praktische Untrennbarkeit von Reichs- und Italienpolitik" (S. 68) und setzt etwa auch die "Passagen"-Politik Richelieus südlich und nördlich der Alpen zueinander in Beziehung. Er gelangt dabei zu abgewogenen Urteilen, wenn er etwa die auf die direkte Beherrschung Mailands und anderer Teile der Halbinsel ausgerichtete Italienpolitik der Valois mit der des Kardinals kontrastiert, der zwar das Fernziel einer Beherrschung Mailands nicht ganz aus den Augen verloren habe, für den aber die Gewinnung von Passagen zur Ermöglichung einer französischen Intervention, um - im wohlverstandenen französischen Eigeninteresse - die "libertà" der italienischen Staaten gegen Spanien zu verteidigen, unbedingte Priorität besaß. Eine klare Absage erteilt Externbrink den Bestrebungen, die Ligapolitik Richelieus zu einem frühneuzeitlichen Projekt eines Systems kollektiver Sicherheit zu stilisieren, die er als eine unzulässige Übertragung von Kategorien des 20. Jahrhunderts auf die Frühe Neuzeit betrachtet (S. 261 ff.). Statt dessen schlägt er vor, "Richelieus Entwürfe [...] als das zwischenstaatliche Pendant des innergesellschaftlichen Prozesses der Sozialdisziplinierung [zu] bezeichnen" (S. 269), ohne jedoch diesen Ansatz weiter zu vertiefen.

Wo viel Licht ist, ist ein wenig Schatten wohl unvermeidbar: Bisweilen unterlaufen Externbrink einige sprachliche Ungenauigkeiten, so, wenn er, wohl durch die französische Terminologie verleitet, von den deutschen Fürsten als "Prinzen" spricht (S. 127), an anderer Stelle aber die Herzöge von Mantua und Modena als "Reichsstände" bezeichnet (S. 12) und damit den Unterschied zwischen den deutschen Reichsständen und den italienischen Vasallen, die die Reichsstandschaft eben nicht besaßen, verwischt. Bedauerlich ist auch, dass dem Register scheinbar nicht die gebotene Sorgfalt gewidmet worden ist: So treten die verschiedenen Herrscher mit dem Namen "Karl" in bunter, ungeordneter Reihenfolge auf, und Herzog Karl I. von Mantua ist, im Unterschied zu seinem gleichnamigen Sohn, ohne Querverweis unter "Nevers" eingeordnet worden. Natürlich hätte man auch über eine andere Auswahl der als Beispiele herangezogenen italienischen Staaten nachdenken können - warum diese Beispiele gewählt wurden, wird nicht weiter begründet. Während die Wahl in den Fällen Savoyen und Mantua vollkommen einleuchtend ist, spielt - das im Untertitel noch vor das auch im Rahmen der Darstellung ungleich gewichtigere Savoyen gesetzte - Parma nur bei der Erörterung der italienischen Ligapläne Richelieus eine Rolle. Man hätte vielleicht auch Venedig, die Toskana, das in der Studie häufig, aber eben immer nur als Objekt auftauchende Genua oder einen anderen Staat berücksichtigen können, den es nicht in den französischen Einflussbereich einzubeziehen gelang. Man hätte überhaupt gegenüber der französischen Perspektive stärker auch die der italienischen Akteure in den Blick nehmen können. Aber natürlich könnte man jedes Thema auf vielerlei Weise behandeln...

Diese Kritik soll nicht den Gesamteindruck trüben, dass hier ein Werk vorliegt, das geeignet ist, die von der deutschen Historiographie oft immer noch unterbelichteten europäischen Dimensionen des Dreißigjährigen Krieges vor Augen zu führen, und das zudem einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des frühneuzeitlichen europäischen Staatensystems leistet.

Empfohlene Zitierweise:

Matthias Schnettger: Rezension von: Sven Externbrink: Le coeur du monde. Frankreich und die norditalienischen Staaten (Mantua, Parma, Savoyen) im Zeitalter Richelieus 1624-1635, Münster: LIT 1999, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 3, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=33>

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