Helmut Reinalter: Die Freimaurer (= C.H. Beck Wissen), München: C.H. Beck 2000, 144 S., ISBN 3-406-44733-3, DM 14,80
Rezensiert von:
Eric-Oliver Mader
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München
Helmut Reinalters kleines Buch über die Freimaurer lässt sich an einem Tag lesen. Geschrieben ist es mit dem Ziel, Wissen zu popularisieren. Als Zielgruppen können in erster Linie Studenten gelten, die sich erstmals mit dem Gegenstand auseinandersetzen, aber auch der berühmte, jedoch fiktive "Zahnarzt". Nicht nur dadurch verrät das zu besprechende Buch seine Zugehörigkeit zur Reihe "Beck Wissen", sondern auch durch die Tatsache, dass mit dem Innsbrucker Historiker ein exzellenter Kenner der Freimaurerei des 18. Jahrhunderts als Verfasser gewonnen wurde. Der Beck Verlag macht hier keine Experimente, denn immer handeln ausgewiesene Fachleute über das Thema, in dem sie zu Hause sind. Wolfgang Behringer schreibt in dieser Reihe über Hexen, Georg Schmidt über den Dreißigjährigen Krieg, Luise Schorn-Schütte über die Reformation. Überdies sind die Titel mit weniger als 15 DM preiswert zu haben. Das garantiert den Verkaufserfolg - einige gingen bereits in die zweite Auflage.
Reinalters Einführung in Ursprung und Geschichte, Philosophie und Praxis, Verbreitung und Verfolgung der Freimaurerei zählt 133 Seiten. Freilich kann aufgrund dieses Umfangs kein Anspruch auf eine erschöpfende Darstellung des Themas erhoben werden. Deshalb wählt Reinalter aus der "reichen Fülle der Quellen und Literatur repräsentative Grundlagen und Beispiele". Es geht ihm darum, eine "Ideen- und Sozialgeschichte des Masonismus" zu schreiben, die auch die Frage der gesellschaftlichen Rolle der Freimaurerei und ihrer Wirkung thematisiert (S. 9). Der zeitliche Rahmen erstreckt sich vom 18. Jahrhundert, dem "Höhepunkt" der Freimaurerei, bis ins 20. Jahrhundert, doch auch ihre Vorgeschichte wird behandelt.
Im Gegensatz zur älteren Forschung, die davon ausgeht, dass die moderne Freimaurerei ihre esoterischen Wurzeln in den antiken Mysterienkulten habe, betont der Autor, dass handwerkliche Bruderschaften als ihre eigentlichen Vorläufer zu gelten haben, während von den Mysterien lediglich ein gewisser Einfluss im Hochgradsystem zu spüren sei. Darüber hinaus verweist er die Vorstellung, die moderne Maurerei sei durch einen einzigen Gründungsakt, den Zusammenschluss von fünf Londoner Logen zu einer Großloge am 24. Juli 1717, mit dem Hinweis, dass dafür kein Quellenbeleg existiere, ins Reich der "historischen Theorie" (S. 12).
Obschon Reinalter die Ausbreitung der modernen Freimaurerei von ihrem geographischen Ausgangspunkt England auf den Kontinent beschreibt und sogar eine globale Perspektive vor Augen hat, wenn es um die gegenwärtige Situation der Maurerei geht, ist der Darstellung eine eigentümlich österreichische Prägung zu eigen. Sichtbar wird dies nicht nur, wenn er unter dem Rubrum "Anfänge und Verbreitung" vor allem, die Gründung der ersten Wiener Loge im Jahr 1742 schildert, die bereits ein Jahr später durch Polizeigewalt wieder aufgehoben wurde (S. 13), sondern vor allem, wenn der Autor wiederholt betont, dass die Geschichte der "österreichischen Freimaurerei" bereits seit dem Ende des 18. Jahrhundert von der "deutschen" zu unterscheiden sei (v.a. S. 22-24). Hier gelangt die Repräsentativität der gewählten Beispiele an ihre Grenzen. Denn einerseits wird in diesem Zusammenhang allein Preußen als Beispiel für die deutsche Entwicklung der Freimaurerei herangezogen, während andere Reichsstände bzw. deutsche Souveräne überhaupt nicht thematisiert werden. Andererseits wird aber in anachronistischer Haltung ein Gegensatz zwischen Deutschland und Österreich in die Geschichte transponiert, der als solcher nicht bestand. Denn bekanntlich gehörten nicht nur weite Teile der Habsburger Besitzungen zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, sondern stellte das Haus Habsburg auch fast während der gesamten Frühen Neuzeit den Kaiser dieses Reichs. Überdies muss auch für das 19. Jahrhundert, die Zeit der souveränen Fürstenstaaten, gelten, dass von einem Gegensatz zwischen Österreich und Deutschland nicht uneingeschränkt ausgegangen werden kann. Denn Österreich gehörte zum Deutschen Bund, und dieser existierte bis zum Jahr 1866.
Hätte man sich etwas mehr Differenzierung gewünscht, so bieten die Passagen des Buches, in denen von den freimaurerischen Ideen, Praktiken und der Organisation die Rede ist, in lexikalischer Präzision einen Einblick in Symbolik und Ritualistik, Menschenbild und Ethik und in das Hochgradsystem. Darüber hinaus wird man über Ursprünge, Ziele und Ideen unterschiedlicher Logen und Geheimbünde, wie Gold- und Rosenkreuzer, Illuminaten, Deutsche Union und die italienischen Carbonari informiert. Dies hat zwar den Vorteil, dass man, ähnlich wie in dem vom Verfasser herausgegeben "Lexikon zu Demokratie und Liberalismus" (Helmut Reinalter: Lexikon zu Demokratie und Liberalismus 1750-1848/49, Frankfurt am Main 1993 (ein Eintrag über die Gold- und Rosenkreuzer fand hier keinen Eingang)), knappe Zusammenfassungen zu jeweiligen Teilaspekten des Themas schnell nachschlagen kann, doch wählt Reinalter ein Gliederungsprinzip, das es dem Leser nicht immer einfach macht. So wird man beispielsweise über die Symbolik und Ritualistik der Freimaurer informiert (S. 32-35), bevor man etwas über die Organisationsstruktur der Logen erfahren hat.
Dass Reinalters Anliegen nicht nur die Vermittlung von Fakten ist, sondern auch ein methodisches, wird deutlich, wenn er die Leistungen und die gesellschaftliche Wirksamkeit der Freimaurerei thematisiert. Zurecht weist er diese Frage als Forschungsdesiderat aus. Gekonnt wird die These von einer maurerischen Weltverschwörung widerlegt und als Mythos entlarvt, der von den Gegnern der Maurerei geschaffen wurde. Die gesellschaftliche Wirksamkeit der Freimaurerei dürfe nicht überbewertet werden, betont der Autor, und schlägt dagegen vor, dass man sich vor allem auf "die Kongruenz von Ideen und Zielen der Freimaurerei mit den wesentlichen Denkströmungen der jeweiligen Zeit" (S. 128) zu beziehen habe, wenn man zu einer realistischen Einschätzung ihrer Wirksamkeit kommen wolle. Konsequenterweise sieht er die Rolle der Freimaurer dann darin, "Katalysatoren" der Ideen der Aufklärung gewesen zu sein und weist den Logen die Funktion von Umschlagplätzen aufgeklärten Schrifttums zu. Wie aber soll mit dieser Methode der spezifisch freimaurerische bzw. geheimbündische Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung ausgemessen werden? Diese Antwort bleibt Reinalter nicht nur schuldig, sein Ansatz sieht auch kein Analyseinstrumentarium vor, um dieser Frage auf die Spur zu kommen.
Es handelt sich folglich um eine Einführung, die in ihren "lexikalischen" Teilen allemal eine zuverlässige Quelle der Erstinformation darstellt, doch wird ein vertiefter Einstieg in das Thema ohne das dankenswerterweise in Auswahl zur Verfügung gestellte Verzeichnis der wichtigsten Literatur nicht zu bewerkstelligen sein.
Empfohlene Zitierweise:
Eric-Oliver Mader: Rezension von: Helmut Reinalter: Die Freimaurer, München: C.H. Beck 2000, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 3, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=37>
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