Suraiya Faroqhi: Geschichte des Osmanischen Reiches, München: C.H. Beck 2000, 127 S., ISBN 3-406-46021-6, DM 14,80
Rezensiert von:
Klaus Kreiser
Lehrstuhl für Türkische Sprache, Geschichte und Kultur, Universität Bamberg
Suraiya Faroqhi gilt im Fach osmanische Wirtschaftsgeschichte als amtierende Weltmeisterin. Die Münchener Professorin verdankt diesen Titel ihren ungezählten Beiträgen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 17. bis 18. Jahrhunderts. Die überraschend preisgünstige Taschenbuchreihe des Beck-Verlags bot jetzt der Autorin die Chance, in kurzer und allgemein zugänglicher Form von osmanischer Geschichte und Kultur zu erzählen.
Das Bedürfnis nach einer knappen Orientierung in der in zeitlicher und räumlicher Hinsicht riesigen historischen Einheit "Osmanisches Reich" war zu allen Zeiten groß. Die Zahl der Historiker, die ihre Regale mit den gleichnamigen und vielbändigen "Geschichten des Osmanischen Reichs" ("GOR"s von Hammer [1827-1832], Zinkeisen [1840-1863], Iorga 1908-1913]) füllten, wird hingegen nie beträchtlich gewesen sein. Auf dem Weg über die französische Übersetzung Hammers (1835-1843) wurde seine ganz überwiegend aus den osmanischen Quellen geschriebene Darstellung Allgemeingut. Erst die Öffnung der osmanischen Archive seit den 1930er Jahren hat mit einiger Verzögerung die historische Osmanistik nicht nur in der Türkei, sondern weltweit zu einem großen historischen Fach gemacht.
Ein Vergleich von Frau Faroqhis Arbeit mit ihren Vorgängern, soweit sie konzise Darstellungen gewagt haben, zeigt, wie sich das Forschungsmaterial, die Sichtweisen und die Proportionen verändert haben (etwa zwischen Sir Edward Creasys "eingedampftem" Hammer von 1856 über Rudolf Tschudis Beitrag zur Neuen Propyläen Weltgeschichte von 1941 bis zu Robert Mantrans "Que-sais-je"-Bändchen von 1961). Faroqhis "GOR für die Badetasche" verblüfft den Spezialisten durch die Fülle von angesprochenen Themen, die weithin zusammenhängend und unter Vermeidung akademischer Prosa vorgeführt werden.
Zählebige Missverständnisse in der Literatur werden an vielen Stellen in unaufgeregter Weise beseitigt und zurechtgerückt. Ich nenne als Beispiele die Bemerkungen über Kapitalverzinsung oder den Spielraum osmanischer Fernhandelskaufleute (S.54f.). Fast alles, was in dem so anspruchslos wirkenden kleinen Buch über Landwirtschaft, Handel und Frauengeschichte des 17. bis 18. Jahrhunderts steht, ist das Ergebnis eigener Forschungsarbeit.
Moderne Osmanisten sind nicht die Enkel der osmanischen Reichshistoriographen. Ihre Gegenstände sind Getreidepreise in einer syrischen Provinz oder Nachlässe von Damen der Mittelschicht. Bei jedem Verständnis für das Bedürfnis, mit der europäischen Regional- und Mentalitätsgeschichtsschreibung Schritt zu halten, verlangt der "allgemeine Leser" hartnäckig nach handfesten Übersichten. Es ist erfreulich, wenn sie von sachkundigen Autoren stammen.
Hier fehlt der Raum für eine Fachdiskussion. Trotzdem sollen, wie der Urgroßvater der jetzigen Osmanistengeneration, Georg Jacob, es nannte, einige "Durcharbeitungsbelege" folgen. Vielleicht kommen sie einem Neudruck zugute: Der niedrige Verkaufspreis rechtfertigt nicht die allzu flüchtige Durchsicht der Druckvorlage. Verbessern sollte jeder Benutzer wenigstens folgende Versehen und Ungenauigkeiten bei Jahreszahlen: S.15: 1950 statt 1959; S.16: 1354 (statt 1352), S.64: 1590 (statt 1589/90), S.72: 1611 (statt ca. 1610), S.101: 1920 (statt 1919), S. 102: 1892 (statt 1890) , S.108: 1851 (statt 1854), S.117: 1916 (statt 1915). Die Schreibungen von Ortsnamen wären ebenfalls ein ergiebiges Feld für eine sehr erwünschte zweite Auflage. Dabei sollte man das peinliche Lybien aber nicht durch Libyen ersetzen, was zwar orthographisch korrekt wäre, aber ein Anachronismus bliebe.
Empfohlene Zitierweise:
Klaus Kreiser: Rezension von: Suraiya Faroqhi: Geschichte des Osmanischen Reiches, München: C.H. Beck 2000, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=47>
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