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Monika Fiegert: Pragmatische Geschlechtertrennung. Die Anfänge elementarer Mädchenbildung im geistlichen Fürstentum Osnabrück. Ein Beitrag zur Historischen Mädchenbildungsforschung (= Interdisziplinäre Frauenforschung; Bd. 1), Bochum: Winkler 1999, 370 S., ISBN 3-930083-13-2, DM 133,00

Rezensiert von:
Andreas Rutz
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Regionale Fallstudien zum Mädchenbildungswesen der Frühen Neuzeit gehören seit Jahren zu den immer wieder beklagten Desideraten der schulhistorischen Forschung. Die vorliegende Osnabrücker Habilitationsschrift (Fachbereich Erziehungs- und Kulturwissenschaften 1998) von Monika Fiegert weckt dementsprechend hohe Erwartungen, enttäuscht aber letztlich sowohl inhaltlich als auch methodisch.

Wie bereits der Titel ihrer Arbeit nahelegt, versucht Fiegert nachzuweisen, dass nicht 'ideologische', d.h. aus dem Frauenbild der zeitgenössischen Pädagogik abgeleitete Motive zur schulischen Trennung der Geschlechter und zur Gründung von Mädchenschulen geführt haben, sondern vielmehr 'pragmatische' Gründe, wie v.a. die notwendige Aufteilung der Klassen bei steigenden Schüler- und Schülerinnenzahlen. Zu diesem Zweck zeichnet die Verfasserin im ersten Teil des Buches die Gründungsgeschichte von elf Mädchenschulen in ländlichen Gemeinden des ehemaligen Fürstbistums Osnabrück nach (die evangelische und die kath. Mädchenschule in Melle sowie die katholischen Mädchenschulen in Iburg, Ostercappeln, Glandorf, Wellingholzhausen, Laer, Borgloh, Hagen, Hunteburg und Ankum), um dann im zweiten Teil in der zeitgenössischen Osnabrücker Publizistik, den entsprechenden Schulordnungen sowie in Visitations- und Kirchspielberichten nach Hinweisen auf eine 'ideologisch' vorbereitete Geschlechtertrennung zu suchen.

Der zeitliche Rahmen der Arbeit soll laut Verfasserin "vom Westfälischen Friedensschluss bis zum ausgehenden Zeitalter der Aufklärung" (S. 67) reichen, tatsächlich wurden jedoch nur drei der von Fiegert behandelten Schulen im 17. und 18. Jahrhundert gegründet, acht dagegen nach 1818. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht damit nicht - wie der Untertitel suggeriert - die Schulsituation im geistlichen Fürstentum Osnabrück, sondern vielmehr das Mädchenschulwesen des ehemaligen Fürstbistums nach dessen Angliederung an das Königreich Hannover (1815).

Die methodischen Überlegungen, die Fiegert ihrer Untersuchung voran stellt und die in einem Rundumschlag die sozialgeschichtlichen Theoriedebatten der letzten Jahre zu integrieren versuchen, bleiben letztlich zu vage, um der Studie ein solides Fundament zu geben: Weitgehend mit Worthülsen und Zitaten operierend, nimmt Fiegert eine "'Verschmelzung' von Sozialgeschichte und Alltagsgeschichte zu einem Ansatz der 'modernen Sozialgeschichte in der Erweiterung'" vor. Mikro- und Makrohistorie stünden sich damit nicht länger "als eine einander ausschließende Form der Geschichtsschreibung gegenüber, und Mikro- und Makroanalyse als einander ausschließende Methoden zur Faktengewinnung müssen nicht länger als diametral bezeichnet werden" (S. 48).

Als Mikroanalyse führt Fiegert im folgenden die 'Geschichten' der einzelnen Mädchenschulen vor, unterlässt dabei allerdings jegliche Anbindung an die Makrogeschichte und beschränkt sich stattdessen auf eine "referierende Quellenpräsentation". Diese hat ihrer Meinung nach schon deshalb "grundlegenden innovativen Charakter", weil es sich "bei der Veröffentlichung des Materials [...] fast ausschließlich um bis dato unbekannte Quellen" handele (S. 75)! Die "nur 'angedeutete Deutung' des Quellenmaterials" würde laut Fiegert "Einblicke in die Vergangenheit zulassen, ohne den Blick durch 'mitgelieferte' Interpretationen zu verstellen" (S. 76). Konsequenz dieses naiven Verständnisses vom Aussagewert historischer Quellen ist eine Fülle von Einzelinformationen zu den verschiedenen Schulen, deren 'Geschichten' weder miteinander in Beziehung gesetzt, noch durch Einordnung in den jeweiligen sozialgeschichtlichen oder politischen Kontext des Dorfes (Mikroperspektive!) oder des Territoriums (Makroperspektive!) ihrer Beliebigkeit enthoben werden. Da die obrigkeitliche 'Schulpolitik' erst im zweiten Teil der Arbeit im Zusammenhang mit der Suche nach eventuellen Hinweisen auf eine ideologische Vorbereitung der Geschlechtertrennung zur Sprache kommt, werden dem Leser gewisse, für das Verständnis der jeweiligen Schulgeschichte wichtige Informationen vorenthalten: So ist meist unklar, bei wem eigentlich die Zuständigkeiten für die einzelnen Schulen lagen, und was gemeint ist, wenn z.B. von der "General-Interims-Administrations-Kommission" (S. 88), vom "Ministerium" (S. 133) oder der "segensreiche[n] und lang erwartete[n] Schulordnung von 1818" (S. 167) die Rede ist.

Die Motive, die nach Fiegerts Analyse zur Gründung der von ihr behandelten Mädchenschulen führten, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Platzmangel durch zu große Schülerzahlen (Glandorf, Wellingholzhausen, Laer, Borgloh, Hunteburg, evangelische Schule Melle), sittliche Erwägungen (Glandorf, Laer, Hagen, Ankum) sowie Förderung von geschlechtsspezifischem Unterricht/Handarbeitsunterricht für Mädchen (Glandorf, Wellingholzhausen). Keine Gründungsmotive lassen sich für die katholischen Schulen in Melle und Iburg nachweisen. Ebenso verhält es sich bei der Schule in Ostercappeln, für die allerdings vorgesehen war, "beiderlei Geschlecht mit Anstand separat [zu] unterrichten" (S. 187). Abgesehen von den drei zuletzt genannten sind es laut Fiegert bei allen Mädchenschulen "pragmatische Gründe, die bei der Idee der Separierung Pate stehen und die schließlich zu ihrer Einrichtung geführt haben" (S. 189). Diese Einschätzung passt zwar zum Erkenntnisziel der Verfasserin, verwundert allerdings, da ein Großteil der Schulen ganz offensichtlich auch aus sittlichen Erwägungen bzw. zur Schaffung geschlechtspezifischer Bildungsmöglichkeiten gegründet wurde und lediglich drei Mädchenschulen (Borgloh, Hunteburg, evangelische Schule Melle) ihre Entstehung allein den zu großen Schülerzahlen und dem daraus resultierenden Platzmangel verdankten.

Zur Untermauerung ihres insgesamt recht zweifelhaften 'Ergebnisses' untersucht Fiegert im zweiten Teil die 'Diskursebene', also zeitgenössische Veröffentlichungen und Berichte aus dem Osnabrücker Raum, in denen sie eine Diskussion über Geschlechterseparierung in der Schule vermutet. Das Ergebnis dieser Analyse fällt negativ aus, d.h. es finden sich keine Hinweise auf eine öffentliche Debatte im ehemaligen Fürstbistum Osnabrück um das Für und Wider von Koedukation.

Die Verfasserin wertet dies als Bestätigung ihrer These von der 'pragmatischen Geschlechtertrennung', die nicht auf eine öffentliche Diskussion des Themas zurückzuführen sei. Problematisch ist m.E. hierbei jedoch nicht nur die aufgezeigte Ambivalenz des schulgeschichtlichen Befundes. Fiegerts Analyse der Diskursebene ist vielmehr nicht tiefschürfend genug, um die ideologischen Prämissen der Geschlechterseparierung aufzudecken. Das Fehlen von Aufsätzen zu diesem Thema in den Osnabrückischen Intelligenzblättern und anderen Osnabrücker Quellen ist noch kein zwingender Beweis dafür, dass dieser Aspekt der aufgeklärten Diskussionen des späten 18. Jahrhunderts im ehemaligen Fürstbistum völlig unbeachtet geblieben wäre: Fiegert selbst betont z.B. immer wieder den großen Einfluss des Münsterschen Schulreformers und Normallehrers Bernard Overberg, der Mädchenschulen bekanntlich explizit im Hinblick auf eine geschlechtsspezifische Ausbildung der weiblichen Jugend befürwortete und förderte.

Die Frage stellt sich also, inwieweit auch Veröffentlichungen aus benachbarten Territorien und Städten die öffentliche Meinung in Osnabrück geprägt haben könnten. Die Zeit der Aufklärung steht außerdem nicht am Anfang der Thematisierung und der Umsetzung von schulischer Geschlechtertrennung. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Entwicklung, die zwar durch die Bildungsdiskussionen des 18. Jahrhunderts neue Impulse erhielt, im Ansatz aber bis in die Reformationszeit zurückzuverfolgen ist. Dementsprechend wäre zu fragen, ob nicht gerade auf dem Lande in der von Fiegert behandelten Zeit auch ältere kirchliche Forderungen nach schulischer Geschlechtertrennung eine Rolle spielten, die um 1800 aufgrund ausreichend hoher Schüler- und Schülerinnenzahlen zum ersten Mal eingelöst werden konnten. Interessanterweise führte schließlich der immer wieder angeführte Platzmangel in den alten koedukativen Schulen bei den von der Verfasserin behandelten Beispielen jeweils zur Gründung von Mädchenschulen und nicht - wie man bei angeblich fehlendem Geschlechterdiskurs und dem von Fiegert festgestellten Pragmatismus - erwarten könnte, zur Fortführung des koedukativen Modells in einer räumlich und personell vergrößerten Schule.

Abschließend stellt sich die Frage nach einer überregionalen Einordnung des von Fiegert vorgestellten Materials. Zwar weist die Verfasserin mehrfach auf die Notwendigkeit einer solchen hin, vertröstet den Leser aber auf künftig noch zu leistende Forschung und entledigt sich letztlich mit dem postmodernen Hinweis auf die zunehmende Zahl historischer Realitäten, aus denen "am Ende [...] in einem Epochenbild keine Synthese mehr zustande kommen" (S. 245) könne, des Problems. Der an verschiedenen Stellen der Arbeit angedachte und sicherlich sinnvolle Vergleich mit dem benachbarten Fürstbistum Münster, dem Fiegert selbst eine "Kontrollfunktion" (S. 69) für die Osnabrücker Entwicklung einräumt, bleibt dementsprechend nur sehr oberflächlich.

Zwar bietet die vorliegende Habilitationsschrift eine Fülle von teilweise sehr interessanten Detailinformationen zur Geschichte des Mädchenschulwesens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Aufgrund der benannten methodischen Schwächen gelingt es der Verfasserin allerdings nicht, diese zu einer schlüssigen Geschichte der Mädchenbildung im Osnabrücker Raum zusammenzufassen und im Hinblick auf ihre Ausgangsfrage nach dem Ursprung der Geschlechtertrennung in der Schule überzeugend zu analysieren. Das ausgewertete Quellenmaterial erweist sich für diese Fragestellung überdies als wenig ergiebig, so dass die Ergebnisse der Studie insgesamt nur bedingt aussagekräftig sind.

Empfohlene Zitierweise:

Andreas Rutz: Rezension von: Monika Fiegert: Pragmatische Geschlechtertrennung. Die Anfänge elementarer Mädchenbildung im geistlichen Fürstentum Osnabrück. Ein Beitrag zur Historischen Mädchenbildungsforschung, Bochum: Winkler 1999, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=48>

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