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Esther-Beate Körber: Öffentlichkeiten der frühen Neuzeit. Teilnehmer, Formen, Institutionen und Entscheidungen öffentlicher Kommunikation im Herzogtum Preußen von 1525 bis 1618 (= Beiträge zur Kommunikationsgeschichte; Bd. 7), Berlin: Walter de Gruyter 1998, 536 S., ISBN 3-11-015600-8, DM 298,00

Rezensiert von:
Johannes Arndt
Historisches Seminar, Universität Münster

Die klassische politikgeschichtliche Erforschung des frühmodernen Fürstenstaates hatte ihr Schwergewicht auf dem Arcanum, dem innersten Denk- und Beziehungsgewebe der Macht, dessen hervorstechendste Eigenschaft gerade seine Nichtöffentlichkeit war. Der Herrscher und seine engste persönliche Umgebung "machten" Politik, und im Sinne Treitschkes "machten" sie damit Geschichte. Auch die politische Ständeforschung, seit dem Zweiten Weltkrieg als die Suche nach den institutionellen Partizipationsmöglichkeiten der beherrschten Eliten an ihrem Gemeinwesen konzipiert, stellte den Diskurs zwischen fürstlichen Regierungen einerseits und den Ständeversammlungen - z.B. Reichstagen oder Landtagen - in den Vordergrund des Erkenntnisinteresses. Quellengrundlage des Wissens waren die Ständeakten der herrschaftlichen Regierungen und die Protokolle, Memoranden und Korrespondenzen der ständischen Kurien sowie die archivalischen Hinterlassenschaften der Adelsfamilien oder der stimmberechtigen Gebietskörperschaften. Was von den Verhandlungen nach außen drang, welche gedachten, geäußerten und schriftlich formulierten Positionen anderen Personen und Gruppen außerhalb des politischen Sektors bekannt wurden und welche Folgen und Rückwirkungen dies haben konnte, danach wurde zunächst nicht gefragt.

Seit einiger Zeit wird immer mehr die Frage gestellt, ob es außer den Verhandlungsbeteiligten noch weitere Interessenten am Gang der Gespräche und an ihren Ergebnissen gegeben hat. "Öffentlichkeit" ist das Schlagwort, das die Forscher und Forscherinnen verwenden, die aufgrund ihrer Quellenkenntnis davon ausgehen, politischer Diskurs habe sich in der Frühmoderne nicht nur hinter verschlossenen Türen abgespielt. Diese Form der Öffentlichkeit reicht weit über die "repräsentative Öffentlichkeit" hinaus, die Jürgen Habermas 1962 der historisch-ökonomischen Formation des Feudalismus zugewiesen hat. Schon für das Reformationsjahrhundert wird Öffentlichkeit als eine soziale Breitenkategorie konstatiert, die potentiell jeden Lesefähigen erfasste.

An dieser Stelle setzt Esther-Beate Körber mit ihrer 1993 abgeschlossenen Berliner Habilitationsschrift ein. Ihr Gegenstand ist die Öffentlichkeit im Herzogtum Preußen, jenem baltischen Territorium, das sich 1525 vom Katholizismus und der Deutschordensherrschaft umwandelte in ein lutherisches weltliches Herzogtum. Dieser Umschlag zur Reformation stellt das Anfangsdatum der Studie dar, die mit dem Jahr 1618 endet, jenem Jahr, in dem Preußen als Erbe in den Besitz der brandenburgischen Kurfürsten gelangte. Körber beschränkt sich allerdings nicht nur auf "die" Öffentlichkeit, sondern verwendet den Begriff im Plural und postuliert drei Öffentlichkeiten, die gleichzeitig als Gliederungskategorien für die gesamte Studie dienen: Die "Öffentlichkeit der Macht", die "Öffentlichkeit der Bildung" und die "Öffentlichkeit der Informationen". Alle Begriffe von Öffentlichkeit stellen, wie die Verfasserin betont, keine Kategorien des 16. Jahrhunderts dar, sondern sind theoretische Interpretationskategorien, die aus späteren Bedeutungsgehalten auf das Reformationsjahrhundert zurückgeschrieben und dann fachlich spezifiziert worden sind. Spätmittelalter und Reformationszeit kennen die adjektivische Verwendung "öffentlich" (publicus) in derselben Gegenüberstellung zu "privat" (privatus), wie sie noch heute gebräuchlich ist, doch nicht das Subjektiv "publicitas" (S. 2 und 367). Die Anwendung des Begriffes "Öffentlichkeit" wird überdies dadurch erschwert, dass er im heutigen Sprachgebrauch eine mehrdeutige Verwendung erfährt: "Öffentlichkeit" wird zum einen als Abstraktum angewandt, zum anderen umfasst es die Gesamtheit der Personen, die an öffentlichen Angelegenheiten teilhaben, und zum dritten werden manchmal auch die Inhalte, die sich in der Diskussion befinden, mit dem Begriff charakterisiert (vgl. Definitionen S. 3).

Körber hat es sich zum Ziel gesetzt, zum einen "Strukturen und Erscheinungsformen von Öffentlichkeit der Frühen Neuzeit [...] anhand der Verhältnisse eines Territoriums dar[zu]stellen", und zum anderen "grundsätzliche Aussagen zu den 'Öffentlichkeiten' im 16. und frühen 17. Jahrhundert" zu treffen (S. 47). Dies geschieht durch die Herausarbeitung des Teilnehmerkreises, die Untersuchung der Kommunikationsformen sowie das Auffinden der "dynamischen Dimension", worunter Körber die "ablaufenden Entscheidungprozesse, die Kriterien und Prinzipien der Entscheidung sowie wichtige Veränderungen in den Entscheidungsstrukturen" versteht (S. 47). Gerade die Formen und die Mittel der jeweiligen Diskurse spielen im Sinne der Fragestellung eine wesentlich wichtigere Rolle als die verhandelten Inhalte. Schließlich werden in der Zusammenfassung jedes Kapitels die Querbeziehungen zwischen den verschiedenen Öffentlichkeiten thematisiert.

Die "Öffentlichkeit der Macht" steht im Mittelpunkt des ersten Kapitels. Hier untersucht Körber die politischen Konflikte im Herzogtum während des 16. Jahrhunderts. Nachdem sie den Teilnehmerkreis umschrieben hat (Herzog, Regierungsbeamte, Landstände, Städte, Bauern, König von Polen als Oberlehnsherr), geht sie in weiteren Unterkapiteln auf Kommunikationskanäle (mündlich, schriftlich, symbolisch), die Landtagsverhandlungen, das Post- und Kommunikationswesen sowie auf das Spannungsverhältnis zwischen "Arkanpolitik" und "Publikum" ein. Das Dreiecksverhältnis zwischen Herzog, Landständen und Polen kristallisiert sich dabei klar heraus, doch im Mittelpunkt stehen weniger - wie bei der Ständeforschung - die politischen Konflikte in ihrer Substanz und die rechtlichen Formen ihrer Regulierung, als vielmehr die kommunikativen Begegnungsweisen zwischen den drei Polen des Machtgleichgewichts im Territorium. Methoden der Informationsbeschaffung, der gezielten und manchmal selektiven Weitergabe von Nachrichten, institutionelle Grundlagen des organisierten Postwesens sowie der Briefverkehr zwischen Nicht-Regierungsorganisationen bilden dabei Schwerpunkte des Erkenntnisinteresses.

Die "Öffentlichkeit der Bildung" ist Gegenstand des zweiten Kapitels. Charakteristisch für diese Öffentlichkeit sind nicht besonders abgrenzbare Inhalte, sondern die Leistung, Inhalte in sinnvoller Weise zu ordnen und sie auf ein umfassendes Menschbild hin auszurichten. In personeller Hinsicht sind die sozialen Gruppen gemeint, die "an dem religiös-erzieherischen Ideal teilhaben, indem sie es verändern, bestimmen, interpretieren, vermitteln oder auch lernen" (S. 14). Vier Gruppen macht Körber als Teilnehmer an dieser Öffentlichkeit aus:
1. Die "Bildungspolitiker", z.B. Erasmus, Luther oder Melanchthon. Sie besaßen zeitweilig überregionalen Einfluss auf die Bildungsentwicklung in Zentraleuropa. Eine durchgängige Bildungspolitik gab es im 16. Jahrhundert noch nicht (S. 167).
2. Die "tätigen Streiter", verstanden als die Gesamtheit derjenigen, die durch pädagogische Traktate auf das Bildungswesen einwirkten, sich dabei jedoch nach den Vorgaben der "Bildungspolitiker" richteten (S. 169-171).
3. Die "Vermittler" stellen die Gruppe derjenigen dar, die "die Traditionen des Wissens und der Symbole weitergeben" (S. 173). Vor allem sind in dieser Gruppe die Pfarrer und Lehrer zu finden.
4. Die "Lernenden" im weitesten Sinne.

Die Intentionen innerhalb der Bildungsöffentlichkeit waren andere als in der Machtöffentlichkeit. Ging es in jener um Methoden der Verknappung von Informationen als Steuerung von Entscheidungsprozessen (S. 157), so gründete sich die Bildungsöffentlichkeit auf die Suche nach "autoritätsgestützter Wahrheit der Information" (S. 375). Der enge Zusammenhang zwischen mittelalterlicher und frühmoderner Kirche und dem Bildungssystem zeigt sich hier nicht nur institutionengeschichtlich: Die "autoritätsgestützte Wahrheit" umfasste sowohl die göttliche Autorität als Stifterin der Hl. Schrift als auch die intellektuelle Autorität akademisch-pädagogischer Hauptgestalten von Aristoteles bis zu Melanchthon.

Das Kapitel über die "Bildungs-Öffentlichkeit" ist auch der Ort, an dem der Produktionsprozess und die Produktionsumstände des Druckwesens im Herzogtum Preußen untersucht werden. Seit 1523 sind Königsberger Druckereien nachgewiesen. Eine ungebrochene Kontinuität bestand allerdings im 16. Jahrhundert noch nicht: Auf der Grundlage des preußischen deutschsprachigen Lesepublikums allein konnte noch keine wirtschaftliche Existenz aufgebaut werden, so dass es mehrfach politischer oder kirchlicher Anstöße und Privilegierungen bedurfte, damit neue Druckereien und Verlage eröffnet wurden. Königsberg konnte daher als Medienzentrum mit den großen Buchdruckstädten Köln, Frankfurt/Main, Augsburg, Nürnberg oder Leipzig nicht konkurrieren. Die Macht-Öffentlichkeit verfügte - laut Körber - über zwei Möglichkeiten, den Bildungsbereich zu steuern: Zum einen durch die Gründung von Bildungsinstitutionen (oder das Unterlassen von Gründungen) und zum anderen durch Personalpolitik und Zensur oder andere Kontrollen (S. 253).

Die "Öffentlichkeit der Informationen" wird im dritten Kapitel untersucht. Während die schriftliche Überlieferung in Gestalt von Druckwerken und Druckgraphiken und die damit korrespondierende "Lesewelt" noch quellenmäßig verhältnismäßig leicht fassbar ist, stellt die Welt des gesprochenen Wortes eine methodische Herausforderung besonderer Art dar. Körber verweist nicht nur auf die Kanzelverkündigung, sondern auch auf den obrigkeitlichen Anschlag von Mandaten durch die preußischen Amtleute: Die Texte wurden auf diese Weise nicht nur den Lesekundigen, sondern durch öffentliches Vorlesen auch der übrigen Bevölkerung kundgetan (S. 316f.) Ein Bildflugblatt sprach ebenfalls illiterate Käuferschichten an, die sich bereits beim Kauf den begleitenden Text erklären lassen konnten. Dieselbe Interessentenschicht wurde durch das Zeitungslied erreicht. Zur Auseinandersetzung zwischen Herzog Erich von Braunschweig und der Stadt Danzig 1563 sind mehrere Lieder in Preußen gedruckt und - allem Anschein nach - auch gesungen worden (S. 321).

Körber unterscheidet in diesem Kapitel fünf "Informationsformen": Tatsacheninformationen (im Gegensatz zu medialer Information), Signalinformationen, bildliche Informationen, mündliche und schriftgestützte Formen der Information und schriftliche Informationen. Es folgen Reflexionen über die Bewertung von Informationen durch die Medienproduzenten und -händler. Deren Intentionen sind durch den Umfang von Auflagen und die Zahl der Nachdrucke fassbar, im Gegensatz zur Auswahl durch die Endverbraucher, die weitgehend im Dunkeln bleibt.

Das Verhältnis zwischen der Macht-Öffentlichkeit und der Informationen-Öffentlichkeit war dadurch bestimmt, dass zum einen Informationen ausgeschlossen (Zensur) und Informationsflüsse kontrolliert wurden, zum anderen gezielte Informationen in den Kreislauf eingespeist wurden (amtliche Publizistik; S. 352). Auch die Instanzen der Bildungs-Öffentlichkeit wirkten durch ihre tragende Rolle im Zensurverfahren an der Kontrolle der Informationen-Öffentlichkeit mit. Ziel war in diesem Fall nicht nur die Stabilisierung des bestehenden Herrschaftssystems, sondern die Verbreitung des eigenen Bildungsideals in seiner theologischen und pädagogischen Ausrichtung. Körber betont, dass es dem Selbstverständnis der Macht- und der Bildungs-Öffentlichkeit nach gar keine autonome Informationen-Öffentlichkeit geben durfte: Informationelle "Privatheit" war nirgendwo vorgesehen und wurde in allen Konfliktfällen negiert, und doch war die Informationen-Öffentlichkeit auch im 16. Jahrhundert schon mehr als bloß der Bereich, der von den beiden anderen Öffentlichkeiten nicht erreicht und abgedeckt wurde (S. 355).

Die Studie schließt mit einem Ausblick auf die Zeit vom 17. bis zum 20. Jahrhundert. Dabei weist Körber nach, dass die drei Öffentlichkeiten zwar nicht unbedingt zeitlose Gültigkeit besitzen müssen, sich aber von der Zeit des 16. Jahrhunderts bis in die heutige Gegenwart als publizistikgeschichtliche Gegebenheiten durchgängig nachweisen lassen. Entwicklungsprozesse, die etwa in der Machtöffentlichkeit vom frühmodernen Fürstenstaat bis in die parlamentarische Demokratie beobachtbar sind, bedeuten im Sinne des theoretischen Gesamtentwurfs graduelle, keine grundsätzlichen Veränderungen. Die Unterschiede in der Bildungsöffentlichkeit und in der Informationenöffentlichkeit werden eher geringer gesehen als in der Machtöffentlichkeit: Hier gelten zentrale Paradigmata der öffentlichen Verbreitung von Bildungsgütern und von Nachrichten aller Art ohne grundlegende Abstriche bis in die Gegenwart fort und trotzen dabei dem zeitlichen Wandel.

Die Arbeit von Esther-Beate Körber ist methodologisch sowohl eine historische als auch eine kommunikationswissenschaftliche Studie. Der historische Anteil beschränkt sich auf einen Teil der Aussagen, soweit sie sich auf Quellen zum Herzogtum Preußen im Reformationszeitalter beziehen. Die Schlüsse, die aus diesen Quellen gezogen werden, interpretiert die Verfasserin allerdings vor einem wesentlich weiter gespannten Horizont, so dass sich das Buch auch als eine Studie über deutsche Öffentlichkeiten in der Frühen Neuzeit insgesamt lesen lässt. Damit ergänzt die kommunikationswissenschaftliche Methodologie die historische insofern, als sie danach fragt, auf welche Weise heutige mediale und kommunikative Phänomene mehr oder weniger weit zurückreichende Wurzeln besitzen, wie man diese begrifflich fassen und innerhalb ihres damaligen Umfeldes interpretieren kann. Während sonst gelegentlich zu beobachten ist, dass interdisziplinäre Arbeit entweder nur gefordert, aber nicht eingelöst wird oder dem Leser als Sammelband in Gestalt einer Buchbindersynthese gegenübertritt, legt Körber hier einen komplett durchdachten interdisziplinären Entwurf vor. Die Studie ist zudem sprachlich klar formuliert und gut lesbar. Sie wird an der einen oder anderen Stelle den Widerspruch der Puristen jeder Fachrichtung herausfordern, doch dürfte dies eher beflügelnd auf die weiteren Beziehungen zwischen Historikern und Kommunikationswissenschaftlern wirken. Für die Frühneuzeitforschung steht die Herausforderung im Raum, die formulierten Thesen anhand der Quellenbestände anderer Zeitabschnitte und Territorien zu überprüfen.

Empfohlene Zitierweise:

Johannes Arndt: Rezension von: Esther-Beate Körber: Öffentlichkeiten der frühen Neuzeit. Teilnehmer, Formen, Institutionen und Entscheidungen öffentlicher Kommunikation im Herzogtum Preußen von 1525 bis 1618, Berlin: Walter de Gruyter 1998, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=49>

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