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Josef Leeb (Bearb.): Der Kurfürstentag zu Frankfurt 1558 und der Reichstag zu Augsburg 1559 (= Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 - 1662), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999, 3 Teilbde., zus. 2134 S., ISBN 3-525-35281-6, DM 680,00

Rezensiert von:
Thomas Ott
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Die Editionsreihe der Deutschen Reichstagsakten, einst von Leopold von Ranke und Julius Weizsäcker ins Leben gerufen, hat in ihrer jüngsten Abteilung ("Reichsversammlungen 1556 - 1662") Zuwachs erhalten. Es handelt sich um die Akten zum Frankfurter Kurfürstentag von 1558 sowie zum Augsburger Reichstag 1559. Der Bearbeiter ist Josef Leeb, Mitarbeiter der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, somit hauptamtlich dem die Reichstagsakten betreuenden Gremium zugehörig. Und obgleich der Bearbeiter bislang noch durch keinerlei gewichtige Forschungen zur deutschen Geschichte der frühen Neuzeit hervorgetreten ist, lässt die vorliegende Edition dennoch keinen Zweifel an seiner ausgesprochenen Kompetenz.

Als die "Reichsversammlungen 1556 - 1662" Mitte der achtziger Jahre als neue, vierte Abteilung der "Deutschen Reichstagsakten" eingerichtet wurden, kündigte ihr Präses, Heinz Angermeier, programmatisch an, dass mit diesem Schritt die Reichsgeschichte der nachreformatorischen Epoche wieder zu ihrem Recht gelange, dass sich ein gewandeltes, von ideologisch verbrämten, zumal staatsgläubigen Geschichtsbildern geläutertes Verständnis des römisch-deutschen Reiches werde entfalten können. Das Reich nach dem Augsburger Reformwerk von 1555 sei weder als unvollendeter Machtstaat noch als kraftlose Ansammlung von Sonderbewegungen im Zeichen von Territorialisierung und Konfessionalisierung zu begreifen. Die Eigenart dieses Reiches, sein Funktionieren, lag vielmehr stets und wesentlich in seiner Einheit "im System der Koordination" begründet, weshalb das Reich, "wo es sich als Einheit präsentieren musste, immer die Einheit eines Verbandes war und nicht die Einheit einer Gewalt, dass es also die Einheit zu Schutz und Reaktion demonstrieren wollte, nicht aber die Einheit in Aktion und Expansion"[1].

Gerade die zweite Hälfte der 1550er Jahre erweist sich als eine Zeit, in der zu "Schutz und Reaktion" aller Anlass gegeben war, sich das Reich als ein schutz- und reaktionsfähiger Verband erfuhr und bewährte. Der Kurfürstentag 1558 sowie der Reichstag des folgenden Jahres sind zwei der wichtigsten Etappen in dieser Ära beschleunigten Wandels, gestaltenden Ausgleichs und konsolidierender Reform.

1558 hätte eigentlich kein Kurfürstentag, vielmehr ein Reichstag stattfinden sollen. Karl V. war entschlossen, sein Kaisertum niederzulegen - eine Resignation im doppelten Wortsinne, da seine Politik im Reich gescheitert war -, sein Bruder Ferdinand, seit 1531 erwählter römischer König und somit designierter Nachfolger, sollte in das Kaisertum eintreten. Für diesen Schritt gab es allerdings kein rechtliches Vorbild. Damit blieb offen, welches Verfahren der Amtsniederlegung und -übertragung zu wählen sei. Karl wie Ferdinand schwebte eine allgemeine Reichsversammlung, ein Reichstag vor, um die Stände von dieser Entscheidung lediglich in Kenntnis zu setzen. Hiergegen opponierten die Kurfürsten, die auf das Recht zur Königswahl pochten, das ebensowenig übergangen werden durfte wie die exklusive reichsrechtliche Stellung dieser Fürstengruppe innerhalb der Ständegesamtheit, die "Präeminenz" des Kurkollegiums. Reichsinteresse und kurfürstliches Standesinteresse liefen hier in eins. Man vereinbarte einen Konvent, der nach Teilnehmerkreis (Kurfürsten, Gesandtschaft des Kaisers und königlicher Elekt), Ort (Frankfurt am Main) und zeremoniellem Ablauf an die Wahl und Inthronisation eines römischen Königs entsprechend der Goldenen Bulle erinnern sollte.

Der Kurfürstentag zu Frankfurt vom Februar/März 1558 erzielte drei Ergebnisse von weitreichender Bedeutung für Reichsrecht und Reichsgeschichte. Einmal die Übertragung des Kaisertums Karls V. an Ferdinand I., einvernehmlich sanktioniert durch die Königswähler, die Kurfürsten, sowie der Prozedur nach maßgebend für alle künftigen Fälle einer Abdankung vivente imperatore. Zu diesem rechtssetzenden Akt trat eine neue Wahlkapitulation für Ferdinand, in der dieser die Beschlüsse des Augsburger Reichstages von 1555 bestätigte. Ausdrücklich sollten alle früheren Reichsgesetze ihre Gültigkeit nur dann behalten, wenn sie dem Reichstagsabschied von 1555 nicht zuwiderliefen: Ferdinand band somit sein kaiserliches Amt an die Einhaltung des Religionsfriedens, der Landfriedens- und Kammergerichtsordnung. Schließlich erfolgte am 18. März 1558 die Erneuerung des Kurvereins, des Statuts der sieben Kurfürsten. Mit den darin gefassten Beschlüssen trat das Kurkolleg, die vornehmste und verfassungsrechtlich führende Ständegruppe des Reiches, gleichsam in die Neuzeit ein. Kein Kurfürstentagsabschied seither hat ähnlich einschneidende konstitutive Entscheidungen für dieses Gremium gefällt. Hiernach war das Wahlrecht der Kurfürsten nicht länger an deren Katholizität gebunden; die Verpflichtung zu striktem Beachten der Goldenen Bulle, des Religions- und Landfriedens verwandelte einen bis dahin eher vagen Widerstandsvorbehalt gegen Amtsverstöße des Kaisers (oder "Minderungen des Reichs") in eine konkrete Verfassungsgarantie. Ein Konsensvorbehalt, regelmäßige Treffen sowie die Einwilligung in interkuriale Verhandlungen auf Reichsversammlungen nur in Ausnahmen sollten die Kurfürsten aus den befürchteten Streitigkeiten und Parteiungen im Reich heraushalten, sollten die innere Geschlossenheit, Autonomie und Präsenz des einzigen Organs auf Reichsebene gewährleisten, das bereits Mitte des sechzehnten Jahrhunderts vollständige konfessionelle Parität erreicht hatte.

Dies alles erfolgte bewusst ohne Rücksicht auf die Rolle des Papstes. Doch erst dessen Approbation und Konfirmierung hatte das gewählte Reichsoberhaupt herkömmlich zum Führen seines Titels befugt. Papst Paul IV. ließ keinen Zweifel daran, dass gemäß kanonischem Recht und Translationslehre ihm die Übertragung des Kaisertums obliege, nicht den Kurfürsten. Ferdinand hingegen war nicht willens, Rom in dieser Angelegenheit Gehorsam zu leisten, um dafür Reichsrecht preiszugeben oder gar den mühsam erarbeiteten Konsens des Religionsfriedens aufkündigen zu müssen, den die Kurie nicht billigte. Schließlich erhielt Ferdinand 1560 die Anerkennung durch den Papst, ohne eigentliche Approbation und ohne eine folgende Krönung - auch dies ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Säkularisierung der Reichsspitze.

Die Frage der Anerkennung durch Rom war schon Gegenstand der Verhandlungen des Augsburger Reichstages (März - August 1559). Der erste und einzige Reichstag, den Ferdinand als Kaiser einberief und leitete, sollte überdies eine umfangreiche Türkenhilfe bewilligen, die Exekutionsverfassung verfeinern, Mandate für eine Gesandtschaft an Frankreich (Rückforderung von Metz, Toul, Verdun) und für das bedrohte Livland erreichen, eine Reichsmünzordnung ins Werk setzen (die zusammen mit einer Münzprobierordnung am 19. und 20. August 1559 verabschiedet wurde), die Resultate des gescheiterten Wormser Religionskolloquiums (1557) debattieren etc. - eine imponierende Agenda für einen Reichstag, auf dem, lässt man etliche Nebenverhandlungen beiseite, das Reichsoberhaupt zudem Belehnungen und Privilegien zu bestätigen und die obligatorischen Huldigungen zu empfangen hatte. Das Datum 1558/59 steht damit für die weitere Ausgestaltung des Reformwerkes, das Ferdinand in Alternative zur autoritären, monarchischen Herrschaftskonzeption seines Bruders bereits in Passau 1552 und Augsburg 1555 auf den Weg gebracht hatte - im Verein mit friedenswilligen deutschen Fürsten. Zugleich bricht mit diesem Datum aber auch die Phase der Bemühungen um eine religiöse Konkordie im Reichsrahmen ab, ein Manko, das das Friedenswerk je länger desto mehr belastete.

Die vorliegende Aktenedition - dies mag als ihr wichtigstes Verdienst gelten - führt die enge Verbindung der beiden Reichsversammlungen vor Augen. Die kombinierte Edition beider Tagungen eröffnet neue Perspektiven, denn während der Frankfurter Kurfürstentag von 1558 bereits eingehend durch die historische Forschung behandelt wurde [2], hat der Reichstag von 1559 noch keine vergleichbare Beachtung gefunden.

In der Abteilung "Reichsversammlungen 1556 - 1662" sollen in den kommenden Jahren die Edition der Akten des Reichstages 1556/57 (bearbeitet von Rolf Decot), zuvor schon diejenigen des Augsburger Reichstages 1566 (Dietmar Heil und Maximilian Lanzinner) und des Reichstags zu Regensburg 1576 (Helmut Neuhaus) erscheinen [3]. Diese Quellenwerke samt ihrer durchweg profunden Kommentierung werden, wie gehabt, nicht allein als verbindliche Nachschlagewerke, als Fundus dienen. Sie werden ebenso die spezialisierte Forschung zur politischen Geschichte des Alten Reiches teils bestätigen, teils mit neuen Erkenntnissen und Impulsen versehen. Nicht zuletzt dürfte damit die Zäsur von 1555 immer weniger als "Abschluss der Reichsreform" erscheinen - eine Wendung, die sich noch in vorliegender Edition findet (Einleitung, S. 79) -, sondern viel eher als Auftakt zu einer Phase hochinitiativer Ansätze zur Fortsetzung einer Reform des Reiches.

Anmerkungen:

[1] Heinz Angermeier, Deutsche Reichstagsakten - Reichsversammlungen von 1556 - 1662. Eine neue Abteilung der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, in: Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft außeruniversitärer historischer Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland, Berichtsjahr 1985, München/New York/London/Paris 1986, S. 39 - 45, hier S. 42.

[2] Neuerdings und besonders: Albrecht P. Luttenberger, Kurfürsten, Kaiser und Reich. Politische Führung und Friedenssicherung unter Ferdinand I. und Maximilian II. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte, Bd. 149; Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, Nr. 12), Mainz 1994, S. 17 - 92 und passim; zuletzt auch Axel Gotthard, Säulen des Reiches. Die Kurfürsten im frühneuzeitlichen Reichsverband, 2 Teilbde. (= Historische Studien; Bd. 457), Husum 1999, v. a. Teilbd. 1: Der Kurverein. Kurfürstentage und Reichspolitik, S. 37 - 49.

[3] Siehe Heinz Angermeier, Erich Meuthen, Eike Wolgast, Die Reichstagsakten-Edition. Zum Stand des Forschungsunternehmens der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, in: Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft außeruniversitärer historischer Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland, Berichtsjahr 1997, München 1998, S. 15 - 19, auch unter http://www.ahf-muenchen.de/Forschungsberichte/Berichte/Angermeier.htm

Empfohlene Zitierweise:

Thomas Ott: Rezension von: Josef Leeb (Bearb.): Der Kurfürstentag zu Frankfurt 1558 und der Reichstag zu Augsburg 1559, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=50>

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