Johannes Meier / Jochen Ossenbrink: Die Herrschaft Rheda. Eine Landesaufnahme vom Ende des Alten Reiches (= Quellen zur Regionalgeschichte; Bd. 4), Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 1999, 80 S., ISBN 3-89534-288-2, DM 29,80
Rezensiert von:
Stephanie Marra
Historisches Institut, Universität Dortmund
Regionalhistorische Untersuchungen stellen üblicherweise eine sinnvolle und wichtige Ergänzung übergreifender Forschungsbereiche dar. Auch der vorliegende Band von Johannes Meier und Jochen Ossenbrink verspricht vom Titel, von der Thematik und im einführenden Text die wissenschaftliche Dokumentation eines weltlichen Kleinterritoriums um 1800. Basis der vorliegenden Erfassung ist eine bislang unveröffentlichte topographische Karte aus der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz zu Berlin ("Carte von der Grafschaft Rheda", Signatur N31664), die der Publikation als Faksimilie beigefügt ist. Hierbei handelt es sich um eine sogenannte "Inselkarte", die ausschließlich das Territorium der vormaligen Herrschaft Rheda abbildet. Bekannt ist weder der Verfasser noch das genaue Erstellungsdatum der Karte. Die Aussagekraft der vorliegenden Karte wird von den Autoren im ersten Teil des Bandes durch eine Beschreibungen der Herrschaft Rheda um 1800 sowie in einem zweiten Teil durch zeitgenössische Reisebeschreibungen ergänzt.
Der erste Teil der beschreibenden Darstellung unter dem Titel "Land und Leute der Herrschaft Rheda" von Jochen Ossenbrink verweist mitnichten auf eine sozialhistorische Untersuchung, sondern erweist sich vielmehr als ausschließlich demographische und statistische Studie. Anhand einer Bevölkerungserhebung aus dem Jahr 1786 lassen sich Besiedlungs- und Besitzstrukturen, die soziale Zusammensetzung sowie die Wohnverhältnisse in dem nur 160 km² großen Territorium nachhalten. Sicherlich sind enstprechende statistische Angaben zur Bevölkerung und deren Lebensverhältnissen interessant, doch können diese nur sehr rudimentär die bereits auf dem Klappentext formulierten "Einblicke in den Mikrokosmos des 1808 untergegangenen Kleinstaates" gewähren.
Eine sich anschließende Beschreibung von "Stadt und Schloss Rheda" (S. 39-42) wird ohne jegliche Berücksichtigung der damals bestehenden landesherrschaftlichen Verhältnisse und der außerordentlich wichtigen rechtlichen Beziehungen zum Grafenhaus Bentheim-Tecklenburg gegeben. Auch das Kapitel "Ständische Ordnung" (S. 44-45) thematisiert als mögliche Ergänzung ebenfalls nicht das die gesamte Region prägende Haus Bentheim um 1800, sondern verweist auf eine durch Graf Moritz Casimir II. im Jahr 1783 erlassene Kleiderordnung und ihre Bedeutung für die Bevölkerung. Daraus leitet der Autor eine hierarchische Gliederung der Gesellschaftsstruktur ab, was durchaus richtig, als singulärer Sachverhalt jedoch nicht nachvollziehbar ist.
Der zweite Teil der Publikation, "Zehn Außenansichten. Die Herrschaft Rheda in der zeitgenössischen Literatur - eine Anthologie" von Johannes Meier, bietet eine Zusammenstellung verschiedener Reiseberichte vom Ende des 17. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. In ihnen wird die topographische und strukturelle Beschaffenheit der früheren Herrschaft Rheda beschrieben und erläuternd kommentiert.
Zusammenfassend bietet das Werk eine interessante und vielseitige Einordnung der kartographischen Quelle in Verbindung mit Reiseberichten und statistischen Erhebungen. Wer darüber hinaus aber dezidiert sozial- und gesellschaftshistorische Aspekte erwartet, wird freilich enttäuscht. Zwar bearbeiten und kommentieren die Autoren die Karte und ihre Aussagekraft im Zusammenhang mit ergänzenden Quellen, doch gelangen sie nicht über eine rein deskriptive Abhandlung hinaus. Vielmehr lehnt sich die Publikation an die sogenannte heimatkundliche Literatur an, die historiographische Untersuchungen und Darstellungen größtenteils außer Acht lässt. Befremdlich erscheint dabei auch die in Latein verfasste "Huldigung" an den jetzigen Fürsten, die angesichts des wissenschaftlichen Anspruchs des postulierten "Mikrokosmos" etwas deplaziert anmutet.
Das bereits im Vorwort benannte, wenig ausgeprägte "Landesbewusstsein" der Bevölkerung mit der nicht gelungenen konfessionellen Vereinheitlichung durch den Landesherrn im 16. Jahrhundert in Verbindung zu setzen, erscheint auf den ersten Blick plausibel, ist gleichwohl als alleiniges Erklärungsmuster nicht stichhaltig. Diesen Vorgang jedoch zusätzlich als "konfessionelle Gleichschaltung" der Bevölkerung zu bezeichnen, erscheint gewagt - nicht nur hinsichtlich der gewählten Terminologie.
Fast schon sträflich ist dann aber zu bewerten, dass die gesamten landesherrschaftlichen Verhältnisse und die Auswirkungen der Regenschaft durch das Bentheimer Grafenhaus in der Publikation gänzlich fehlen. Dies wäre für die Quellenbewertung zweifellos ein wichtiger Aspekt gewesen. Insgesamt entsteht der Gesamteindruck einer an sich verdienstvollen Publikation, deren weitergehende Aussagekraft leider meistenteils im Ansatz stecken blieb.
Empfohlene Zitierweise:
Stephanie Marra: Rezension von: Johannes Meier / Jochen Ossenbrink: Die Herrschaft Rheda. Eine Landesaufnahme vom Ende des Alten Reiches, Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 1999, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=52>
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