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Alfred Kohler: Karl V. 1500-1558. Eine Biographie, München: C.H. Beck 2000, 424 S., ISBN 3-406-45359-7, DM 58,00

Rezensiert von:
Gabriele Haug-Moritz
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Karl V., der "Ausnahmekaiser", in dessen Reich die Sonne nicht unterging, fasziniert noch ein halbes Jahrtausend nach seiner Geburt die Menschen. Hiervon kündet nicht nur der große Publikumsandrang zu der in Gent, Bonn, Wien und (ab Herbst 2000) Toledo gezeigten Ausstellung "Kaiser Karl V. 1500-1558. Macht und Ohnmacht Europas", sondern auch die Vielzahl von (qualitativ freilich sehr heterogenen) Publikationen, die seinem Leben und Wirken anläßlich der fünfhundertsten Wiederkehr seines Geburtstages gewidmet sind. Ein herausragender Platz in diesen Bemühungen um Karl V. und seine Zeit kommt der Biographie Alfred Kohlers zu, eines der gegenwärtig besten Kenners der Materie.

Der immensen Fülle und Komplexität seines Stoffes, die seit Karl Brandis Biographie Karls V. (1937/41) kein deutschsprachiger Forscher mehr zusammenschauend interpretiert hat, wird Kohler Herr, indem er "die wechselnde persönliche Präsenz des Kaisers in seinen Herrschaftsgebieten und auf den Kriegsschauplätzen" (S. 16) zum Gliederungsprinzip seiner Darstellung macht und sie zugleich in den "Kontext der kaiserlichen Gesamtpolitik und damit (in) die europäische Perspektive" einordnet (S. 16). Seinen Anspruch, quellennah und "problemorientiert zu erzählen" (S.16), vermag er überzeugend einzulösen. Passagen seines Buches, wie etwa die Schilderung der Schlacht bei Mühlberg (1547), die Karl in den Zenit seiner Macht führte, sind, auch und gerade weil Kohler es versteht, die Quellen geschickt zum Sprechen zu bringen (S. 307-313), ein wahres Lesevergnügen, das dem Lesenden die Dramatik des Geschehens vergegenwärtigt.

Die Entscheidung, den Stoff konsequent aus der Perspektive des Kaisers zu strukturieren und zu gewichten, hat zur Folge, daß Entwicklungen, deren mittel- und langfristige Bedeutung sich eher dem rückschauenden Betrachter als den handelnden Zeitgenossen erschließt bzw. erschlossen hat, eher kursorisch behandelt werden. Ich denke hier z.B. an die Schilderung der Rolle Karls als "Emperador de América" (S. 224-238). Der Gewinn des von Kohler gewählten methodischen Vorgehens aber, der m.E. dieses Defizit bei weitem kompensiert, besteht darin, daß für eine Zeit wie der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in der es aufgrund der Quellenlage "nur schwer gelingt, zur Person selbst vorzudringen" (S.16), am Ende der Lektüre doch ein Bild von der Person steht, die Gegenstand des biographischen Bemühens war. Daß Kohler dieses Bild zeichnet, ohne der "Gefahr politischer und ideologischer Aktualisierungen" (S. 370) zu erliegen, stellt ein besonderes Verdienst seiner Arbeit dar.

In einer knappen Einleitung weist Kohler zu Recht darauf hin, daß trotz intensiver Forschungsbemühungen unser Wissen über die strukturellen Handlungsbedingungen Karls V. immer noch lückenhaft ist, so daß bis heute die historische Person Karl V. partiell hinter dem "Phänomen Karl V." (S. 13) verschwindet. 14 Kapitel schließen sich an, die den Lebensweg Karls V. nachzeichnen. Sind die ersten vier Kapitel, die sich mit den familiären und strukturellen Handlungsbedingungen, den ideellen wie materiellen gleichermaßen, beschäftigen und die Zeit bis zur Kaiserwahl Karls 1519 umfassen, eher systematisch angelegt, so verfährt Kohler in den folgenden zehn Kapiteln, die Karls Vita in den Jahren 1520 bis 1558 schildern, stärker chronologisch-ereignisgeschichtlich.

Ohne den Argumentationsgang im einzelnen nachzuzeichnen, sei dreierlei besonders hervorgehoben: für die stärker strukturell angelegten Kapitel das ausgewogene Urteil Kohlers, zum Beispiel in einer so umstrittenen Frage wie der Kaiseridee (S. 94-100, S. 226-228); für den stärker der politischen Ereignisgeschichte verpflichteten Teil der Biographie die Tatsache, daß sich der zu den einzelnen Dezennien der Regierungszeit Karls äußerst ungleichgewichtig darstellende Forschungsstand nur bedingt in der Präsentation des Stoffes niederschlägt. So werden zwar auch von Kohler die 1530er Jahre (Kapitel 9/10) gegenüber den weit besser erforschten 1520er Jahren (Kapitel 5-7) und der Zeit zwischen 1540 und 1555/56 (Kapitel 11-13) kursorischer behandelt, aber doch nicht in einem Ausmaß wie es die Forschungslage nahelegen könnte. Die Aufmerksamkeit, die Kohler in seiner ganzen Arbeit - und dies ist der dritte Aspekt - dem Gesichtspunkt angedeihen läßt, den man (wenn auch ob der begrifflichen Unschärfe nicht ohne Probleme) als den der politischen Kultur bezeichnen kann, zeigt den Autor solchen Frageansätzen verpflichtet, wie sie in der politik- und verfassungsgeschichtlich orientierten Frühneuzeitforschung jüngst breiter und mit überzeugenden Ergebnissen erprobt werden - stellvertretend seien Albrecht P. Luttenberger und Barbara Stollberg-Rilinger genannt. Nicht nur im Zeremoniell und künstlerischen Manifestationen wird die politische Kultur der Zeit verortet (z.B. S. 103-116, S. 327-329), sondern auch in politischen Verfahren, wie z.B. auf dem Reichstag des Jahres 1530 (S. 208-218), ausgemacht. Dergestalt geraten Facetten der Person Karls V. in den Blick, die bislang eher am Rande standen: Daß das Streben nach "persönlichem Waffenruhm" (S. 258) nicht nur eine zentrale Kategorie bei dem Tunis-Unternehmen des Jahres 1535 und dem Algier-Feldzug des Jahres 1541 war, sondern daß der 1543 in der Auseinandersetzung mit dem Clever Herzog erlangte Waffenruhm ein Grund (unter anderen) war, warum sich Kaiser Karl V. 1546 in einer ihm günstigen politischen Konstellation nach Jahrzehnten des Zauderns doch zu einem Waffengang gegen die Protestanten entschloß, ist eine originelle Deutung, die zu weiteren Diskussionen anregen mag.

Keinen Zweifel kann es geben, daß eine Arbeit, die eine solche immense Stofffülle zu bewältigen hat, in Detailaspekten aus der Spezialkenntnis des Rezensierenden heraus ergänzt, modifiziert, teilweise vielleicht sogar korrigiert werden könnte. So würde ich persönlich, um ein Beispiel zu nennen, das Auftreten Reichsvizekanzler Helds 1537 auf dem Tag in Schmalkalden (S. 261-263) nicht in seiner Wirkung, wohl aber von seinen Voraussetzungen her anders bewerten wollen. Unterzieht man nämlich seinen Argumentationsgang einer genauen Analyse, so tritt weniger der Katholik Held denn der streng an prozeßrechtlichen Grundsätzen orientierte Jurist Held entgegen. Dem uneingeschränkt positiven Gesamteindruck des Buches aber, das durch zahlreiche Abbildungen, eine genealogische Tafel, eine Karte und ein Personen- und Ortsregister abgerundet wird, wird durch solche Anmerkungen kein Abbruch getan. Im Gegenteil - sie zeigen, daß die Kohlersche Biographie Karls V. nicht nur unser Wissen über Karl V. auf der Grundlage des aktuellen Forschungsstandes bündelt und auch einem breiteren Publikum dank der ansprechenden Präsentation vermittelt, sondern auch für weitere Diskussionen sorgen wird, die der in jüngster Zeit wieder verstärkt Beachtung findenden politischen Seite der Reformationsgeschichtsschreibung Impulse zu geben vermag.

Empfohlene Zitierweise:

Gabriele Haug-Moritz: Rezension von: Alfred Kohler: Karl V. 1500-1558. Eine Biographie, München: C.H. Beck 2000, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 5, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=65>

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