Elizabeth Reis (Hg.): Spellbound. Women and Witchcraft in America, Wilmington: Scholarly Resources 1998, 276 S., ISBN 0-8420-2576-6, $ 55,00
Rezensiert von:
Johannes Dillinger
Fachbereich III, Fach Geschichte, Universität Trier
Elizabeth Reis' Programm ist anspruchsvoll: Die zwölf Artikel des von ihr herausgegebenen Bandes sollen die Geschichte der Hexenimaginationen und der Hexenverfolgungen Nordamerikas von der Kolonialzeit bis zur Gegenwart darstellen. Die roten Fäden, die die einzelnen Aufsätze zusammenhalten, sind notwendig lose: Die Genderkategorie, ein weit gefaßter Magiebegriff, der Dämonologie, Besessenheit, unorthodoxe Volksfrömmigkeit und Neopaganismus umschließt, und der geographische Rahmen, die heutigen USA. Der Gedanke, im Rahmen einer Nationalgeschichte Vorstellungen von Hexen und Hexerei über drei Jahrhunderte zu verfolgen, ist innovativ. Die Entscheidung, Arbeiten zu Hexenprozessen und zur Wicca in einem Band zusammenzufassen, ist kühn. Sie nimmt das gewaltige Potential der USA als Untersuchungsgebiet wahr: Auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten fanden die sicherlich am besten untersuchten Hexenverfolgungen der Frühen Neuzeit statt, entscheidende Impulse für die Wicca Bewegung gingen von hier aus. Die USA werden jedoch nicht künstlich zum Paradigma hochstilisiert, so daß ihre Besonderheiten in den Hintergrund treten. Der Band öffnet sich vielmehr für ihr Charakteristikum: Die Berührung indianischer, europäischer und afrikanischer Traditionen wird zum Leitmotiv. Vergleiche mit England oder Kontinentaleuropa werden nicht unternommen. Das wird man schwerlich als Defizit kritisieren können, störend ist allerdings, daß verkürzte und zweifelhafte Aussagen über die Hexenverfolgung der Alten Welt gemacht werden. So stellt etwa Kamensky beiläufig fest, daß in Europa erst der Protestantismus Hexerei als Häresie gedeutet habe (S. 29).
Reis versucht der Komplexität der Thematik mit Interdisziplinarität zu begegnen und führt Arbeiten aus Geschichtswissenschaft, Anthropologie, Religions- und Literaturwissenschaft zusammen. Es erscheint dabei akzeptabel, daß 'Spellbound' nicht nur Erstveröffentlichungen bietet. Bei der Hälfte der Aufsätze handelt es sich um leicht variierte Auszüge aus Monographien oder Zeitschriftenartikel, von denen allerdings keiner älter als 1987 ist. Eine Reflexion des Aufbaus des Bandes oder der Auswahl der Texte, die man sich angesichts der stark unterschiedlichen Methoden und Fragestellungen der jeweiligen Artikel gewünscht hätte, unterbleibt. Reis' Einleitung beschränkt sich auf Inhaltsangaben der folgenden Arbeiten. Daß diese Zusammenfassungen sich in leicht abgewandelter Formulierung dann noch einmal als redaktionelle Einleitungen vor jedem einzelnen Aufsatz finden, bietet dem Leser keinen zusätzlichen Service.
Die drei ersten Beiträge deuten die Hexenverfolgungen im kolonialen Neuengland auf unterschiedliche Weise. Einem Auszug aus Karlsens älterer Monographie, die auf die finanzielle und familiäre Situation von Hexereiverdächtigen als interpretatorischen Schlüssel verwies, stehen die neuen Deutungen von Reis und Kamensky gegenüber. Reis versteht die Auffassung von Hexerei als Frauenverbrechen und die Bereitschaft von Frauen, diese Haltung ihrerseits in Verdächtigungen, Geständnissen und Denunziationen anzuerkennen, als Funktion der gesellschaftlichen Konstruktion von Sünde. Der Puritanismus habe bei Männern stets nur einzelne Handlungen, bei Frauen jedoch deren ganzes Wesen als sündhaft gedeutet. Die gesellschaftliche Funkiton der Hexenprozesse lag vor allem darin, dieses Muster zu bestätigen. Daher war es in Salem möglich, geständigen Frauen, die die gesellschaftliche Erwartungshaltung bestätigten, Strafverschonung zu gewähren, während diejenigen, die auf ihrer Unschuld beharrten, exekutiert wurden.
Es erscheint fragwürdig, daß Reis den Glauben an eine sündhafte Natur der Frau als spezifisch puritanisch anspricht. Neuenglische Besonderheiten wie das conversion narrative, das die Gemeinschaft zum Richter über Umkehr und Glauben des einzelnen gemacht hatte, oder die rituelle Wiederaufnahme von Straftätern in die Gesellschaft nach öffentlichen Schuldbekenntnissen werden dagegen weitgehend ignoriert. Kamensky sieht Hexereiverdacht als Funktion der Abweichung von genderspezifischen Sprachnormen. Elitenkultur und Volkskultur identifizierten gleichermaßen verbal aggressive Frauen als Hexen. Die detailliert beschriebenen Beispiele, die Kamensky hierfür anbringt, zeigen allerdings, was man nach Searle und Walz erwartet hätte, nämlich, daß die sprachliche Aggression nicht isoliert betrachtet werden kann. Sie erschließt sich dem Verständnis nur, wenn man sie als Medium versteht, das in bestimmten sozialen Kontexten gebraucht wurde. Diese Kontexte, die Konflikte, in denen auf sprachliche Aggression zurückgegriffen wurde, werden nicht ausreichend problematisiert.
Aspekte der Rezeptionsgeschichte Salems behandeln Rosenthal und Dennis. Rosenthal entlarvt die in der Literatur immer wieder zu findende Behauptung, die Sklavin Tituba habe die Kinder von Salem mit Magie bekannt gemacht, als rassistisch informierte Historikerlegende des 19. Jahrhunderts. Die neuenglischen Hexenverfolgungen untersucht Dennis kenntnisreich und überzeugend als Elemente eines kulturellen Austauschs. In der Lehre, die der religiöse Führer der Senecairokesen, Handsome Lake, entwarf, wurde ein Frauenideal ähnlich dem traditionell europäischen entwickelt und wurden zugleich ältere indianische Schadenszauberimaginationen auf weibliche Täter zugespitzt. Tötungen vermeintlicher Hexen durch die Seneca zu Beginn des 19. Jahrhunderts lösten bei weißen Amerikanern Entsetzen aus. Die Sprecher des Stammes verteidigten die Bestrafung der Hexen jedoch als unrechtmäßig und verwiesen auf das Beispiel Salems. Harring untersucht eine ähnliche Ausgangssituation, die 1930 in einen Mordprozess mündete. Zwei Irokesinnen sollten eine weiße Frau als Hexe verdächtigt und getötet haben. Die rassistische Verunglimpfung der Irokesenreligion als Hexenglaube in der Öffentlichkeit und harsche Polizeimaßnahmen führten hier schließlich zu einem Eingriff der Bundesregierung, der den Stamm nachhaltig politisch stärkte.
Die Relevanz von Magie und Dämonenglauben im Rahmen christlicher Erneuerungsbewegungen untersuchen Minkema und Painter. Minkemas Mikrostudie zu einem Fall dämonischer Besessenheit im Umfeld des Great Awakening kritisiert Delbanco, nach dessen Auffassung der Teufel im Amerika des 18. Jahrhunderts rapide aus dem religiösen Diskurs verschwand. Minkema belegt, daß die Anhänger der religiösen Reform ebenso wie ihre Gegner die Deutung der Besessenheit zum Maßstab der Rechtgläubigkeit machten: Ein Muster, das sich auch in den europäischen Besessenheitsdebatten der Frühen Neuzeit beobachten lässt. Painter untersucht die Entwicklung des religiösen Glaubens der befreiten Sklavin Sojourner Truth. Deren Verbindung von Pentecostalismus mit dem Glauben an die eigene magische Macht versteht Painter nicht als Fortwirken eines afrikanischen Erbes, sondern als frühes Beispiel eigenständiger afroamerikanischer Religion.
Die übrigen Beiträge bieten sehr gründlich recherchierte, kritische Untersuchungen zu den spritualistischen und neopaganen Kulten des 20. Jahrhunderts. Eller problematisiert den "grab-bag approach" (S. 235), mit dem sich die feministischen Religionen einzelne Elemente einer Fülle von Mythologien und Kultformen aneignen. Hier realisiert sich der ultimate Imperialismus, der nach der Marginalisierung der traditionellen Kulturen Amerikas und Afrikas deren Reste für die 'Spiritualität' des New Age appropriiert. Leider werden die wirtschaftlichen Elemente der neuen Kulte, der Markt für Esoterik, nur gestreift. Jencson and Estes untersuchen Frauen benachteiligende Strukturen in den spiritualistischen Kirchen des Südens der USA bzw. der neopaganen Goddess Religion. Estes zeigt, daß nicht nur die untereinander konkurrierenden afroamerikanischen Spiritualistenkirchen New Orleans' sich gegenseitig vorwerfen, Magie ("Hoodoo") zu treiben. Auch innerhalb der Gemeinden werden Magie und die 'falsche', der Vorstellung der Parochieleitung nicht entsprechende Kommunikation mit Geisterwesen sanktioniert. Jencson beschreibt die Reinterpretation neopaganer Ideen in der Praxis der Covens und deren Ausmünzung als konkrete Machtstrukturen.
In der Darstellung des 20. Jahrhunderts weist 'Spellbound' ein schwerwiegendes Defizit auf. Eller stellt zwar eine Liste von "Affinities" und "Approriations" (S. 224, 227) der neuen Frauenkulte der USA zusammen, keiner der Artikel bietet aber Hinweise auf deren historische Entwicklung. Die unterschiedlichen Einflüsse Zsuzsanna Budapests, James Lovelocks oder Margot Adlers werden nicht untersucht, die Auseinandersetzung mit Crowley erschöpft sich in Anekdoten. Statt dessen nimmt Reis einen Text der Psychotherapeutin Miriam Simons, die unter dem Künstlernamen 'Starhawk' eine Schlüsselautorin der amerikanischen Goddess Religion wurde, in ihren Sammelband auf. Damit wird ein Quellentext zum Neopaganismus, der die bekannten Absurditäten Murrayscher Provenienz wiederholt, ohne weitere Abgrenzung oder Unterscheidung neben soziologische und religionswissenschaftliche Untersuchungen zur Wicca Bewegung gestellt. daß Reis sich in ihrem Einleitungskommentar bemüht, die Opfer der Hexenprozesse von den Wiccans der Gegenwart klar zu unterscheiden, wird zweifellos die Zustimmung von Historikern finden. Unklar bleibt jedoch, wieso Simons' Text aufgenommen, auf eine historische Betrachtung des Neopaganismus selbst aber verzichtet, die Wicca-Mythe also einer historiographischen Untersuchung ihrer Entwicklung vorgezogen wurde.
Der Anhang mit "Suggested Readings" ist knapp (S. 269-273) und beschränkt sich auch im Abschnitt "European and British Studies" ausschließlich auf englischsprachige Titel. Der Versuch einer Zusammenfassung, die wenigstens in groben Zügen die unterschiedlichen Formen des Hexenbildes hätte an die Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft zurückbinden können, wird nicht unternommen.
'Spellbound' bietet einige neue Einsichten in die Entwicklung des Hexenwesens in Nordamerika. Die Vielfalt der Kulturen der USA wird im Hexereidiskurs wiederentdeckt. Die Bedeutung des Bandes wird aber deutlich geschmälert durch seine unzureichend reflektierte Struktur und die mangelnde historische Durchdringung der Hexenimaginationen des 20. Jahrhunderts.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Dillinger: Rezension von: Elizabeth Reis (Hg.): Spellbound. Women and Witchcraft in America, Wilmington: Scholarly Resources 1998, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 5, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=68>
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