J. Jeffery Tyler: Lord of the Sacred City. The Episcopus Exclusus in Late Medieval and Early Modern Germany (= Studies in Medieval and Reformation Thought; Bd. 72), Leiden / Boston / Tokyo: Brill Academic Publishers 1999, XII + 255 S., ISBN 90-04-11120-4, 85,00
Rezensiert von:
Andreas Thier
Leopold-Wenger-Institut für Rechtsgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität, München
Das Spannungsverhältnis zwischen Stadtgemeinde und Stadtherr ist kennzeichnend für die Geschichte der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bischofsstadt im Alten Reich. Dieser Problemkreis ist deswegen häufig in exemplarischen Einzelfallstudien analysiert worden [1], doch liegen mittlerweile auch erste Gesamtbetrachtungen vor [2]. Ungleich intensiver wird seit langem der Themenkomplex "Stadt und Reformation" diskutiert [3], der teilweise auch die Geschichte der Bischofsstädte berührt. In der Studie von J. Jeffery Tyler, hervorgegangen aus einer von Heiko A. Oberman betreuten Dissertation an der Universität Arizona, wird versucht, diese beiden Problemstränge miteinander zu verflechten. Leitendes Paradigma ist für Tyler eine Konstellation, die er mit dem selbstgeprägten Ausdruck "episcopus exclusus" umschreibt: Damit ist nicht allein die Vertreibung bischöflicher Stadtherren aus ihren Residenzen gemeint, sondern auch die allmähliche Erosion episkopaler Befugnisse innerhalb ihrer Residenzstadt. Die allmähliche Verdrängung des Bischofs aus seiner Stadt bildet für Tyler die Perspektive, von der aus in seiner dem Anspruch nach "multi-faceted study" (5) das Beziehungsgeflecht zwischen Bischof und Bischofsstadt untersucht werden soll. Bewußt werden dabei Spätmittelalter und Reformation miteinander verbunden, reicht doch der Untersuchungszeitraum der Studie vom Jahr 1300 bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts, zum Jahr 1548. Mit Augsburg und Konstanz hat Tyler hierzu zwei Städte als Fallbeispiele gewählt, deren Geschichte auch bereits intensiv untersucht wurde [4], und die nicht zuletzt deshalb für die von ihm beabsichtigte Querschnittsbetrachtung besonders geeignet sind.
Die übersichtlich gegliederte Arbeit zerfällt in insgesamt fünf Kapitel, die von einer knappen Einführung und einem Schlußteil eingerahmt sind. Nach einer kurzen Einleitung (1-9) skizziert Tyler im ersten Kapitel (11-38) den Problemhorizont seiner Untersuchung: In einem ersten Schritt wird dabei deutlich gemacht, daß die Vertreibung und selbst die Tötung episkopaler Würdenträger seit den ersten Anfängen zu den Konstanten der spätantiken und mittelalterlichen Kirchengeschichte zählt. Ein zweiter Unterabschnitt ist einer Übersicht der "actual episcopal power and authority" (19) gewidmet. Darunter versteht Tyler die Funktionstrias des Bischofs als "city lord, imperial prince, and shepherd of the church" (23), die, wie bereits an diesem Punkt betont wird, dem Bichof auch dann erheblichen Einfluß auf seine Stadt sicherte, wenn er seine Residenz an einen anderen Ort verlegte. Diese Situation änderte sich grundlegend im Zuge der Reformation, wie Tyler im dritten Unterabschnitt darlegt. In jenen Bischofsstädten nämlich, in denen sich die Reformation durchsetzte, zerriss das letzte Band zwischen Bischof und Stadt.
Damit hat Tyler den Obersatz formuliert, unter den er in den folgenden Kapiteln die Entwicklungen in Konstanz und Augsburg zu subsumieren sucht. So wird im folgenden zweiten Kapitel (39-76) zunächst die Entwicklung in Konstanz in der Zeit bis zur Reformation in den Blick genommen. Gestützt vor allem auf die bereits vorliegenden Studien zur Geschichte von Bistum und Stadt Konstanz zeigt Tyler, wie die Bischöfe im Lauf der Zeit zunehmend Teile ihrer stadtherrlichen Kompetenzen an die Bürgerschaft abgeben und deren Befugnisse in einer wahlkapitualtionsähnlichen Erklärung, der "Verschreibung", bestätigen mußten. Doch trotz dieser allmählichen Auflösung ihrer Machtstellung hielten sich die Bischöfe in dieser Zeit fast ständig in Konstanz auf, wie die Ausfertigungsorte der bischöflichen Urkunden deutlich machen (vgl. Anhang D, S. 211-221).
Anders entwickelt sich dagegen das Schicksal der Bischöfe von Augsburg, dem Tyler im dritten Kapitel nachgeht (77-102): Sie verloren mit der Verleihung des "Stadtbuches" an die Bürgerschaft durch Rudolf von Habsburg 1276 weitgehend ihre Position als Stadtherr. In der Folgezeit beschränken sich die Bischöfe von Augsburg darauf, ihre Liegenschaften innerhalb der Stadt vor dem besteuernden oder rechtsprechenden Zugriff der Bürgerschaft zu schützen. Zugleich verlegten sie zunehmend ihre Residenz nach Dillingen. Gleichwohl blieben die Bischöfe bis in das 15. Jahrhundert hinein mit Teilen ihrer verwaltenden Institutionen in Augsburg präsent und beharrten auf ihren innerstädtischen Privilegien.
Bildete bis dahin die institutionelle Ebene der Beziehungen zwischen Stadtgemeinde und Bischof den Gegenstand der Betrachtung, so versucht Tyler im vierten Kapitel eine andere Dimension dieses Verhältnisses in den Blick zu nehmen (103-171): Es ist das "Ritual", das für die Bischöfe sowohl in Augsburg wie in Konstanz in der vorreformatorischen Ära zum Instrument der Selbstdarstellung in ihren Residenzen wird. "Ritual" wird dabei in Anlehnung an Max Weber als "Institutionalization of charisma" (104) verstanden. In sorgfältigen Analysen zeigt Tyler die rituelle Funktionalität der Bischofskirchen als episkopaler Begräbnisstätten, der Krönungen und des feierlichen Einzugs des Bischofs-Elekten in die Stadt und sogar in den Verhandlungen mit dem Stadtrat von Konstanz über dessen Privilegien. Das Ritual bildet für Tyler eine zentrale Größe im Konflikt zwischen Bischof und Stadt. Denn, so bilanziert er seine Betrachtung, "these rituals were not merely the trappings of some hidden or clandestine power. Ritual itself channeled power; access to ritual or ability to enact ritual was power" (170). Diese These ist differenzierungsfähig und diskussionsbedürftig: Rituale können sicherlich als Medien ideeller Dominanz eingesetzt werden und Elemente von "Cultures of Power" [5] bilden. Doch es bleibt die Frage, welche Form von "power", von Herrschaft oder von Macht, Rituale produzieren. Das gilt um so mehr, als gerade in der hier betrachteten Situation die institutionelle Ebene der bischöflichen Herrschaftsentfaltung offensichtlich sehr schwach ausgeprägt ist.
Das Spannungsverhältnis zwischen, wie man vielleicht schlagwortartig sagen könnte, Ritual und Institution löst sich im fünften Kapitel auf (172-195): Denn durch die Reformation verloren die Bischöfe von Augsburg und Konstanz - wenn auch nur vorübergehend - den Zugang zu ihren alten Residenzstädten. Dem entsprach es, daß auch die rituelle Verbindung zwischen Bischof und Stadt zerrissen war, die Errichtung des protestantischen Kirchenregimentes markierte, so bilanziert Tyler, "the culmination of the episcopus exclusus" (192): Der Bischof hatte auch den Zugang zum Ritual verloren.
Tylers konzeptioneller Ansatz macht es möglich, die Frage nach den spätmittelalterlichen Kontinuitäten und den reformationsbedingten Verwerfungen im Konfliktverhältnis von Stadt und Bischof neu und vielleicht auch deutlicher zu formulieren. Allerdings muß Tyler dafür hermeneutische Unschärfen in Kauf nehmen. So stellt sich die Frage, wovon genau der Bischof ausgeschlossen wird, wenn er innerhalb der Stadt Kompetenzen verliert und doch weiterhin präsent bleibt. Ganz abgesehen davon hätte Tyler die von ihm selbst immer wieder betonte besondere Qualität der Beziehungen zwischen Bischof und Bischofsstadt stärker konturieren können, hätte er auch das Kirchenrecht in die Betrachtung einbezogen: Hier nämlich führte die Vertreibung eines Bischofs für die Kommune zum Verlust ihres Status als "civitas" oder zumindest ihrer "episcopalis dignitas". Nicht zuletzt deswegen irritieren Aussagen, in denen von Tyler bilanzierend behauptet wird, "this book has lifted up the expulsions of bishops from the footnotes of medieval history" (200).
Anmerkungen:
[1] Grundlegend: Bruno Dauch, Die Bischofsstadt als Residenz der geistlichen Fürsten, Berlin 1913, Nd. Vaduz 1965 (= Historische Studien, H. 109).
[2] Edith Ennen, Bischof und mittelalterliche Stadt, in: Bernhard Kirchgässner, Wolfram Baer (Hrsg.), Stadt und Bischof, Sigmaringen 1988 (= Stadt in der Geschichte, Bd. 14), 29-42; Volker Press, Bischof und Stadt in der Neuzeit, in: Kirchgässner, Baer, a. a. O., 137-160.
[3] Speziell zur vorliegenden Konfliktkonstellation s. etwa Georg Kreuzer, Das Verhältnis von Stadt und Bischof in Augsburg und Konstanz im 12. und 13. Jahrhundert, in: Kirchgässner, Baer, Stadt und Bischof (wie Anm. 2), 43-64, m. w. N.
[4] Übersicht etwa bei Heinz Schilling, Die Stadt in der frühen Neuzeit, München 1993 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 24), 95-98 m. w. N.
[5] Thomas N. Bisson (Hrsg.), Cultures of power: lordship, status, and process in twelfth-century Europe, Philadelphia 1995.
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Thier: Rezension von: J. Jeffery Tyler: Lord of the Sacred City. The Episcopus Exclusus in Late Medieval and Early Modern Germany, Leiden / Boston / Tokyo: Brill Academic Publishers 1999, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 6, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=79>
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