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Jens Ivo Engels: Königsbilder. Sprechen, Singen und Schreiben über den französischen König in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts (= Pariser Historische Studien; Bd. 52), Bonn: Bouvier 2000, 333 S., ISBN 3-416-02906-2, DM 85,00

Rezensiert von:
Christine Vogel
Universität Gießen

Die Annahme, die Franzosen der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts seien "fähig und bereit [gewesen], über sich, den König und ihre Beziehung zu ihm nachzudenken" (6-7), klingt für sich genommen kaum originell. Angesichts der Forschungslage zum Königsbild des Absolutismus aber erweist sie sich als ausgesprochen fruchtbar: So ist zwar das offizielle Herrscherbild, wie es sich etwa in den Selbstinszenierungen des Sonnenkönigs oder in großen Staatsakten und Zeremonien darstellt, hervorragend erforscht. Doch die Frage, wie sich die Untertanen dieses offizielle Bild aneigneten und welche Rolle es in ihren Alltagsvorstellungen spielte, wurde bisher nur vereinzelt gestellt. Dabei geht es unter anderem darum, zu erfahren, inwieweit die im offiziellen Bild vermittelte Sakralität des Königs tatsächlich rezipiert wurde, und ob demzufolge die Thesen einer Desakralisierung des französischen Königtums im achtzehnten Jahrhundert über den Bereich des staatstheoretischen Diskurses hinaus Geltung beanspruchen können.

Tatsache ist, dass die Franzosen sich nicht damit begnügten, ihrem König zu verordneter Stunde zuzujubeln oder dem Te Deum zu lauschen, das in der Kirche anläßlich einer überstandenen Krankheit des Königs zu singen war. Sie unterhielten sich über ihn in Cafés und machten ihrem Ärger oder ihrer Freude in Liedern und Pamphleten Luft. Sie wandten sich an ihn, um seine Hilfe zu erbitten, oder wurden verhaftet, weil sie ihn beschimpft oder verbal bedroht hatten. Welche Bilder sie sich dabei jeweils vom König machten und wie sich diese zum offiziellen Königsbild verhielten, untersucht Jens Ivo Engels in seiner Dissertation für den Zeitraum von 1680 bis 1750 auf mustergültige Weise.

An fünf verschiedenen "diskursiven Orten" (13) spürt er den alltäglichen Königsbildern nach, zunächst in rund 200 an den König gerichteten Bittschriften. Trotz ihrer formelhaften Sprache und erwartungsgemäßen Nähe zum offiziellen Diskurs liefern sie wertvolle Hinweise darauf, wie unbefangen die Hilfesuchenden das obrigkeitliche Bild für ihre Zwecke einzusetzen wußten. Allerdings durften die Untertanen im alltäglichen Umgang mit dem Königsbild gewisse Grenzen nicht überschreiten, wie die in den Archiven der Bastille dokumentierten Fälle von Majestätsverbrechen zeigen. In fallstudienartigen Untersuchungen zeigt Engels anhand der Verhörsprotokolle, dass es sich bei den falschen Denunziationen, den Versuchen, sich dem König räumlich zu nähern, und den aufrührerischen Reden letztlich um illegitime Manipulationen des Königsbildes handelte, deren radikalste Form das Schreckbild von Komplott und Königsmord war.

Die politische Liedkultur und die Pariser Neuigkeitenkultur der Kaffeehäuser und Promenaden bieten Einblicke in Königsbilder, die weitaus näher am tagespolitischen Geschehen sind. Die Analysen der "Vaudevilles" über den König und der Polizeispitzelberichte mit ihren belauschten Gesprächsfetzen ergeben, dass es sowohl am Ende des 17. als auch in der Mitte des 18. Jahrhunderts zu einem Ansehensverfall des Königs kam, der sich bis zu dessen Tod steigerte, um schließlich in hasserfüllten Parodien der offiziellen Inszenierung zu enden. Engels möchte diese umgekehrte inoffizielle "Grabesrhetorik […] als rituell-symbolischen Akt [ansehen], der eine Regentschaft beendete und die alten Geister bannte" (105). Dem neuen Herrscher galt indessen zunächst Lob und Wohlwollen. Diese Ergebnisse deutet Engels im Sinne eines "Erneuerungskreislaufs" (127-128) der Monarchie: Grundsätzlich gingen die Untertanen davon aus, dass ein selbständig regierender König ganz selbstverständlich das Wohl seiner Untertanen im Auge habe. Um dieses Idealbild mit ihrer aktuellen Unzufriedenheit in Einklang zu bringen, griffen sie auf stets dieselben klischeehaften Vorstellungen - oder wertneutral 'Musterbilder' - zurück: unfähige Minister und machtbesessene Mätressen verheimlichten dem König entscheidende Informationen oder lenkten ihn von den Regierungsgeschäften ab. Damit war der König zwar nicht vollständig schuldlos, doch blieb den Untertanen die Hoffnung auf sein 'Machtwort' oder die Selbstregierung. Nicht politische Entscheidungen oder Programme, sondern dieses im Laufe der Regierungszeit schwindende "Hoffnungspotential" bildete die Grundlage des Urteils der Untertanen über ihren König.

Dieser Gegenentwurf zu der These eines sich bis zur Revolution steigernden Ansehensverfalls des Königtums wird im Kapitel über die Untergrundliteratur weiterentwickelt. Gegen Robert Darnton argumentiert Engels, die Themen und Motive der 'heimlichen Bestseller' der letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts tauchten schon in den Pamphleten gegen Ludwig XIV. auf. Dies gelte auch für den Bereich der königlichen Sexualität. Mit Blick auf die Arbeiten von Antoine de Baecque weist er darauf hin, dass die Impotenz des Königs nicht erst in der Revolutionszeit, sondern vereinzelt schon von den Zeitgenossen des Sonnenkönigs als Symbol für dessen Regierungsunfähigkeit bemüht wurde.

In der zweiten Hälfte des Buches wird die Vernetzung der verschiedenen Quellengruppen anhand zweier außerordentlicher Ereignisse beleuchtet. Die spektakuläre Buchübergabe des Richters Carré de Montgeron an Ludwig XV. im Juli 1737 ist der Ausgangspunkt einer Analyse des jansenistischen Königsbildes. Die Selbsteinschätzung dieser religiös-oppositionellen Gruppe basierte wesentlich auf einem Musterbild, demzufolge Minister und Jesuiten dem König die Wahrheit über den Jansenismus böswillig vorenthielten. Da sie auf falschen Informationen basierten, konnten so königliche Stellungnahmen gegen den Jansenismus von vornherein entwertet werden, ohne die Würde des Königs oder das jansenistische Selbstbild als königstreue Verteidiger der Wahrheit anzutasten. Paradoxerweise war dieses Selbstbild jedoch genau in dem Augenblick gefährdet, als Montgeron die praktischen Konsequenzen aus dem Musterbild zog und dem König die 'Wahrheit des Jansenismus' in Buchform präsentierte.

Das Jahr 1744 offenbarte das große Zustimmungspotential, das der König mobilisieren konnte, wenn er der Idealvorstellung seiner Untertanen entsprach: Selbstregierung, militärische Erfolge und sexuelle Enthaltsamkeit. Die Sorge um den erkrankten König steigerte bei den Untertanen das "politische Gefühl" (194) der Liebe, so dass sie Ludwig spontan den Ehrentitel "le bien-aimé" beilegten. Ihre Liebe war allerdings nicht an politische Inhalte geknüpft, die Franzosen feierten in erster Linie ihr Gefühl der Einheit mit dem König.

Zum Abschluß konfrontiert Engels seine Untersuchungsergebnisse mit der Frage nach der politischen Kultur des Ancien Régime. Die offiziellen Inszenierungen des Königs wurden demnach sehr wohl von den Untertanen rezipiert - allerdings blieben letztere dabei nicht passiv. Oft genug ist der Spott der Vaudevilles oder die Aufdeckungsrhetorik der Untergrundliteratur eine Antwort auf das obrigkeitliche Bild, wenn nicht gar dessen Umkehrung. So erweist sich das offizielle Bild als nur eine von vielen möglichen Wahrheiten, die den Franzosen zum Verstehen der Wirklichkeit zur Verfügung standen. Was die Sakralität des Herrschers als zentrales Element der offiziellen Inszenierung angeht, so läßt sich, wie Engels speziell am Beispiel der Skrofeln-Heilung überzeugend darlegt, auf seiten der Untertanen ein Sakralitätsglauben nicht nachweisen. An dessen Stelle setzt er das leider etwas diffuse Konzept der 'Faszination', die der König auf die Untertanen ausgeübt habe. Mit der Sakralität aber "fällt auch das Konzept der 'Desakralisierung' als mentalitätsgeschichtliche Grundlage für den Untergang der Monarchie" (268).

Ob die inoffiziellen Königsbilder dennoch eine Rolle in der politischen Kultur spielten, hängt laut Engels gewissermaßen vom Standpunkt ab: Aus der Perspektive des Historikers mögen sie allesamt politisch bedeutsam erscheinen, für die Zeitgenossen, denen ein Selbstbewußtsein als politische Öffentlichkeit weitgehend gefehlt habe, seien sie es selten gewesen. Ihnen sei es weniger um Politik gegangen als um - möglichst vergnügliche und spielerische - Wirklichkeitsbewältigung, wenn sie über den König redeten. Ob dies tatsächlich für alle Kreise der Öffentlichkeit galt, bleibt freilich insbesondere mit Blick auf das Milieu der Parlements und Jansenisten fraglich. Die Untertanen, so trotz allem ein wesentliches Ergebnis der Arbeit, hatten kein eindeutiges Bild vom König. Je nach ihrer konkreten Situation und Erfahrung machten sie sich unterschiedliche Vorstellungen von ihm. Diese prinzipielle "Offenheit" (273) des Königsbildes ermöglichte es ihnen, zwischen Idealvorstellungen und eigener Erfahrung eine plausible Wirklichkeit auszubalancieren.

Besondere Anerkennung verdient der Verfasser dafür, dass er einerseits seine eigene Position als Historiker wiederholt kritisch reflektiert, andererseits aber nicht zögert, in begründeter Argumentation etablierte Forschungsmeinungen in Frage zu stellen. Schade nur, dass seine 'Königsbilder' rein metaphorisch bleiben und Bilder im eigentlichen Sinn nicht in die Untersuchung einbezogen wurden, da sie einem anderen semiotischen System angehörten (11). Indes steht ja zumindest die Druckgraphik nicht gar so beziehungslos neben der Liedkultur und der Untergrundliteratur - ist doch die frühneuzeitliche Öffentlichkeit gerade durch die Vernetzung von Text-, Lied- und Bildpublizistik wesentlich gekennzeichnet. Die diesbezüglichen Skrupel des Verfassers entsprechen freilich der Sorgfalt, mit der er die jeweilige Spezifizität seiner Quellen berücksichtigt. In jedem Fall ist sein auch sprachlich ausgezeichnetes Buch ein unentbehrlicher Beitrag nicht nur zur Diskussion um Sakralität und Desakralisierung des französischen Königs, sondern auch zum Verständnis der Öffentlichkeit im Ancien Régime.

Empfohlene Zitierweise:

Christine Vogel: Rezension von: Jens Ivo Engels: Königsbilder. Sprechen, Singen und Schreiben über den französischen König in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, Bonn: Bouvier 2000, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 1, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=85>

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